Das Plusquamperfekt erzählt

Erzählung zum Thema Zeit

von  EkkehartMittelberg

Neulich traf ich es beim Spaziergang. Es war perfekt nach der neuesten Mode gekleidet und trug ein Krönchen als Zeichen für das mehr als perfekt.
Nachdem wir ein wenig über die Zeiten geplaudert hatten, die früher alle besser eingehalten hatten, fragte ich es, was es Neues gebe.
„Nichts Besonderes“, erzählte das Plusquamperfekt, „ich habe gerade Otto getroffen, den kennst du doch auch. Ich fragte ihn, woher er komme. Otto sagte mir, dass er soeben bei Lisa gewesen war. „Das muss aber schon lange her sein“ warf ich ein, „dass du bei Lisa gewesen warst.“ „Nö“, antwortete, der Otto. „ ich sage doch, dass ich soeben bei ihr gewesen war.“ Ich ging darüber hinweg und fragte ihn, was es denn mit der Lisa gebe.
„Das war’s gewesen“, flüsterte Otto, und eine Träne stand ihm im Auge. „Das tut mir aber leid“, sagte ich, „ihr galtet doch als das unzertrennliche Traumpaar.“ „Wir hatten gegolten“, seufzte Otto, „und wir würden weiterhin gegolten haben, wenn ich nicht noch kurz vor der Lisa meine alte Freundin Anna besucht hätte. Ich war noch so unter dem Eindruck von Anna gestanden, dass ich die Lisa immer Anna genannt hatte und da war sie mir auf die Schliche gekommen.“
Ich hatte auch Mitleid mit dem Otto, aber das Schicksal des Plusquamperfekts interessierte mich mehr. Also fragte ich es, wie es ihm denn auf den Foren so ergehe. Es lächelte gequält: „Ach, auf dem wichtigsten „KeinVerlag“ habe ich keine Konjunktur mehr. Die hoffnungsvollen Talente dort leben im Futur II, die progressivsten sogar im Futur III und kaum einer will sich mehr an die guten alten Zeiten erinnern, in denen man noch Oden schrieb und die Besten bis zu den Urgründen der Mythen hinabgetaucht waren. Nein, ich mache mir nichts vor, ein paar Konservative schwärmen zwar noch manchmal von den Ideen, die sie früher gehabt hatten, aber die Avantgarde flog in die Wolken der Futura. Ich kann ja ein bisschen verstehen, wie schwierig es ist, aus diesen Höhen wieder auf mich zurückzukommen über den beschwerlichen Abstieg FuturII, Futur I, Präsens, Perfekt, Plusquamperfekt.“
„Du hast das Präteritum vergessen“, erinnerte ich es. „Bleib mir weg mit diesem Tempus der Märchenerzähler“, sagte das Plusquamperfekt verächtlich. Die kommen über das ’es war einmal’ nicht hinaus. Sie logen schon immer, dass sich die Balken bogen. Dabei gründet sich doch alles, was sie erzählen, auf die Vorvergangenheit, also auf mich. Aber dem mühsamen Quellenstudium weichen sie aus, diese Präteritalen, deshalb flüchten sie sich ohne historisches Gewissen in das einfache Präteritum.“
„Es sieht wirklich so aus, als hättest du keine Zukunftsperspektive“, sagte ich mitfühlend. „Doch“, lächelte das Plusquamperfekt, „es gibt noch eine Möglichkeit. Ich konvertiere zum szenischen Präsens. Dann ist endlich wieder etwas los. Ich werde diese korrupte Gesellschaft von antiquierten Vergangenheitsbeschwörern und Futurspinnern aufmischen.“
Jetzt konnte ich mich leichten Herzens verabschieden, nicht ohne das Plusquamperfekt in seinem Beschluss zu bestärken: „Ich hatte ganz vergessen, wie kreativ du bist.“

*inspiriert von Hannahlulu: Futur I und Futur II

© Ekkehart Mittelberg, Januar 2016

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (29.01.16)
Früher war alles besser gewesen, da hatten die Dinge noch Sinn gemacht ...

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.01.16:
Das stimmt, Trekan. Damals konntest du reden und sie "hatten" es verstanden. Heute bist du ein Prediger in der Wüste. )

 princess (29.01.16)
Die vollendete Vergangenheit trägt Krönchen? Sehr sympathisch! Wie übrigens die gesamte Erzählung. Es war mir ein Vergnügen, Ekki!

Liebe Grüße
Ira
(Kommentar korrigiert am 29.01.2016)

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 29.01.16:
Grazie, Princess, was dir sehr sympathisch ist, kann so schlecht nicht sein.
Liebe Grüße
Ekki
Gerhard-W. (78)
(29.01.16)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 29.01.16:
Danke, Gerhard, ich dachte mir: Wenn schon nicht immer korrekt mit der Grammatik umgegangen wird, kann man sie vielleicht versöhnen, indem man mit ihr spielt.
LG
Ekki

 Didi.Costaire (29.01.16)
Ich mache mir um das Plusquamperfekt keine Sorgen. Es wird alles andere überleben.
Liebe Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 29.01.16:
Merci, Didi, durch die Quantität der Nutzung wird es überleben, darin gebe ich dir Recht.
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (29.01.16)
Ab heute beginnt der Siegeszug des Plusquamperfekts. LG

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 29.01.16:
Danke, Armin, alle, die sich in den Zug einreihen wollen, werden bei der Reise durch die Vergangenheit vielleicht Übersehenes entdekcen.
LG
Ekki

 loslosch (29.01.16)
der konjunktiv plusquamperfekt kommt mir zu kurz. deshalb eine anekdote:

ein zufallspärchen am hain: heftiges umarmen und küssen. dann verschwinden beide im unterholz ... kurze zeit später kehren sie zurück. er: wenn ich gewusst hätte, dass du noch jungfrau gewesen warst, hätte ich mir mehr zeit gelassen. sie: wenn ich gewusst hätte, dass du noch mehr zeit gehabt hättest, hätte ich mir die strumpfhose ausgezogen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.01.16:
Danke Lothar, die Perspektiven sind so unterschiedlich. Ich habe mal die Strumpfhose gefragt. Sie meinte: "Wenn ich gewusst hätte, wie eilig es die beiden hatten, dann hätte ich gerissen an der richtigen Stelle Platz gemacht."
Hannahlulu (18)
(29.01.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.01.16:
Gracie especiale, Hannah, vielleicht treffen wir uns in diesem Jahr mal auf einem Inspirationsgipfel. Welch herrliche Aussicht! ;-O
GlG
Ekki
Festil (59) meinte dazu am 31.01.16:
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Graeculus (69)
(29.01.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.01.16:
Merci, Graeculus, auch für die amüsanten Ergänzungen.

 TassoTuwas (29.01.16)
Ekki, ich beneide dich um deine interessanten Begegnungen.
Mir ist nur einmal die vollendete Vergangenheit in den Weg getreten aber die war nicht sehr ruhmreich.
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.01.16:
Merci Tasso,
man trifft sich immer zweimal. Das nächste Mal wird sie besser aussehen.
Herzliche Grüße
Ekki

 Lluviagata (29.01.16)
Ich hab mich schon in der Schule über dieses seltsame Phänomen amüsiert ... :D

Liebe Grüße
Llu ♥

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.01.16:
Mir ging es ebenso, Andrea. Wir sollten in der Schule möglichst perfekt sein, und dann kam so ein Ding daher, das von sich behauptete, noch mehr als perfekt zu sein. ;-O
Merci und liebe Grüße
Ekki
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