1999
 Inhalt 
2000 

1999/2000

Episches Theaterstück zum Thema Ungewissheit

von  Terminator


Es begann so schön und endete in Unterhaching. Mein Schicksal war in diesem Schuljahr auf magische Art mit Bayer Leverkusen verschränkt. Ich war nie ein richtiger Fan, sammelte nix, trug keine Spielertrikots. Ich spürte nur diese Verschränkung auf intuitiver Ebene: mit Leverkusen identifizierte ich mich im (auf das eigene Schicksal) übertragenen Sinne. Der letzte Spieltag war dann auch ein Triumpf des Teufels: ich war ein sich immer weiter radikalisierender Christ.


Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie nicht Jennifer hieß. Ich war in diesem Schuljahr in sie verknallt. Sie veränderte sich so stark, dass sie am Ende des Schuljahrs nicht mehr dasselbe Aussehensmädchen war wie am Anfang. Dieses Mädchen, im September 1999. Verknallter war ich in keine real existierende Person.


Im Oktober eine Krankheit, die aufgrund der Schlamperei eines Facharztes in den November verschleppt wurde, sodass ich Mitte November für zwei Wochen ins Krankenhaus kam. Der letzte Krankenhausaufenthalt in meinem Leben.


Im Dezember fühlte ich, wie die Zeit das Mädchen von mir wegtrug. Die rechte Zeit wäre im September gewesen, ich tat nichts. Doch: ich hoffte. Und ich glaubte. Und als guter Christ dachte ich: ich glaube, also darf ich hoffen. Und Liebe ist eh, wenn sie wirklich Liebe und nicht Geilheit ist, immer romantisch und gegenseitig. Also hoffen und vertrauen... und verzweifeln.


Der Winter verging, nichts geschah. Nur die Verzweiflung wuchs. Woher hätte ein stotternder autistischer Kaspar Hauser wissen sollen, wie man Mädchen anspricht? Warum ich heute darüber nachdenke, schreibe? Weil ich in 53 Tagen 40 werde, und eine Zukunft auf dieser Welt, in diesem Alter, mir nunmehr wolfsegal ist. Ich will nicht wieder in derselben Situation stecken, aber ich will eine Jugend erleben, wie sie zu jener Zeit möglich schien. Ich will nichts erreichen, ich will nichts werden. Ich will jung sein und mich glücklich in ein Mädchen verlieben.


Natürlich wartete ich nicht passiv mein Schicksal ab: als ich sah, dass kein Gott mir hilft, griff ich beim nächsten Verknalltsein schon Ende Februar 2000, das nur leicht und von kurzer Dauer war, zur Tat, d. h. zur Feder: ich schrieb dem Mädchen einen Rap-Song auf Englisch, in welchem ich ihr halt eben halt meine Gefühle gestand. Es ist mir bis heute peinlich, und zwar nicht aus offensichtlichen Gründen (die eher lustig sind und mich heute erheitern und nicht beschämen), sondern weil ich beim großen Verliebtsein nicht sofort gehandelt habe, hier aber schon. Ihre Reaktion war sehr nett: sie bedankte sich für den Brief und versichterte mir, dass nicht mein Stottern, sondern die Tatsache, dass sie "einen Freund hat", der Grund war, dass sie meine Gefühle nicht erwidern konnte. Und gerade diese süße Banalität, dieses harmlos Normale brach in meine Welt ein, die von unbeschreiblichem existentiellen Leid bestimmt war. Ich lebte im Psycho-Folter-KZ neben unbeschwerten Jugendlichen, ging zur selben Schule, fuhr einen Monat lang sogar mit dem selben Bus (sonst wurde der Schulweg immer zu Fuß oder mit Fahrrad genommen).

 


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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (26.12.22, 17:10)
Hm. Ich war der Klassenklown. Einige peinliche Szenen sind zur Belustigung anderer, zum Leidwesen der Lehrer mir in Erinnerung geblieben. Nach der ersten unglücklichen, jungen, platonischen und tiefen Liebe ist der Clown in mir verstummt.  Die leichten sinnfreien Freuden wandelten sich in unerfüllte Begierden und erfahrungsreiche Tränen und als Tor zur geistigen Welt.

 Terminator meinte dazu am 26.12.22 um 22:20:
Wenn die kindliche Unbeschwertheit sich ohne Vorwarnung in pubertäre Schwermut verwandelt... Bei mir kam es auf einen Schlag, am 6.11.1998 um 13:30, einfach auf dem Fußmarsch von der Schule, ohne besonderen Grund.
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