War es Liebe?

Kurzprosa zum Thema Denken und Fühlen

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  VORDERGRÜNDIGES - HINTERGRÜNDIGES (Prosa)

Fünfundzwanzig Jahre habe ich mit ihr verbracht. Man könnte es eine silberne Hochzeit nennen. Ich weiß nicht, ob sie noch ein Geheimnis vor mir hat. Aber darum geht es jetzt nicht. Sie war fünfzehn Jahre jünger als ich, und doch lebten wir zusammen, falls man unsere Lebensweise so nennen konnte.

Wenn am Abend ein Gewitter tobte und der Regen gegen die Fenster prasselte, fand ich Geborgenheit in Harmonie mit ihr. Viele Nächte habe ich traumlos geschlafen. So glaubte ich es jedenfalls. Andere Nächte habe ich schlaflos heruntergequält, sie gehasst.
Wenn Sonnenlicht strahlte, gefiltert von frisch belaubten Bäumen, strömte Wärme hinein. Wenn sich an einem Wintermorgen ein Sturm erhob, Schnee umherwirbelte, stand ich später auf als sonst, zumindest wenn ich nicht zur Arbeit musste. Manchmal stieg der Morgen sonnig sanft herauf und ich freute mich wie schön das Leben war. Manchmal sank der Abend mit intensiver dunkler Trägheit herab und ich fragte ob ich überhaupt noch da sein wollte.
Wie viele Worte, Sätze und Geschichten mochte ich erlebt haben in dieser langen Zeit. Die Zahlen lassen sich nicht mehr erfassen. Die vielen Jahre in meinem Kopf haben mich immer wieder dorthin geführt, wo ich bereits war. Doch ich bin nicht mehr derselbe, denn zwischen ihr und mir ist eine Distanz entstanden. Die Zeit zwischen damals, dem Beginn unserer Liaison, und jetzt wurde plötzlich mit ungeheurer Kraft weggezogen. Ich konnte mich nicht mehr an sie klammern. Sie hatte für mich ihre Seele, ihre Substanz verloren und war zu einer reinen Form geworden.

 

Ich habe sie verlassen – meine Wohnung.



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