Deutschland sucht den Superautor

Glosse zum Thema Kultur

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  Abenteuer Lesen und Schreiben

Er war es leid, dauernd nur Texte für seinen Ordner zu schreiben, sie seinen wenigen verbliebenen Freunden vorzulesen, die seinem Vortrag allerdings immer atemlosen Witz bescheinigten und lachten, was wiederum seine Seele wärmte. Doch davon wurde er nicht satt und zufrieden in seiner bescheidenen HartzIV-Hochhaus-Behausung Mümmelmannsberg, die er im achten Stock nur über einen graffitiverzierten, rumpelnden Aufzug erreichen konnte. Wie eine näherkommende Drohung. Seine innere Welt sah heute lediglich etwas heller aus, weil der HartzIV-Obolus das Konto gestern ins Plus hievte und die Ebbe im Portemonnaie nach einem Geldautomatenbesuch etwas linderte. So beschloss er seiner Vorstadtidylle für kurze Zeit zu entfliehen und wie immer nach der Auszahlung der Knete in sein Stammcafé in Billstedt zu gehen. Auf dem Weg dahin las er noch ein liegengebliebenes, zerfleddertes, vom Regen angefeuchtetes Hamburger Abendblatt von einer Parkbank auf. Im Café wärmte er seinen durchgefrorenen Körper mit einem großen Milchkaffee und blätterte in den Anzeigen. Ganz am Anfang stach ihm sofort eine besonders in die Augen. Sie machte ihn hellwach, so dass sein Herz einen Gang höher pocherte:

EILT – DEUTSCHLAND SUCHT DEN SUPERAUTOR
Für die Vorauswahl werden Schreibtalente mit Comedy-AtemlosSprechAbgelachSchnellvergessensgarantie gesucht,

 ohne Nachhaltigkeitsnotwendigkeit. Autoren, die ihre eigenen Texte

 lebendig vortragen können, werden bevorzugt. Tempo! Es pressiert!

 Am Samstag nächster Woche gehen wir auf Sendung! Telf.: 040-4156-0


Den Anzeigenstil fand er total geil. So etwas in der Art hatte er noch nie gelesen. Er rief sofort aus dem Café an und wurde von der Zentrale an eine freundliche Dame vom NDR durchgestellt. Ihren Namen hatte er nicht verstanden, wagte aber nicht nachzuhaken, um nicht unaufmerksam zu erscheinen. Sie fragte ihn freundlich:
„ Was haben Sie denn so schriftstellerisch bisher gemacht?“
„Ich war journalistisch bei der MOPO beschäftigt und bin mehrmals in Poetry-Slam-Veranstaltungen aufgetreten.“
Nach einigen Erläuterungen zu dem Projekt erklärte sie ihm mit erfreuter Stimme: „Die Vorauswahl der Kandidaten findet schon übermorgen statt. Schaffen Sie das in der kurzen Zeit?“
Er verschwieg, dass sein letzter Auftritt schon eine längere Weile zurücklag und sagte: „Na klar!“
„Dann kommen sie doch bitte um 10.00 Uhr mit Ihrem Text ins Landhaus Walter im Stadtpark. Es werden zehn bis fünfzehn Interessenten erwartet. Die fünf Autoren mit den besten Texten werden dann zur Sendung eingeladen. Wissen Sie wo das Landhaus Walter liegt?“
„Ja“, log er, bedankte sich und ging schnellstens nachhause, setzte sich an den Küchentisch, klappte seinen Laptop auf und recherchierte im Internet, wo das Landhaus liegt. Dann holte er alle seine Texte hervor. Nach etwa drei Stunden entschied er sich für <In drei Wochen vergaß ich, dass ich meinen Schlüssel nie vergessen wollte, bevor die Tür hinter mir zufällt>. Die Story gefiel ihm auch heute noch. Dieses Spiel mit den Zeiten und dem Durcheinander, was da alles aus dem Ruder läuft. Damals bei seinem letzten Auftritt war das ein Riesenerfolg. Er feilte noch die halbe Nacht daran herum, bis er todmüde ins Bett fiel, aber dann trotzdem nicht schlafen konnte. So gegen 4.00 Uhr morgens musste er dann endlich eingeschlafen sein.
Der Wecker haute ihn aus dem Bett und ihm fiel ein, dass er noch seine vernachlässigte Kleidung in Ordnung bringen und die Schuhe putzen musste, um auftrittskompatibel zu werden. Er nahm sich vor, die besten Exemplare von Hemd und Hose herauszusuchen, was bei seiner schwindsüchtigen Kleiderausrüstung nicht lange dauerte und bedeutete, dass er seine Ex aufsuchen und sie bitten musste, ihm beim Bügeln zur Seite zu stehen. War so etwas wie ein Gang nach Canossa. Doch sie hatte klaglos mitgespielt und ihm viel Glück gewünscht.
Bei der Fahrt mit der U-Bahn zum Stadtpark musste er dauernd auf die Plakatwerbung „Impfen ist geil“, ein Comedy-Abend mit Atze Walther starren. In jeder Station klebte es an den Wänden. Mein Gott Walther, er wusste wie gut der ist. Und er musste mit schlotternden Knien ins Landhaus Walter ohne h rübermachen, irrte durch unzählige Rhododendronhecken und fand das Haus nach einigem Suchen.
Als er endlich den Raum des Castings gefunden hatte, war er zehn Minuten zu spät. Die anderen Teilnehmer*innen, fünf Frauen und sieben Männer, starrten ihn beim Entern verachtungsvoll an und er konnte förmlich spüren: „Was will der denn hier?!“
Eine flotte Dame mit grünen Pumps, ausschnitttiefem roten Top und Minirock, so um die 35 Jahre alt, begrüßte ihn:
„Na, sind Sie endlich da, dann können wir ja anfangen.“
Er setzte sich konsterniert an den noch freien Tisch und sie legte gleich los mit Anweisungen:
„Sie haben alle einen Text mitgebracht. Vergessen Sie den. Vor ihnen steht ein Laptop, klappen Sie ihn auf und schreiben Sie eine neue Geschichte. Sie haben eine Stunde Zeit. Tun Sie das, so als ginge es um ihr Leben.“
Wenn die wüsste, wie nötig er das hatte - konnte ja heiter werden. Die Laptops standen jeweils auf abgestoßenen Resopaltischen, vermutlich Altinventar einer mangels Schülernachwuchs aufgelösten Schule.
Worüber sollte er bloß schreiben? Er schaute Gucklöcher in die Luft, soweit man das Luft nennen konnte, denn einige Teilnehmer besaßen die Frechheit zu rauchen. Die Leiterin schaute ihn an:
„Los, schreiben Sie, wir sind nicht zum Vergnügen hier.“
Er zermarterte sein Gehirn und hackte einfach Unsinn in die Tasten, um die Dame erst einmal still zu stellen. Irgendwann, nach etwa zwanzig Minuten, sortierte sich sein Gehirn etwas und er fing an, den zuhause verfassten Text aus der Erinnerung heraus aufzuschreiben, bis die Leiterin plötzlich sagte:
„Die Stunde ist um.“
Er war noch nicht fertig mit seiner Geschichte.
„Jetzt wollen wir mal sehen, was Sie wie vortragen können. Und denken Sie daran, Mimik und Gestik einzusetzen. Sie müssen den Fernseh-Zuschauern was bieten."
Zwei Frauen und ein Mann klappten ihre Laptops mit lautem Effekt zusammen, standen auf und verließen wutschnaubend den Raum. Die Leiterin meinte lapidar:
„ Das ist natürliche Auslese“, was ihn an seine ältliche Biologielehrerin Frau Schulze erinnerte, deren Lieblingsthema der Darwinismus war.
So reduzierte sich zu seiner Freude die Konkurrenz. Die Chancen schienen zu steigen, denn er wusste, dass er auf der Bühne improvisieren konnte und fand seine Text-Idee immer noch brillant.
„Wer möchte anfangen?“
Er stand auf und betrat mutig das kleine Podest in der Mitte des Raums. Nun war er endlich mal wieder der im absoluten Mittelpunkt Stehende. Das war lange her. Er schaute in die kalten Augen der anderen Teilnehmer und sah darin: Der soll scheitern! Doch er wollte das nicht. Dieses ständige Gefühl des HartzIV-Empfängers. Plötzlich hatte er eine Blockade, bekam den Mund nicht auf und zappelte autistisch mit seinen Armen herum, versuchte an Sex zu denken und wie schön es wäre alles zum Fließen zu bringen. Doch er hatte schon lange keinen mehr. Wer wollte ihn denn noch? Es half also nichts.
Eisige Stille im Raum.
„Na, was ist los mit Ihnen?“, hörte er aus weiter Ferne in seine Ohren träufeln.
Er dachte, ich muss jetzt die Leute zum Lachen bringen und es sprudelte plötzlich aus ihm heraus: „Ging mal ein Autor in diese versüffte Bude und sagte Quak.“
Totenstille, .... und dann lachten alle. Er schritt zur Tür und verließ das Landhaus Walter. Am U-Bahnhof zerkratzte er beim Warten auf die Bahn diverse Plakate mit seinem Schlüssel. Zuhause im Treppenhaus war wieder einmal die Beleuchtung ausgefallen, sodass er sich nicht einmal an den Graffitis im Flur erfreuen konnte.



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Kommentare zu diesem Text


 lugarex (17.07.23, 06:42)
Traurig aber wahr, so irgendwie normal... :ermm:

Guten Start in die neue Woche luga

 uwesch meinte dazu am 17.07.23 um 08:22:
Na ja, einige Wenige schaffen es ja in den Literatur-Olymp  
Dank Dir für Kommi und Deine Empfehlung und LG Uwe

 eiskimo (17.07.23, 08:34)
Wir leben in einer Performer-Welt, alles ist irgendwie Casting, alles muss auf die Bühne und alle wollen geliked werden....
Das zeigt sich gut nachvollziehbar in Deinem sehr packend geschriebenen Text.  Illusion - Frustration, um es in Kurzform zu sagen.
LG
Eiskimo
kipper (34) antwortete darauf am 17.07.23 um 09:42:
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 uwesch schrieb daraufhin am 17.07.23 um 11:38:
Eiskimo: Da ist was dran, doch mir persönlich ist diese Welt fern.
Dank dir für Deine Empfehlung und LG Uwe

kipper: In der Tat - so ist es. LG Uwe

 harzgebirgler (17.07.23, 17:45)
Schreiben und Dichten macht eigentlich nur dann Sinn
ist wer "heiliggenöthiget" wie Hölderlin.
(Am Quell der Donau)
LG vom Harzer

 uwesch äußerte darauf am 17.07.23 um 18:58:
:) Danke Dir für Kommi und Deine Belobigungen.
LG Uwe
Agnete (66) ergänzte dazu am 17.07.23 um 19:34:
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 uwesch meinte dazu am 17.07.23 um 20:55:
Nö, das hätte ich auch keine Lust drauf. Dank dir für Deine Empfehlung und LG Uwe

 Redux (17.07.23, 19:36)
Eine sehr genaue, sehr unterhaltsame, wenngleich enorm traurige Beschreibung der Realität. Gefällt mir sehr.

 uwesch meinte dazu am 17.07.23 um 20:53:
Na ja, vielleicht setzen sich doch letztendlich die besten AutorInnen durch. Es ist doch immer ein Kampf um Anerkennung mit im Spiel und das verlangt Qualität. Was dann letztendlich als Qualität angesehen wird, entscheiden dann die Verlage je nach ihren Schwerpunkten. Da gibt es dann natürlich mehr oder weniger renommierte.
Dank Dir für Deine Empfehlung  und LG Uwe

Antwort geändert am 17.07.2023 um 20:56 Uhr
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