Notizen zum Aiwanger-Flugblatt, Rio und Hubsi

Interpretation

von  DavidW

München, 08.10.2023, 18:01 Uhr ff. Nach der Landtagswahl.

I
Es war ein linksradikal-anarchistisches Flugblatt. Es war Punkrock. Darauf möchte ich zur öffentlichen Sicherheit und zur Sicherheit der Subkulturen dann doch bestehen.
(Wer mich nicht gleich versteht, schreibe im Geiste "Keine Macht für Niemand" (Ton Steine Scherben) daneben, oder lege den ganzen Liedtext daneben).
Oder zumindest ein Flugblatt, dass sich in eine solche Tradition stellen wollte.

Vor einigen Wochen tauchte in der Süddeutschen Zeitung ein Bericht über ein Flugblatt auf, das man im Schulranzen des heutigen Politikers Aiwanger gefunden hatte, und für das dieser bestraft worden war (FN 1). Dieses Flugblatt verglich mehrfach in drastischen Formulierungen die damalige staatliche bundesdeutsche Gewalt (es regierte Helmut Kohl, CDU) mit verschiedenen nationalsozialistischen Vernichtungs- und Konzentrationslagern.
Der Vorwurf des Antisemitismus wurde erhoben (Vergleiche mit dem Nationalsozialismus gelten in aller Regel als illegitim und illegitim relativierend).

Man kann den Vorwurf des Antisemitismus aber sogar auch ablehnen, ohne von bestimmten Subkulturen zu wissen.
Das Flugblatt, das ein Minderjähriger oder knapp Erwachsener geschrieben hätte, war ziemlich gut über die Gräuel des Nationalsozialismus informiert war und hat diese sehr drastisch beschrieben.
Dass der Autor kein Jude gewesen war, reicht nicht für diesen Vorwurf.
Ob es eine reale nationalsozialsimusnahe Verfehlung der damaligen CDU-Regierung parodierte, können wir außerdem auch nicht mehr wissen.

II
Résumée zu Nazi-Vergleichen in der BRD:
Vergleiche mit dem Nationalsozialismus gelten in aller Regel als illegitim und illegitim relativierend, verharmlosend. Es gab in der BRD aber ein paar Ausnahmen, in denen es für legitim oder tolerabel gehalten wurde:
1. Die bundesdeutsche Justiz musste sich manchmal den Vorwurf einer NS-Kontinuität gefallen lassen. Auch Vergleiche seitens einzelner linker Juristen und Journalisten von BRD-Gerichten mit dem grausamen NS-Volksgerichtshof hatte es glaube ich gegeben.

2. Es gab eine linksradikal-anarchistisch enteignende Verwendung von Nazi-Symbolen. Im Punkrock vor allem. Vielleicht erinnert sich einer der älteren an am Bahnhof herumlungernde Punks, die weiße Hakenkreuze auf ihre schwarzen Lederjacken gemalt hatten. Das war ganz bestimmt nicht antisemitisch sondern anarchistisch gemeint, eine Absage an jegliche staatliche Gewalt.
Lange Jahre musste niemand dagegen vorgehen. Irgendwann wurde es, glaube ich, einmal verurteilt. Was man schade und borniert finden kann.
In dieser Tradition sich versuchend sehe ich das Aiwanger-Flugblatt.
Ebenso muss man Jonathan Meese in diese Tradition stellen können.

III Cave
Niemand war damals auf die Idee gekommen, ebenjene Anarchisten für Nazis zu halten. Es zu behaupten, wäre als menschenverachtend abgelehnt worden.
Falsche Antisemitismusvorwürfe tun weh.  Sich einen Nazi zu backen aus einem Politiker, der etwas falsches gesagt haben soll, ist menschenverachtend. Weil man nicht weiß, wie man sein Blatt sonst vollbekommt?
Dieser Text ist durchgehend so formuliert, dass für ihn der Autor des Flugblatts nicht feststeht.
"Braune Socke" seitens eines SPD-Rentners und Akademikers wäre zurückzunehmen.

IV Ein schöner Traum von einem Sachwahlkampf
Es stellte sich ein sozialdemokratischer Kandidat in einer kleineren oder mittleren bayrischen Stadt auf den zentralen Platz, und erklärte die Wärmepumpe. Und erklärte den realen und potentiellen Reihenhausbesitzern, dort sind alle mindestens potentielle Reihenhausbesitzer, dass sie noch heilfroh über diese neuartige Heizung sein werden, die ihnen von der Bundesregierung verordnet worden ist. Weil und überhaupts...
Ein Menschenauflauf entsteht, und ein wunderschöner Tumult, und hitzige Diskussionen werden geführt...
Hat das jemand, leider nein? Dann wären es schätzungsweise 2% mehr SPD-Stimmen geworden.
(Aiwanger durfte die Wärmepumpe nicht gut finden, Koalitionsdisziplin).


(1) Die SZ hat es auch ins Internet gestellt...


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