eine kellergeschichte

Kurzprosa

von  Redux

zwölf nein dreizehn jahre lang war er für mich ort des schreckens, wenn ich dem vater die flasche bier der dortmunder actien brauerei holen musste, geblieben der riesige bottich aus stein, das bild des schweineschinkens, wie er mit pökelsalz begraben wurde und monate im pökelsalzgrab ruhte, die endlosen regale und die einmachgläser, in denen die früchte des sommers: stachelbeeren, mirabellen, kirschen, birnen und zwetschgen im gläsernen sarkophag immer brauner und brauner wurden, und gläser mit konfitüre, und links hinten das riesenhafte holzgestell, kartoffeln, kartoffeln über kartoffeln, wir waren sowas von deutsch,

einmal, spät abends saß eine kleine ratte dort und schaute mich, ohne zu flüchten, an, das war am ende meiner kindheit, da war der keller nicht mehr keller, weil das haus und der keller alt waren, und wir in ein neues zogen, später war ich derjenige, der das alte erforschte und seine geburt auf 1866 datieren konnte, mein ururgroßvater erbaute es mit dem geld des großen nachbarbauern, heiratete seine elisabeth, hatte zwei söhne mit ihr, nach der geburt des zweiten, dem wilhelm, lebte sie noch zwei wochen, der kleine wilhelm lebte noch zwei monate, zehn tage danach starb elisabeths mutter, 1866 war kein gutes jahr und kein guter start für ein neues leben:

eine musste her, damit der kleine bauernhof weiter lebte, der keller sich mit eingemachtem füllen konnte, mit kartoffeln, mit dem schinken und mit essig gefüllten gläsern, in denen gurken ruhten wie kleine grüne föten, 1867 lebte hier, so die volkszählung, die kleine 13 jährige maria aus dem nachbarhaus, wohl weil noch die frau fehlte, so meine mutmaßung,

doch schon im gleichen jahr, im september, wurde geheiratet, wieder eine elisabeth, aus der benachbarten bauernschaft, wohl keine liebesheirat, so meine vermutung, aber aus ihr stammte mein urgroßvater, den ich vielleicht, wenn ich ihn denn hätte kennengelernt, lieb gehabt haben könnte, und auch eine vermutung, auch er ging in all den jahren in diesen keller, darüber die schlafzimmer, in denen er gezeugt wurde, in denen er zeugte, zehn kinder, acht söhne, zwei töchter, 1919 starben ihm zwei der söhne im august und im september, auch in diesem herbst wurden die birnen eingemacht und der holundersaft und die kartoffeln in die gestelle geschüttet, aus denen die eintöpfe und reibekuchen gemacht wurden, jahre über jahre, die vergessen wurden, ganze drei bilder besitze ich von ihm, bei der hochzeit seiner ältesten tochter sitzt er rechts auf dem bild auf einem holzstuhl vor dem haus, verschmitzt lächelnd, der alte steinmetz, der auch noch sohn ludger hatte, gelähmt mit zwölf, mein opa, sein bruder, pflegte ihn bis zu seinem tod, bewahrte ihn vor der fürsorge der nazis,

im keller konnte er niemals gehen, der im rollstuhl gefangene, andere brachten ihm den schinken, den er so gerne dünn geschnitten auf weißbrot aß, der große krieg ging fast glimpflich an uns vorbei,

einmal kurz vorm ende, bereitete man umherziehenden russen ein lager und kochte ihnen einen eintopf aus lauch: erinnerungsgerinnsel, familiengeschichte.

im keller des nachbarn erschlug man deren großvater mit einer schnapsflasche, alles geschichte, alles vergessen, eingetütet, alles abgerissen und planiert, aber ich weiß noch, ich erinnere mich noch, es war ein später nachmittag im august, anfang der siebziger, ich machte kein licht, ich ging hinunter, hatte keine angst, es war wunderbar kühl, ging an das winzige fensterchen, das den blick auf den garten freigab, und ich schaute durch ihn hindurch auf den stoppeligen acker, darüber flirrte die hitze des tages, ich stand dort und nahm einfach nur wahr,

und ich blickte viel viel weiter, den herrlich kalten steinfußboden an den füßen, der lange heiße tag draußen, die zeit, die verging, darin ich, inmitten, nahm ich wahr



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (27.01.24, 06:27)
Herzergreifend, lieber Herr Bert!
Das Stilmittel der Kleinschreibung unterstützt hier das Bild einer raschen Abfolge der Erinnerungen.
Und es gibt einen passenden, wunderbaren Schluss. :)
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