Gemischte Gedanken

Aphorismus zum Thema Leben

von  Graeculus

1.

Als die Maya von einer Klimakrise heimgesucht wurden, verdoppelten sie ihre Anstrengungen für den Tempelbau.
Wenigstens kommt man heute nicht mehr auf den Einfall, dagegen anzubeten.


2.

Es taugt nichts, wenn Leute mit dem Instinkt von Herdentieren über das Leben von Einzelgängern spekulieren.


3.

Eine feste Burg ist unser Gott: Da wird jeder Einwand als ein Riß in der Mauer angesehen.


4.

Der Koran hat den literarischen Charme eines Strafgesetzbuches: Du sollst, du sollst nicht; Belohnung und Strafe. Daß so viele Menschen gerade dies für das Wort Gottes halten, sagt einiges über die Menschen und wenig über Gott.


5.

In meiner ganzen christlichen Sozialisierung ist mir niemals der Gedanke nahegelegt worden, etwas zu prüfen und dann zu entscheiden.


6.

Ein Resümee über die Liebe: Schön ist der Anfang, schwer das Durchhalten, bitter das Ende.


7.

Wir sind vereint: du bist mein Feind.


8.

Ich bin versucht zu sagen, daß es zwei Arten von Menschen gibt: anständige und interessante.


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Kommentare zu diesem Text


 Terminator (09.02.24, 00:32)
Der Koran hat den literarischen Charme eines Strafgesetzbuches: Du sollst, du sollst nicht; Belohnung und Strafe. Daß so viele Menschen gerade dies für das Wort Gottes halten, sagt einiges über die Menschen und wenig über Gott.
Der Koran ist nur ein besonders extremes Beispiel für ein "heiliges Buch" von Herdenmenschen. Der (Mono-)Theismus ist ein soziales Herrschaftsinstrument, darüber habe ich heute versucht, mit christlichen Missionaren im Einkaufszentrum zu reden, nachdem sie mich ansprachen, war aber leider nach nur 4 Stunden Schlaf, einem üppigen Mahl und einem 2,5-stündigen Gespräch mit Augustus energetisch am Tiefpunkt. Mein Hauptargument gegen die "Strafgesetzbücher Gottes" war, dass wenn wir so glauben, als wenn wir ganz genau wüssten, was der richtige Weg ist, wir unseren freien Willen nicht mehr (ge)brauchen, und den Rest des Lebens als willenlose Automaten verbringen. Es ist dann wie in der Ehe: der Mann hat die Freiheit, das Jawort zu sagen, dann ist er für den Rest des Lebens ein Sklave.
Ich bin versucht zu sagen, daß es zwei Arten von Menschen gibt: anständige und interessante.
Ich weiß nicht, ob es, streng genug betrachet, überhaupt nur einen einzigen anständigen oder interessanten Menschen gibt. Es gibt eher zwei Arten von NPCs: die, denen wir im Laufe des Lebens zufällig begegnen und all die anderen.
Es taugt nichts, wenn Leute mit dem Instinkt von Herdentieren über das Leben von Einzelgängern spekulieren.
So rum ist es Klatsch & Tratsch, aber andersrum ist es Wissenschaft (ich bin mit der "Biologie des menschlichen Verhaltens" von Robert Sapolsky fast durch. Die Menschlichkeit-Allzumenschlichkeit wird derart peinlich seziert, dass ich so oft wie noch nie bei einem wissenschaftlichen Werk lachen muss).

 Agnetia meinte dazu am 09.02.24 um 11:46:
Der Koran ist nur ein besonders extremes Beispiel für ein "heiliges Buch" von Herdenmenschen. 
stimmt Terminator. 

 Graeculus antwortete darauf am 09.02.24 um 23:21:
Der Islam ist ja eine deterministische Religion, in der Allah alles bestimmt. Insofern ist es konsequent, wenn er seine Marionetten mittels Belohnung und Bestrafung steuert. So regiert er. In einem eigentlichen Sinne gerecht ist das freilich nicht.
Ein sinnvolles Gespräch darüber mit einem Gläubigen habe ich nie führen können.
Mir sind die antiken Götter eh lieber: Sie haben die Welt nicht geschaffen, sind zugänglich für klare Abmachungen mit Vorteilen für beide Seiten, und man darf über sie lachen (in den Satyrspielen, die zu jeder Dramenaufführung gehörten, sowie in den Komödien).

***

Es gibt schon Menschen, die ich als anständig empfinde - manchmal in der Art von Pedanten, manchmal aber auch in der Form, daß sie sich ihrer Schwächen bewußt sind und sich mit ihnen auseinandersetzen. Im Bereich der Letzteren findet man sogar solche, deren Leben interessant ist.
Ein schönes Beispiel (gut, in diesem Falle fiktiv) ist der Ödipus. Er wird als etwas arrogant und selbstherrlich dargestellt (bis zu seiner Katastrophe), ansonsten aber gut. In diesem Fall ist allerdings sein Schicksal das Spannende, während der Charakter erst dann interessant wird, als er sich mit diesem Schicksal auseinandersetzen muß.

***

Dieses Buch kenne ich nicht. Du meinst, daß sich dort ein Einzelgänger wissenschaftlich und zugleich verständnisvoll mit sozialen Wesen befaßt hat?

 Teichhüpfer (09.02.24, 04:06)
Die Religion ist durch den Mißbrauch vom Staat so gesetzt worden. Die Bibel hat nur Gleichnisse und ganz gute Lebensweisheiten. Einzelgänger sind auch in der Kindheit, durch stetige Hochleistung und Erfolgen gekommen. Gut gebrüllt, Löwe.

 Agnetia schrieb daraufhin am 09.02.24 um 11:48:
"Die Religion ist durch den Missbrauch vom Staat so gesetzt worden" Unsinn, Teichhüpfer- Niemand hat vom Staat die Religion missbraucht. Aber die Kirchentypen haben Kinder missbraucht...

 Teichhüpfer äußerte darauf am 09.02.24 um 14:18:
Doch, das Römische Reich hat die Kirche erschaffen, um das Volk in den Griff zu bekommen. Leider, ist das bis heute noch so. Jesus Christus hat gesagt, hier ist Ende. Allerdings kam in Griechenland so 150 n.Chr. einer von denen, der sagte, wir haben den Schlüssel zur Hölle. So ist der Auftrag klar gestellt.

 Pearl ergänzte dazu am 09.02.24 um 16:18:
Ja, Teichhüpfer, das glaube ich auch. Sekten und Religionen wurden geschaffen um uns, die Bevölkerung, zu bestimmen und Macht über uns auszuüben. Aber die Gleichnisse in der Bibel (und andren religiösen Büchern) sind manchmal sehr schön, literarisch, wie Märchen.

Auch glaube ich, dass altes Wissen in ihnen steht.

 Teichhüpfer meinte dazu am 09.02.24 um 19:47:
Das wird sehr Schwierig, Pearl. Wir sind nicht alle bei kv so gut gestellt. Ich habe heute hier eine Ansage gemacht, weil es so vier bis fünf Autoren gibt, die mir an das Leder wollen.

 Graeculus meinte dazu am 09.02.24 um 23:30:
Ich finde den Ansatz interessant, den Pearl und vermutlich auch Teichhüpfer wählt: die christliche Religion, um diese einmal zu nehmen, zu analysieren, bevor sie unter Kaiser Konstantin ihr Bündnis mit dem Staat geschlossen hat und diesem zur Disziplinierung seiner Untertanten diente.

Die Bibel hat in der Tat viele hübsche Geschichten, aber mich zumindest befriedigen sie nicht. Gott erschafft für uns das Paradies, stellt uns alle Bäume darin zur Verfügung, verbietet uns jedoch einen ganz bestimmten. Ja, weiß er nicht, was jeder Kinderpsychologe weiß - daß er damit eine unwiderstehliche Versuchung schafft?
Die Menschen sündigen, und Gott vernichtet sie zur Strafe mit seiner Sintflut. Alle, auch die Kinder! Und auch die völlig unschuldigen Tiere! Daß er von allem ein Paar ausnimmt, beruhigt mich nicht.
So kann man die Bibel durchgehen.

Und die frühen Christen zeichnen sich durch einen endlosen Streit über theologische Spitzfindigkeiten sowie eine erschreckende Intoleranz gegenüber Andersgläubigen (christlichen wie heidnischen) aus. Die ersten außerbiblischen Berichte über Christen berichten von heftigen Auseinandersetzungen zwischen Juden, für die Jesus der Messias war, und solchen, für die er es nicht war.

Toleranz ist nichts, was die monotheistischen Religionen auszeichnet.

 Teichhüpfer meinte dazu am 10.02.24 um 07:32:
Die Bibel wurde auch aus Staatsgründen so geschrieben, um dem Volk, Angst zu machen. Gott hat das Leben nicht geschaffen, um es zu töten.

 Graeculus meinte dazu am 10.02.24 um 14:19:
Gott hat das Leben und den Tod geschaffen, denn seine Naturordnung (wenn es denn seine ist) funktioniert nicht, ohne daß Lebewesen anderes Leben töten. Was übrigens sogar für Pflanzenfresser gilt.

 Teichhüpfer meinte dazu am 11.02.24 um 05:48:
Der Krieg, an wem hat es gelegen, das Leben.

 Graeculus meinte dazu am 11.02.24 um 15:37:
Der Krieg - in einem weiteren Sinne: als Kampf ums Dasein - hängt mit dem Leben zusammen. So Darwin.

 tueichler (09.02.24, 11:15)
Besonders (2.) hat es mir angetan. Da zittert gleich mein Eskenlaub 😂

 Graeculus meinte dazu am 09.02.24 um 23:31:
Das ist auch für mich der persönlichste Aphorismus.
Zittern wir also!

 Dieter Wal (09.02.24, 11:15)
Eine feste Burg ist unser Gott
Meint es das Luther-Gedicht, die Bachkantate? Sowohl das Gedicht, als auch die Kantate finde ich stark.


Da wird jeder Einwand als ein Riß in der Mauer angesehen.
Das gefällt mir. Philosophie, also jede möglicherweise kritische inhaltliche Nachfrage wird oft erwidert, als hätte man die Religion insgesamt in Frage gestellt und damit den Gläubigen beleidigt.


Der Koran hat den literarischen Charme eines Strafgesetzbuches
Du erinnerst Dich, was in Momo beschrieben wird, sobald man sich selbst zitiert? Liest sich, als hätte ein verhinderter Christ seine Bibel mit dem Koran verwechselt.


Daß so viele Menschen gerade dies für das Wort Gottes halten, sagt einiges über die Menschen und wenig über Gott.
Wohl wahr. Fundamentalismus.


In meiner ganzen christlichen Sozialisierung ist mir niemals der Gedanke nahegelegt worden, etwas zu prüfen und dann zu entscheiden.
Im Hebräischkurs sagte der Lehrer, wir sollten nicht biblische Weisheiten für wahr halten, sondern könnten mit ihnen unsere eigenen Erfahrungen machen.

Der sechste Aphorismus ist pessimistisch-wundervoll. Sieben ist lapidar-genial. Bei Achtens winkt Oscar Wilde. Anständige sind demnach uninteressant.

 Graeculus meinte dazu am 09.02.24 um 23:37:
Mit der festen Burg meine ich eine bestimmte Art von Religion, für die Luther oder Bach nur das Sympton sind. Religion als Schutz vor allen Anfechtungen und Zweifeln.

Ja, mit dem Charme eines Strafgesetzbucher zitiere ich mich selbst; ich habe aber noch etwas Neues angehängt. Meine ich.

Wenn das Dein Hebräischlehrer so sagte, sei er gepriesen. Ich habe nichts dergleichen kennengelernt. Da die antiken Religionen keine feste Theologie und damit auch keine Abwertung eigenen Denkens kennen, sind sie mir lieber.

Beim letzten Aphorismus brauchte ich nur mich selbst zu beobachten: Was finde ich spannend? Heiligenviten gewiß nicht. Aber es stimmt, hierin könnten Oscar Wilde und ich einander die Hand reichen.

 Dieter Wal meinte dazu am 10.02.24 um 00:13:
Wenn das Dein Hebräischlehrer so sagte, sei er gepriesen.
Bei diesem wundervollen Lehrer erhielt das Wort Oldschool wieder seine Würde im Sinn von klassisch zurück. Eine Mischung aus bis in die Kapillargefäße exaktem Wissenschaftler im Sinn reiner Philologie und hinter der Fassade des Geistmenschen ein spirituell Erleuchteter. Sein Unterricht war weit mehr als die Lehre des Hebräischen. Er schrieb seine Dissertation über Prophetie des Tanachs und war Schüler des legendären Georg Fohrer.


Bei Deiner verabsolutierten Aussage über den Koran vergisst Du, dass Du damit wesentlich mehr über Dich als religiös Suchendem und so gut wie nichts Essentielles über den Koran aussagst, das Bestand hätte. Genau wie Deine Aussagen über die Tora auf dem Stand eines 10-Jährigen blieben. Die Geschichten, welche in der Bibel gesammelt wurden, sollten sicher nicht biblizistisch aufgefasst werden, sondern waren ursprünglich mündliche Erzählungen, die in bestimmten Situationen für bestimmte Menschen erzählt wurden. Sie waren und sind nicht als Waschzettel für alle Lebenslagen gedacht und sagen ebensowenig etwas über Gott aus.


Da die antiken Religionen keine feste Theologie und damit auch keine Abwertung eigenen Denkens kennen, sind sie mir lieber.
Mir an sich auch. Doch machte ich mir bekannterweise die Mühe, ev. Theol. studiert zu haben und damit sämtliche vorher in großer Menge vorhandenen Vorurteile gegen die Bibel  wegzustudieren. Das ähnelt einem Virus, den man nie loswird. Vorhin sah ich mir die Liste von Büchern an, welche ich diese Woche bestellte. Fast alle sind theologischer Natur. Die jüdische Religionsvermittlung, wie ich bereits einmal schrieb, funktioniert ähnlich der von Dir gelobten antiken mehr über Teilnahme am Kult, als über Glaubensinhalte bzw. "Dogmen", die christliche Entwicklungen darstellen. Speziell im röm. Katholizismus.



Was finde ich spannend? Heiligenviten gewiß nicht.
Meister Eckhart finde ich in jeder Hinsicht hochgradig interessant. Auch Jakob Böhme, mit dem ich mich bisher leider noch so gut wie gar nicht näher beschäftigte, doch dies hoffentlich noch in diesem Leben nachholen werde. Besuchte in Erfurt dieses Jahr die Meister Eckhart-Tagung und habe leider knapp Terminator verpasst, der uns dort spontan besuchen wollte. Die Leute, denen ich dort begegnete, waren beeindruckend. Alles andere als Fanatiker oder Sektierer.

Antwort geändert am 10.02.2024 um 02:23 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 10.02.24 um 14:18:
Noch zum Koran: Mein Eindruck basiert 1. auf der Lektüre, 2. auf dem, was daraus bei Moslems, mit denen ich es zu tun hatte, gemacht wurde. Islamische Theologen habe ich nur randständig zur Kenntnis genommen.
Das einzige am Islam, womit ich wenigstens etwas anfangen kann, ist der Sufismus. Vielleicht sagt der sogar etwas Substantielles über Gott aus. Aber auch in dieser Hinsicht steht mir der Dionysos in Euripides' "Die Bakchen" näher. Es ist beunruhigend genug, aber wenigstens etwas mehr als eine Religion der Ge- und Verbote.

 Dieter Wal meinte dazu am 10.02.24 um 15:15:
War da bereits relativ weit im Theol.-Studium, was für eine tiefere Auseinandersetzungen mit dem Koran nützlich war. Die Falle des Biblizismus in koranischer Hinsicht war mir fest verschlossen. Hatte Jahrzehnte vorher einmal eine Anthologie der berühmtesten Koranexegesen erstanden und damit minimalen Einblick in koranische Theologie durch alle Zeiten. Dann empfahl mir ein Islamwissenschaftler bei Wikipedia namens Orientalist die  Koranübersetzung Rudi Parets mit Anmerkungsband, der für Laien ohne Arabischkenntnisse gedacht ist, die sich tiefer mit dem Koran auseinandersetzen möchten. Den in Verbindung mit Rückerts bildschöner metrischer Nachdichtung. Einen nicht nur für Christen in meinen Augen exzellenten Korangelehrten lese ich sehr gern immer wieder:  Mouhanad Khorchide. Sufismus war auch für mich die erste Thematik, bevor ich mich näher mit dem Koran auseinanderzusetzen begann, die mich anzog. Mein Papa lernte Arabisch, als ich Hebräisch studierte. Wir tauschten uns öfter über beiden Sprachen gemeinsame Wortstämme aus. :) Die Kalligraphie des Arabischen und Hebräischen gefällt mir. Und ihre Klänge ... . Zuletzt entdeckte ich dank Mondscheinsonate Rafik Schami für mich.

Antwort geändert am 10.02.2024 um 15:36 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 11.02.24 um 15:41:
Die Kalligraphie ist schön, ja. Ich könnte einmal was über den Koran lesen - ein paar Bücher darüber habe ich hier.
Was die Übersetzungen angeht, so halte ich mich gerne an solche, die aus der Tradition der jeweiligen Religion hervorgegangen sind, im Falle des Judentums etwa an die von Buber und Rosenzweig, und entsprechend bei den Moslems. Ich dachte immer, das sei fairer.

 Dieter Wal meinte dazu am 11.02.24 um 15:53:
Paret ist speziell in seinen Anmerkungen unschlagbar und kann sinnvoll verwendet werden, wenn man bei neuralgischen Stellen, ohne Hocharabisch studiert zu haben, nachsieht, was tatsächlich exakt dem Wortlaut nach im Text steht. Ein Gefühl für die Schönheit der Sprache gewann ich dabei nicht wirklich. Doch wenn ich Muslime den Koran sprechen höre, durchaus. Weshalb sollte man sich in religiösen Fragen an ungebildete Muslime wenden? Oder an ungebildete Christen? Buber/Rosenzweig benutze ich manchmal. Doch jenseits ihrer Originalität halte ich sie für eine scheußliche Übersetzung. Bubers sonstige Schriften schätze ich. Ruth Lapide brachte in ihren Vorlesungen der letzten Jahre als Ergänzungen arabische Wörter ins Spiel und zitierte mit den Koran. Das gefiel. Wer die nicht lieb hatte, dem war echt nicht zu helfen.

Antwort geändert am 12.02.2024 um 13:30 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 11.02.24 um 23:46:
Sprachlich schöner ist die Übersetzung von Moses Mendelssohn; doch von ihm gibt es m.W. nur die Thora.
Buber/Rosenzweig vermeiden immerhin die üblichen tendenziellen Fehler christlicher Übersetzungen wie "Auge um Auge, Zahn um Zahn" oder "Du sollst nicht töten".

Mir graust es davor, wenn in Koranschulen Kinder genötigt werden, den Koran auswendig zu lernen. Ich weiß, welche Folgen das hat.

 Dieter Wal meinte dazu am 12.02.24 um 13:47:
Die Mendelssohn-Tora ist sehr schön. Buber/Rosenzweigs experimentelle Übersetzung hat viel für sich, auch wenn sie mir als Sprachkunstwerk an sich eher nicht gefällt. Die Zunz-Tora, übersetzt von mehreren Rabbinern, mag ich sehr. Vom Herder-Verlag findet man die wunderschöne zweisprachige revidierte  Ludwig-Philippson-Tora, deren Vorworte sämtlicher Bücher der Tora von internationalen Rabbinerinnen und Rabbinern ausführlich kommentiert wurden, wobei die deutschprachige Übersetzungsgeschichte der Tora speziell berücksichtigt wird, was ich hochinteressant finde. Diese Tora ist in blauem Leder gebunden. Unglaublich liebevoll.

Von Koranschulen kann ich auch nichts Positives berichten. Den Koran auswendig zu lernen, kann eine sinnvolle Gedächtnisübung sein.

 Graeculus meinte dazu am 12.02.24 um 14:03:
Inzwischen habe ich in meinen Beständen zwei Bücher gefunden:
1. einen von Rudi Paret herausgegebenen Sammelband "Der Koran" in der WBG-Reihe "Wege der Forschung". Dem Thema Übersetzung des Koran wird dabei viel Raum gegeben, auch der Diskussion um Parets eigene Übersetzung;
2. Hans Zirker: Der Koran - Zugänge und Lesarten. Darmstadt 1999. Das Schreckliche: Dieses Buch habe ich ausweislich zahlreicher Randnotizen komplett gelesen ... und komplett vergessen. Das ist mir sehr unangenehm.

Herder hat - das weißt Du sicher - die insolvente WBG aufgekauft und ausgeschlachtet. Da stehe ich noch unter Schock.

 Dieter Wal meinte dazu am 16.02.24 um 19:35:
Dieses Buch habe ich ausweislich zahlreicher Randnotizen komplett gelesen ... und komplett vergessen. Das ist mir sehr unangenehm.
Vielleicht einfach Verdrängung. Hätte es nie für möglich gehalten, wie gründlich unser Gehirn zuweilen Dinge vergisst oder auch verdrängt. Der Roman "Jesus" Schalom Aschs beginnt mit dem bemerkenswerten Satz: "Nicht unser Gedächnis, sondern sein Gegenteil das Vergessen ist eine notwendige Bedingung unseres Daseins." Der komplette Roman dürfte Dir gefallen.

Antwort geändert am 16.02.2024 um 19:37 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 16.02.24 um 22:55:
Zumindest diese Aussage gefällt mir: sie beruhigt.

Ich möchte das Kaufen von Büchern stark reduzieren: auf eines pro Monat. Meine Zeit fürs Lesen wird knapp und knapper. Zumal ich nicht weiß, wer das alles einmal übernehmen wird.

 Agnetia (09.02.24, 11:52)
gefallen mir gut, nachdenklich und geistvoll, Graeculus. Bei 2 musste ich schmunzeln.
3 und 5 benennen die christliche Prägung, die, früh angelegt, es einem schwer macht, den Verein zu verlassen. Aber Gott ist auch ohne Kirche da...erlebbar und erfahrbar. ;)
LG von Agnete

 Graeculus meinte dazu am 09.02.24 um 23:38:
Du hast Gott erlebt, erfahren? Ich nie. Als ich zu beten gelehrt wurde, hatte ich recht bald, schon als Kommunionskind, das Gefühl, daß ich ins Leere spreche.
Aber ich fände es interessant, einmal einen Text darüber, also gleichsam einen Bericht, von Dir zu lesen.

 Agnetia meinte dazu am 10.02.24 um 11:17:
ich habe ein Buch geschrieben, Graeculus, und die Kurzgeschichten, die teilweise mystisch anmuten und doch alle wahr sind, spiegeln diese Erfahrung. ohne dass ich meinen Fokus darauf gelegt habe. 
Ich habe in vielen Kulturen gelernt, dass es egal ist, wie man diese "Macht" nennt. Man braucht die Religion nicht, die Institution-  vielleicht nur, um ersten Zugang zu finden zu Gott oder wie immer man ihn auch immer nennen will. ;)
Ich war ursprünglich mal evangelisch, bin aber lange schon aus Überzeugung ausgetreten. Meine "Beziehung" zu Gott aber hat das weder tangiert noch ihr geschadet,.

 Graeculus meinte dazu am 10.02.24 um 14:12:
Verstehe. Wenn die Transzendenz ganz allgemein verstanden wird, also ohne Bezug auf die monotheistischen und relativ dogmatischen Religionen, kann ich damit etwas anfangen. In dem Sinne, daß ich staunend vor manchen mystischen Erfahrungen stehe, obwohl ich selbst keine habe. Das heißt nicht, daß ich ihre Existenz leugne.

Zu meinem Hintergrund: Ich war katholisch, bin aber schon als junger Mann ausgetreten.

 AngelWings (11.02.24, 16:14)
Gott, ist!  Ist gestaltet von Menschen gemacht! 
Ohne Plural](in verschiedenen Religionen, besonders im Christentum) höchstes gedachtes und verehrtes überirdisches Wesen der allmächtige, dreieinige, gütige, gerechte Gott in der Mythologie) unsterbliches höheres Wesen von Menschengestalt, das die Verkörperung einer Naturkraft oder einer geistigen oder sittlichen Macht darstellt" heidnische Götter"


     Graeculus meinte dazu am 11.02.24 um 23:47:
    Gott ist von Menschen gemacht, eine Schöpfung nach unserem Bilde. Wohl unser projiziertes Ideal, so mächtig, daß er uns vor unseren bösen Feinden schützen kann.

     Dieter Wal meinte dazu am 12.02.24 um 14:22:
    Gott ist von Menschen gemacht, eine Schöpfung nach unserem Bilde. Wohl unser projiziertes Ideal, so mächtig, daß er uns vor unseren bösen Feinden schützen kann.
    Diesen Grundgedanken führte Ludwig Feuerbach eindrucksvoll aus. Eine niveauvolle Religionskritik, dessen Bücher sich zu lesen lohnen, auch wenn man ihr nicht inhaltlich zustimmt.

     Graeculus meinte dazu am 13.02.24 um 16:50:
    Gab es diesen Gedanken eigentlich schon vor Feuerbach? Ich meine, schon frühere Atheisten standen ja vor der Frage, wer warum Götter erfunden hat, obgleich es keine gibt.

     Dieter Wal meinte dazu am 13.02.24 um 23:07:
    Dürfte es so gut wie sicher vor ihm auch gegeben haben. Du dürftest alle kennen. Fällt Dir jemand dazu ein? Doch niemand vor oder nach Feuerbach gestaltete diesen Gedanken so kultiviert aus wie er.

     Graeculus meinte dazu am 13.02.24 um 23:43:
    Nein, es ist nicht so, daß ich da groß was kenne. Atheisten ja, schon in der Antike, aber soweit ich es sehe, haben erst Feuerbach und ziemlich zeitgleich Schopenhauer darüber nachgedacht, warum Menschen an nichtexistierende Götter glauben.
    Am nächsten kommt dem in der Antike noch der Gedanke, daß Menschen mit den Göttern Naturkräfte personifiziert haben. Aber schon der nächste, naheliegende Gedanke, daß sie dies deshalb tun, damit sie leichter auf diese Naturkräfte einwirken können (Riten, Opfer), ist mir aus der Antike nicht bekannt.

     Dieter Wal meinte dazu am 13.02.24 um 23:52:
    Dass sehr viele Menschen darüber nachgedacht haben dürften, vermute ich. Doch solche Gedanken im antiken Griechenland schriftlich zu fixieren, hätte zu diversen Zeiten und Gesetzen ihr Todesurteil bewirken können, was hoffentlich alle unterließen. Weißt Du, in welchen Zeiten im antiken Griechenland Atheismus mit Todesstrafe geahndet wurde?

     Graeculus meinte dazu am 15.02.24 um 13:41:
    Daß Atheisten u.ä. (Epikur als Deist) in Griechenland mit der Todesstrafe bedroht wurden, wäre mir neu - zumal die griechische Religion wenig auf dogamtische Festlegungen und viel auf Rituale gab.
    Falls Du hier an Sokrates denkst, gebe ich folgendes zu bedenken:

    Es stimmt allerdings, daß die wiederhergestellte Demokratie im Jahre 399 sich überreden ließ, Sokrates hinzurichten, aber das war keineswegs ein Akt brutaler Dummheit. Der Leser mag sich daran erinnern, was die Richterschaft, die über diesen Fall urteilte [ein Volksgericht], alles gesehen und durchgemacht hatte – ihre Stadt war von den Spartanern besiegt, ausgehungert und ihrer Wehr beraubt worden, die Demokratie abgeschafft und das Volk von einer üblen Tyrannei ausgeplündert. Er mag sich dann weiter darauf besinnen, daß der Mann, der Athen den größten Schaden zugefügt und Sparta die größten Dienste geleistet hatte, der Aristokrat Alkibiades gewesen war. Und dieser Alkibiades war ein ständiger Genosse des Sokrates gewesen, ja, und der schreckliche Kritias [Anführer der von Sparta eingesetzten 30 Tyrannen]  auch! Er mag weiter bedenken, daß, obwohl Sokrates ein ungewöhnlich gesetzestreuer Bürger war, er doch die Demokratie auf das heftigste kritisiert hatte.
    Es kann einen nicht wundern, wenn viele einfache Athener die Verräterei des Alkibiades und das oligarchische Wüten des Kritias und seiner Genossen für das unmittelbare Ergebnis Sokratischer Lehren hielten und wenn viele andere, die nicht zu Unrecht die Leiden der Stadt dem Umsturz der überkommenen sittlichen Werte zuschrieben, unter anderem auch Sokrates dafür verantwortlich machten, der alle Dinge unablässig und öffentlich in Frage stellte.
    Würde Sokrates heute unter diesen Umständen (sagen wir durch einen Gallup-Poll) freigesprochen werden, noch dazu nach einer so kompromißlosen Verteidigungsrede? Wir zweifeln, ob das Ergebnis günstiger für ihn ausfallen würde – eine Mehrheit von 60 bei 501 Stimmen. Daß die Todesstrafe folgte, hatte Sokrates sich selbst zuzumessen. Er weigerte sich bewußt, in die Verbannung zu gehen, und ebenso bewußt weigerte er sich, aus dem Gefängnis geschmuggelt zu werden.
    Nichts könnte erhabener sein als Sokrates‘ Haltung während und nach dem Prozeß, und diese Erhabenheit sollte nicht sentimental entstellt werden, indem man Sokrates als das Opfer eines unwissenden Pöbels ausgibt.
    Sein Tod war beinahe eine Tragödie im Hegelschen Sinne, ein Konflikt, in dem beide Seiten recht haben.


    [Quelle: H. D. F. Kitto, Die Griechen. Berlin/Darmstadt/Wien 1967, S. 213 f.]

    Der Sokrates-Prozeß hatte also einen komplizierten, nicht zuletzt politischen Hintergrund, und das Todesurteil ging auch auf das Konto eines äußerst merkwürdigen Verhaltens des Sokrates. Mein Eindruck: er wollte sterben.
    Auf keinen Fall handelte es sich dabei um ein Todesurteil wegen Atheismus.

     Dieter Wal meinte dazu am 15.02.24 um 13:50:
    Daß Atheisten u.ä. (Epikur als Deist) in Griechenland mit der Todesstrafe bedroht wurden, wäre mir neu
    Dann liegte ich damit völlig falsch. Danke. Das freut!


    Dein empfohlener Kitto kam mittlerweile an. Neben Drewermann.  Danke nochmal für die Buchempfehlung.

    Sokrates wollte leider offensichtlich sterben. Exil scheint ihm frei gestanden zu haben. Sein philosophisches athener Umfeld scheint ihm wesentlich wichtiger als Überleben gewesen zu sein. Bei Sokrates Tod triumphiert in meinen Augen aber auch das Prinzip Geist über das Prinzip Körper. Insofern finde ich diesen Tod mindestens so bemerkenswert wie den von Jesus. Vielleicht bemerkenswerter, weil er völlig anders motiviert gewesen sein dürfte. Doch beide Männer verband ihre enge Bezogenheit auf ihre völlig verschiedenen Umfelder und kulturelle Verwurzelungen.

     Graeculus meinte dazu am 16.02.24 um 15:54:
    Ein Freund, dem ich ebenfalls den Kitto empfohlen hatte, hat im Netz die Würdigung eines Kollegen aus Anlaß seines Todes gefunden. Nun schreibt man ja in einer Würdigung grundsätzlich Freundliches, aber allein den zitierten Äußerungen Kittos entnehme ich, daß er ein intelligenter, kultivierter und humorvoller Mensch war.
    Ein Beispiel:

    A student once asked him why such a fine temple had been built on a deserted mountain at Bassae. "We build our churches where the people are", he replied. "The Greeks built them where the Gods are."
    Er hat völlig recht, denn für Griechen waren die Tempel Wohnstätten der Götter, während kultische Handlungen außerhalb stattfanden.

    Antwort geändert am 16.02.2024 um 15:57 Uhr

     Dieter Wal meinte dazu am 16.02.24 um 17:10:
    für Griechen waren die Tempel Wohnstätten der Götter
    Wohnstatt würd ichs nicht unbedingt bezeichnen. Im salomonischen Tempel Jerusalems und seinem Allerheiligsten soll sich die Bundeslade befunden haben, die, glaubt man biblischen Berichten, erschreckende Wirkungen gehabt haben dürfte. Dionysos, Apollon und seine Schwester Artemis konnten auch teilweise sich äußerst erschreckend epiphanieren. Dass Kulthandlungen außerhalb griechischer Tempel stattfanden, wusste ich nicht. Bist Du Dir dabei wirklich sicher? Eine Gottesvorstellung, die bildlos wie die jüdische und später islamische war und ist, unterscheidet sich erheblich von Göttinnen und Göttern, denen bildhafte Darstellungen selbstverständlich sind. Ich mag ja die christlichen Kruzifixe als Gottesdarstellungen nicht wirklich, höflich formuliert. Sie ließen sich religionsgeschichtlich als dekadent interpretieren. Sozusagen als Tiefstpunkt religiöser Kultbilder. Und ja, es gibt selbstverständlich auch meisterhafte bildliche Christusdarstellungen in großer Fülle. Wie drastisch Epiphanien ohne Visualisierungen sein können, fand ich beeindruckend.

    Dein Kittozitat der Ausgabe 1967 spricht für sich. War dieser Typ intelligent. Leider fand ich es in meiner von 1957 heute Morgen noch nicht. Eher ungewöhnlich, wenn Verlage den Schriftsatz kippen und neue Seitenzählungen einführen. Und die englische Anekdote ist sehr schön.

    Antwort geändert am 16.02.2024 um 17:15 Uhr

    Antwort geändert am 16.02.2024 um 17:16 Uhr

     Graeculus meinte dazu am 16.02.24 um 22:53:
    Der jüdische Tempel ist - wenn ich recht informiert bin - sogar ein gutes Beispiel dafür, denn man stellte sich ihn als Jahwes Wohnung vor, während ihn normale Gläubige nicht betreten durften.
    Soweit ich weiß, hat Kitto in dieser Hinsicht auch für die griechischen Tempel recht. Und Opferhandlungen fanden darin nicht statt, sondern davor, m.W. sogar meist im Freien.
    Daß sich in griechisch-römischen Tempeln Götterdarstellungen befanden, ist selbstverständlich ein Unterschied zum Judentum - ebenso der Umstand daß es nur einen jüdischen Tempel gab, sozusagen die Wohnung.

     Dieter Wal meinte dazu am 16.02.24 um 23:10:
    denn man stellte sich ihn als Jahwes Wohnung vor,
     Ok. Schreib Einwohnung, und ich bin zufrieden. Er wurde dort als präsent verehrt. Dass dieser Gott dort ähnlich einem Menschen wohnt, war sicher nicht gemeint.

     Graeculus meinte dazu am 16.02.24 um 23:18:
    Ich habe das von Jan Assmann: Exodus. Ursprünglich war das ja wohl ein Zelt während des Exodus.

     AngelWings (16.02.24, 16:35)
    Wenn Gott uns schützen gönnte! Würde ja, keine Gewalt noch Totschlag geben, auf dieser Welt. Man soll unbedingt mal Devils Bibel lesen.

     Graeculus meinte dazu am 16.02.24 um 22:48:
    Was ist denn "Devil's Bibel"?
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