Supermarkt

Text

von  Mondscheinsonate

In einer (unnötigen) kilometerlangen Supermarktkassenschlange angestellt, sprach mich eine Dame an, vermutlich aus purer Langeweile, dachte ich zunächst. Sie fragte mich, ob ich immer schon so gesund eingekauft habe? Verwundert drehte ich mich um, sah ihr ins Gesicht, ihre Nasenlöcher hatten rote Stellen, dann in die Augen und entdeckte eine Sucht. Ich verneinte, antwortete, dass ich erst seit kurzem umgestiegen bin, die Befunde zwingen mich dazu, warum sie denn fragt, fragte ich. Sie meinte, das kann sie leider nicht, sie sei so ein "Genussmensch" und während sie sprach, sah ich zwei Zähne oben, verfault und vier unten, ebenfalls voller Karies, sonst war nichts mehr im Mund. Ihr "Laberflash" war bezeichnend für Speed oder Crack, ihre Zähne deuteten auf ein mieses Schicksal hin. Sonst war sie sauber gekleidet, eher im unteren Verdienstsegment tümpelnd, auch die Ausdrücke waren einfach. Mit jedem Satz machte sie sich selbst runter, jeder Satz begann mit "Ich kann das nicht" oder "Ich habe es versucht, aber das geht nicht." Ich hörte ihr aufmerksam zu, sie begann mich zu interessieren, die Schlange stagnierte, somit hatte sie Zeit zu reden. Sie fragte, wie alt ich sei? Ich sagte 47, noch. Sie sagte, sie sei ein wenig jünger, 40, sagte, ich sehe viel jünger aus und solle noch lange mich so halten, sie wünsche es mir, da sagte ich, dass Falten jetzt nicht die große Verheißung wären, aber ich sehe ihnen jetzt entspannter entgegen, besser als die Frauen, die ihre Gesichter nach hinten ziehen lassen und die Augen und überhaupt gruselig aussehen. Da lachte sie, sagte, das ist wirklich schlimm, sie würde nie Geld für Botox ausgeben. 

Endlich am Ziel angekommen, fragte sie mich, ob ich ein bisschen Geld für sie hätte? Ich dachte, "Nicht schlecht, Frau Specht, sich annähern, um dann zu schnorren!". Ich antwortete zuerst nicht, ich fand sie nett, aber das war eine beklemmende Situation. Sie kaufte ein Red Bull - Imitat und eine Wurstsemmel. Ich sagte, dass ich ihr das bezahle, aber kein Geld in die Hand gebe (ich fördere Sucht nicht). Sie blieb äußerst höflich, bedankte sich mindestens zehn Mal. 

Ich musste noch lange über diese Begegnung nachdenken. Niemand kann heutzutage mehr sagen: "Ich habe es nicht gewusst." Ich hatte trotzdem unendliches Mitleid in mir und ... Wut. 


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Kommentare zu diesem Text


 Redux (25.03.24, 19:50)
Du bringst es zum Schluss auf den Punkt. Genau so ist es: unlösbar!

 Mondscheinsonate meinte dazu am 25.03.24 um 19:55:
Es ist zum kotzen, die war wirklich nett, vom Reden her ein Häuflein Elend. Ihr hat man vermutlich nie gesagt, dass sie ein wertvoller Mensch ist. Und, Kontakte knüpfen, um zu schnorren, das ist unterste Schiene.

 Regina antwortete darauf am 26.03.24 um 01:25:
Wenn eine so weit runter ist, macht die unterste Schiene das Kraut nicht fett. Was soll sie machen? Das Sozialgeld geht vermutlich schneller für die Sucht drauf als der nächste Erste des Monats kommt und bis dahin muss sie irgendwie überleben.

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 26.03.24 um 08:31:
Du hast Recht.

 eiskimo (26.03.24, 07:24)
Mal abgesehen von der "moralischen Verarbeitung" - Du beschreibst diese Begegnung ausgesprochen intensiv und packend! Volle Punktzahl.
LG
Eiskimo

 Mondscheinsonate äußerte darauf am 26.03.24 um 08:33:
Vielen Dank.

 Dieter_Rotmund (26.03.24, 12:27)
mal-> Mal

 Mondscheinsonate ergänzte dazu am 26.03.24 um 12:54:
Danke für deinen wichtigen Beitrag, besonders nach deinem Faux pas konntest du wieder damit punkten.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 26.03.24 um 13:41:
Nun ja, ich bin auch nur ein Mensch.

 Teo (28.03.24, 17:33)
Hi Cori,
ich werde sehr selten um Geld angebettelt. Auf der Einkaufsstraße in Herne sitzen alle paar hundert Meter Menschen aller Altersgruppen. Da schmeiß ich schon mal bei dem einen oder anderen ein paar Euro in den Becher. Alle bedankten sich bisher immer sehr höflich. Bei den meisten konnte ich weder Merkmale einer Sucht noch abgerissene Kleidung feststellen.
Die waren einfach nur arm....schlimm genug.
Das machte mich schon nachdenklich.
Ja, stimmt traurig, deine Geschichte.
LG
Teo

Kommentar geändert am 28.03.2024 um 17:34 Uhr

 Mondscheinsonate meinte dazu am 28.03.24 um 18:00:
Ich werde auch selten angesprochen. Das hat mich auch lange nachdenken lassen.
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