Ein fast perfekter Plan

Kurzgeschichte zum Thema Schicksal

von  KonstantinF.

Viel gab es jetzt nicht mehr zu erledigen. Steffens akribisch geführte To-do-Liste enthielt nur noch wenige unwesentliche Punkte, die er leicht in den noch verbleibenden Tagen abhaken konnte.

Seine Wohnung war gekündigt und Nachmieter, wie nicht anders zu erwarten, schnell gefunden. Die sympathischen jungen Leute, die sich ihr erstes Nest einrichten wollten, hatten sogar einige Möbelstücke, wie den edlen weißen Garderobenschrank, übernommen. Nur wenige seiner Möbel würde er mitnehmen, ein kleiner Container war bereits bestellt. Für den Rest hatte er ein Entrümpelungsunternehmen bestimmt, das auch die Endreinigung übernehmen würde.

Behördliche Angelegenheiten wie die Abmeldung des Wohnsitzes, Adressänderungen, Kontoauflösungen – an alles hatte Steffen gedacht. Ein Auto besaß er schon seit zwei Jahren nicht mehr. Nach dem plötzlichen Herztod seiner Frau bestand für ihn kein Anlass mehr zu Ausflugsfahrten, und innerhalb der Stadt kam er gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurecht. Sowieso war ihm diese Stadt in letzter Zeit immer mehr zuwider geworden, Menschenansammlungen vermied er, wo es ging.

Das Flugticket war längst gebucht, und am kommenden Montag würde er endlich bei Caro und ihrer kleinen Familie in Irland sein. Er hatte lange gebraucht, um sich zu diesem Schritt zu entscheiden. Doch was sollte er hier noch in der Wohnung, die für ihn allein viel zu groß war? Deshalb schien ihm der kleine Ort an der irischen Westküste, wo seine Tochter Caro seit fünf Jahren lebte, geradezu als Paradies für seine letzten Lebensjahre als Rentner.

Plötzlich hatte sich nämlich alles sehr schnell gefügt: Caro und ihr Mann Seamus hatten ihm das kleine Cottage aus Seamus‘ Erbe angeboten, das jahrelang als Ferienhaus genutzt worden und deshalb komplett eingerichtet war. Steffen kannte es von zwei Besuchen und hatte sich sofort wohl darin gefühlt. So konnte er sein eigener Herr bleiben und doch in der Nähe der Familie im selben Ort sein. Langweilig würde es ihm dort bestimmt nicht werden – der kleine Sean, den er seit der Taufe nicht mehr gesehen hatte, konnte inzwischen laufen und erste Worte babbeln. Steffen freute sich wie ein Kind auf Spiele am Strand und Ausflüge mit dem Kleinen. Er legte Wert darauf, dass sein Enkel zweisprachig aufwachsen sollte. Caro teilte seine Meinung. Aber ein wenig Unterstützung seinerseits würde sicher nicht schaden. Caro hatte sowieso immer genug zu tun als Deutschlehrerin und im Büro ihres Mannes, der sich einen eigenen kleinen Handwerksbetrieb aufgebaut hatte. Seamus konnte ganz sicher hier und da Hilfe brauchen. Steffen freute sich auf alles, vor allem auch darauf, sein Englisch im Laufe der Zeit zu perfektionieren. Seamus' mehr als dezenten Hinweis, dass nebenan eine sehr nette alleinstehende ältere Dame wohne, hatte er geflissentlich überhört.

Eine Woche später landete er nach einem ruhigen Flug fast pünktlich auf dem Shannon Airport. Wenig später lagen sich Caro und Steffen in den Armen. Der kleine Knirps, der sich zunächst ein wenig zögerlich an die Beine seiner Mutter klammerte, fasste schnell Vertrauen zu Steffen und ließ sich von ihm auf den Arm nehmen. Er musterte ihn zwar kritisch, flüsterte dann aber fragend „Opa?“, was Steffen fast zu Tränen rührte. Caro musste Sean gut vorbereitet haben. „Brought me something?“, lispelte der Kleine dann, und Steffen konnte nicht umhin, den Teddy mit Lederhose aus seiner Reisetasche zu kramen, den Sean entzückt mit einem „Thank you, Opa!“ entgegennahm und an sich drückte. Auf dem Weg zur Parkgarage wurde der Kleine dann unruhig und rief aufgeregt: „Show you car!“. Caro erklärte ihrem Vater, dass Sean ganz vernarrt sei in ihren neuen kleinen Flitzer und am liebsten den ganzen Tag herumgefahren werden wolle.

Es regnete stark, als sie den letzten Teil der Strecke auf einer engen Landstraße zurücklegten. Steffen liebte diesen irischen Regen, der meistens nicht lange anhielt und nach dem sich die Landschaft mit ihren hohen Fuchsienhecken wieder strahlend und wie frisch gewaschen präsentierte. Er hatte dieses Land schon bei seinem ersten Urlaub vor etlichen Jahren lieben gelernt und Caros Wunsch nach einem Auslandssemester in Galway sofort unterstützt. Dass sie sich schon nach wenigen Wochen in Seamus verliebte und gar nicht mehr zurück nach Deutschland wollte, konnten ihre Eltern zunächst nicht so leicht verdauen. Aber an Seamus gab es absolut nichts auszusetzen. Einen besseren Schwiegersohn hätten sie sich kaum wünschen können, hatten seine Frau und er schnell erkannt.

Der übergroße rote Traktor scherte unvermittelt hinter einer unübersichtlichen Kurve aus einem Feldweg aus. Caro hatte nur für eine Sekunde nach hinten zu Sean geschaut und keine Chance mehr auszuweichen.

Als die Retter eintrafen, konnten sie für Vater und Tochter nichts mehr tun. Das Kleinkind auf der Rückbank hing ziemlich schräg in den Gurten des Kindersitzes, schien aber unversehrt. Es schrie wie am Spieß. Den Teddy mit der Lederhose hielt es wie zum Schutz fest an sich gedrückt.



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Kommentare zu diesem Text


 Jane_Doe (09.04.24, 18:34)
Hi Konstantin, 

Man kommt gut rein, aber ich fragte mich, Warum relativ viel angerissen wird, aber ich als Leser nicht zum wichtigen Punkt geleitet werde. Bzw nicht weiß, was jetzt das Wichtige ist: Die Auswanderung, das Verhältnis der Charaktere oder wirklich nur der Schockmoment am Ende? 

Aus der Short Story könnte man mehr machen. Hat Potenzial. 

LG, Jane

 KonstantinF. meinte dazu am 09.04.24 um 21:56:
Jane_Doe, die Frage ist doch: Muss ich den Leser an die Hand nehmen und ihn an den „wichtigen Punkt“ geleiten?  Oder kann dieser Punkt nicht schon aus dem Titel abgeleitet werden?

fragt Konstantin

 Jane_Doe antwortete darauf am 10.04.24 um 00:15:
Dem Leser alles vorkauen und dem Leser soviel zur Verfügung stellen, dass er nicht die Intention des Textes hinterfragt, sind zwei verschiedene Paar Schuhe. 

Aber okay, not my circus, not my monkey. 
Jedem sein Himmelreich.

 Quoth (09.04.24, 22:23)
Du liebst Deine Figuren nicht, wenn Du sie so leichtfertig und schnell einem Unfall zum Opfer fallen lässt. Das spüre ich als Leser und habe das Gefühl, nur ein belehrendes Gedankenexperiment über Planung und Zufall vorgesetzt zu bekommen.

 KonstantinF. schrieb daraufhin am 09.04.24 um 23:17:
Ach Quoth, wie langweilig wäre es, wenn ich alle meine Figuren lieben würde! Dann könnte ich ja nie über einen Bösewicht, einen Wähler einer geächteten Partei oder einen unliebsamen Politiker schreiben. Wo käme ich als Autor denn da hin?

Antwort geändert am 10.04.2024 um 09:36 Uhr

 Quoth äußerte darauf am 10.04.24 um 09:52:
O, Bösewichte sind die absoluten Lieblinge vieler Autoren ... Aber ich werde mich hüten, Dich zu Überzeugungen bekehren zu wollen, die Du ablehnst.

 KonstantinF. ergänzte dazu am 10.04.24 um 09:58:
Überzeugungen (auch noch in der Mehrzahl), die ich ablehne? Da kann ich Dir nicht mehr ganz folgen.
Was stört Dich an meinem Text, den Du andererseits empfiehlst, denn wirklich?

 Fridolin meinte dazu am 11.04.24 um 03:01:
Empfohlen hätte ich Deinen Text auch gerne, wäre nicht dieses merkwürdige Ende. Eine "Moral" wird es wohl kaum transportieren wollen; dazu ist es allzu banal. Dass Strassenverkehr gefährlich ist, ist sattsam bekannt.  Bleibt die Frage, was Du denn sonst sagen willst mit diesem Ende? Macht es Dir eventuell einfach Freude, Deinen Lesern den Stinkefinger zu zeigen?

 KonstantinF. meinte dazu am 11.04.24 um 09:51:
Schade, Fridolin, dann muss ich mich wohl damit abfinden, dass ich mit diesem Text nicht rüberbringen konnte, was ich ausdrücken wollte, nämlich: Man kann sein Leben noch so akribisch planen, und es kann dann in Sekundenschnelle ohne eigenes Zutun doch alles zunichte gemacht werden.

Wie kommst Du übrigens auf die Idee, jemand könnte seinen Lesern einen Stinkefinger zeigen wollen? Kommt das hier öfters vor? Für mich unvorstellbar!

 Fridolin meinte dazu am 11.04.24 um 18:52:
Noch mal anders: Es ist ein Jammer, dass Du einen wirklich schönen Text für eine Plattitüde verschenkst.
Streich den Titel für "Das Leben kann schön sein" und streich diesen unsäglichen Schluss, und Du bekommst eine Eins mit Sternchen.
Oder hast Du Angst vor einem "happy end"?

 KonstantinF. meinte dazu am 11.04.24 um 19:10:
Nein, Fridolin, ich wollte keine „Das Leben kann schön sein“-Geschichte schreiben, auch für eine Eins mit Sternchen lasse ich mich nicht davon überzeugen. Geschichten mit happy end finde ich meistens langweilig. Eine merkwürdige Vorstellung, dass man „Angst“ vor einem happy end haben könnte.

Ich wollte gerade diesen Bruch und das Aufzeigen der Vergeblichkeit all seiner Planungen. Ich kann darin auch keine Plattitüde erkennen. Schade, dass Du ein Problem mit diesem „unsäglichen Schluss“ hast.

Antwort geändert am 11.04.2024 um 19:10 Uhr
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