Feingrubers Nähmaschine

Kurzgeschichte zum Thema Familie

von  KonstantinF.

 

Das Zerwürfnis in der Familie Feingruber begann nach dem Tod der Oma Feingruber mit einer Nähmaschine. Und das kam so:

Anton, der Lieblingssohn der Feingruberin, hatte nach dem Krieg ein armes Flüchtlingsmädchen aus Ostpreußen geheiratet. Die Familie, zu der sich sehr schnell drei Kinder gesellten, kam gerade so über die Runden. Die Oma Zebrowski, also die Schwiegermutter von Anton, trug mit Schneiderarbeiten ein wenig zum Lebensunterhalt bei. Von einer mitfühlenden Nachbarsfamilie hatte sie vor Jahren eine klapprige Tretnähmaschine bekommen, doch diese gab immer öfter ihren Geist auf. Der Riemen war schon mehrfach erneuert worden, das Fußpedal saß locker, und eigentlich war das ganze Teil nur noch Schrott.

Auch die alte Feingruberin, Mutter von sechs Kindern, von denen eines im Krieg gefallen war, hatte eine Nähmaschine besessen, ein bisschen besser in Schuss als die von Oma Zebrowski. Für Anton, der sich in den letzten Jahren am meisten um seine Mutter gekümmert hatte, schien es daher selbstverständlich, dass er diese Familiennähmaschine an sich nahm und seiner Schwiegermutter, immerhin einer gelernten Schneiderin, schenkte.

Aber da hatte er die Rechnung ohne seine vier Schwestern gemacht! Berta, Erna, Frieda und Lisa, die sich untereinander sonst gar nicht immer grün gewesen waren, bekundeten plötzlich alle ihr Interesse an der Nähmaschine. Natürlich hätte nur eine sie bekommen können, aber Hauptsache, sie fiele nicht in die Hände der Oma Zebrowski. Dazu muss man sagen, dass es aus dem Haushalt der Feingruberin nichts weiter zu vererben gab, sah man von ein paar Uraltfotos ab, die übrigens auch Anton an sich genommen hatte.

Anton ließ nicht mit sich reden. Seine Schwiegermutter behielt die Nähmaschine und konnte so weiterhin ein paar Mark nebenbei verdienen, die oft an die Kinder flossen. Die Schwestern zogen sich beleidigt zurück. Sie redeten mehr als zehn Jahre lang kein Wort mehr mit Anton, was nicht allzu schwer war, weil alle in unterschiedlichen Dörfern lebten. Ein Telefon besaß damals sowieso niemand.

Dann sprach eine von Antons Nichten ein Machtwort. Sie wollte heiraten und wünschte sich eine große Familienfeier – mit der ganzen Sippe. Anton überlegte gar nicht lange und kam mit seiner inzwischen auf fünf Kinder angewachsenen Familie und Oma Zebrowski im Schlepptau tatsächlich zur Hochzeitsfeier. Im Laufe des Abends wurde dann bei dem einen oder anderen Kaltgetränk so etwas wie Frieden geschlossen. Niemand konnte noch verstehen, warum es überhaupt jemals zu einem Streit gekommen war.

Die Nähmaschine wurde an diesem Abend und auch später nicht wieder thematisiert. Aber sie arbeitete einwandfrei bis zu Oma Zebrowskis Tod.

 



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