Vive le vélo, et adieu....

Bericht zum Thema Realität

von  eiskimo

In Bonnard, dem französischen Dorf, wo ich regelmäßig einkehre, ist sonntags – sofern es nicht gerade schüttet oder stürmt – Zweiradauftrieb. Ja, da treibt es „les sportifs“ auf die Straße, auf die „route départementale“ , die hier kurvenreich und wellig, dafür aber wenig befahren ist.

Es gibt bei diesen „Zweirad-Sportiven“ zwei sehr leicht zu unterscheidende Gruppen. Die einen sind meist gertenschlank, tragen eng anliegende farbenfrohe Maillots, zeigen unverhüllt ihre drahtig-muskulösen Beine, und sie bewegen sich sehr diskret. Man hört sie weder kommen noch weiterfahren, denn sie sitzen elegant auf filigran gebauten Rennfahrrädern. Ein sehr ästhetischer Anblick, wenn diese Pedalritter – darunter auch sehr sportliche Damen – da im Dorf Halt machen. Es entsteht ein bisschen Tour de France-Ambiente, denn „le vélo“ gehört einfach zum französischen Nationalgefühl.

Nicht ganz so französisch und mit einer anderen Interpretation von „Sport“ kommt die andere Gruppe daher – sie mutet eher amerikanisch an, Easy Rider – like. Die Vokabel „diskret“ wäre bei ihnen auch fehl am Platze, weil man sie schon von weitem heranröhren hört. Sie wollen in Bonnard auch gerne bemerkt werden, wenn sie ihre hochmotorisierten Rockerbikes vor der „Bar du Sport“ extra nochmal aufheulen lassen.

Damit bringen diese Besucher natürlich eine ganz andere Kraft zum Ausdruck – schon, die Coolness, wie sie ihre chromblitzenden Boliden vorfahren. Ihr schwarzes Lederoutfit in XL lässt sie im Vergleich zu den Radrennern geradezu gewaltig aussehen, wenn sie gewichtig absteigen und zur Bar schreiten, breitbeinig, als hätten sie ein Plus an Testosteron dazwischen gebunkert.

Valérie und ihr Lover Jacky von der „Bar du Sport“, die in der Woche nur eine überschaubare Stammkundschaft zu bedienen haben, freuen sich natürlich über den sonntäglichen Zulauf an „sportifs“.

Deutlich mehr Spaß haben die beiden dabei an der zweitgenannten Gruppe. Die kommen später, bleiben länger und, so Valérie unumwunden: „Ils consomment!“ Die konsumieren in der Tat, denn wenn so üppg Motorisierten einmal in geselliger Runde vereint sind, wird nicht nur getrunken und geraucht – sie lassen sich auch Valéries Sonntagsmenü schmecken.

Kein Vergleich also mit den „cyclistes“, die am späten Vormittag nur mal kurz für ein „eau minérale“ angehalten hatten und ansonsten lediglich ihre Trinkflaschen nachfüllten – gratis, mit Valéries Leitungswasser.

Was ich in den letzten Jahren bei diesem Zweirad-Auftrieb, die spätestens im Mai einsetzt, allerdings beobachten konnte: Die Gruppe der nur Wasser Trinkenden schrumpft. Es gibt immer weniger von diesen asketischen Rennrad-Adepten, die sich hinauf in die Berge des Morvan quälen wollen. Dagegen nimmt die Zahl der Motorsportler massiv zu. Denn nicht nur die beschriebenen Easy-Riders wollen den Swing des welligen Geländes hier auskosten; es kommen auch immer mehr Motocross-Sportler, die abseits der „départementale“ das Gelände durchfurchen. Entsprechend eingeschlammt sehen dann sowohl die Piloten als auch die Trial-Maschinen aus, die sich am Ende des Parcours im Dorf präsentieren.

Und: Valérie und Jacky können sich sogar noch über weitere Groß-Konsumenten freuen: Die Quadfahrer. Böse Zungen im Dorf behaupten, das seien nur die zu dick gewordenen Motorradfahrer, die das Gleichgewicht nicht mehr halten könnten... Für die Betreiber der „Bar du Sport“ ist das freilich egal, und mit der Definition von „Sport“ nehmen es die beiden eh nicht so genau.

Ich für meinen Teil vermeide es, am Sonntag auf die Wanderwege rund um Bonnard zu gehen. Da hört man nicht nur von allen Seiten die hochdrehenden Motoren. Man riskiert auch hinter jeder Biegung der ungezügelten Bewegungslust der Cross-Piloten zum Opfer zu fallen.

Als ich diese neue Rodeo-Kultur einmal am Bar-Tresen ansprach – nicht bei einer „eau minérale“ und auch nicht sonntags, wurde Jacky fast philosophisch: „La moto est un culte,“ hob er an, und - versonnener Blick -  fast alle hätten Zugang dazu, ohne Askese und Idealgewicht. „Et il y a l´industrie! C´est un business énorme.....“

Und was riet mir noch Valérie ganz pragmatisch „Man muss abends spät spazieren gehen, am besten im Dunkeln. Dann hast du die ganze Natur für dich.“

Ich glaube, sie meinte das tatsächlich ernst.



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (02.05.24, 16:28)
Wie sich die Zeiten ändern. Es hieß mal: "Der frühe Vogel fängt den Wurm."
LG
Ekki

 eiskimo meinte dazu am 02.05.24 um 18:19:
Ganz früh morgens wird man wahrscheinlich auch unbehelligt bleiben. Meine Cross-Freunde gehören sicher mehrheitlich zu den Langschläfern.
LG
Eiskimo
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram