2. Recht und Politik

Text

von  Elisabeth

Natürlich war es schon längst dunkel und die ersten Sterne standen am Himmel, als Derhan die Alte Stadtmauer durchschritt und zur Prozessionsstraße eilte, die hinaufführte zur Oberstadt, wo neben dem Ratspalast der Tempel des Ungenannten stand. Die Tempelfront war übergossen vom orangenen Schein des Ewigen Feuers, doch nicht der Tempel war Derhans Ziel, denn außer der Handvoll Priester, die sich nachts um das Feuer kümmerten und für die wenigen nächtlichen Besucher die Gebete an den Gott sprachen, war dort zur Zeit niemand. Der Hohepriester des Ungenannten aber wohnte in einem vornehmen Haus direkt an der Prozessionsstraße, am oberen Ende des Aufstiegs zur Oberstadt.

Als er vor der Eingangstür stand, überlegte Derhan einen Moment, ob er zu so später Stunde noch beim Hohepriester vorstellig werden konnte oder sich durch die Störung aller Chancen beraubte, Gehör zu erhalten. Aber rechts und links der Tür brannten die Lampen, über dem Dach sah man Lichtschein aus dem Innenhof des Hauses, und Derhan hörte Stimmen und Lachen, anscheinend fand in diesem Haus noch ein geselliges Miteinander statt. Allerdings mochte das Eindringen eines Fremden in eine Gesellschaft als noch unangenehmer empfunden werden, als die eher private Störung kurz vor der Nachtruhe. Trotzdem faßte Derhan sich ein Herz und klopfte an die einladend beleuchtete Tür.

Ein vornehm gekleideter junger Mann öffnete. "Was wünscht ihr, Herr?" fragte er mit etwas blasiert klingender Stimme.

Derhan verneigte sich tief. "Ich bin Derhan aus Menrish und wurde vor einigen Jahren im hiesigen Tempel zum Arzt ausgebildet", stellte er sich vor. "Ich brauche die Hilfe eures Herrn."

Der junge Mann, der wohl nichts anderes als der Türwächter des Hohepriesters war, nickte und ließ Derhan ein, bat ihn jedoch, in dem großzügigen Vorhof direkt hinter der Eingangstür zu warten, während er in den Innenhof zu der Gesellschaft ging, wahrscheinlich um zu fragen, ob Derhan empfangen wurde. Es dauerte nicht lange, bis der Türwächter in Begleitung eines elegant gekleideten, schlanken Mannes in fortgeschrittenem Alter in den Vorhof zurück kam.

Erst auf den zweiten Blick erkannte Derhan den Hohepriester, den er bisher nur in seinen prachtvollen Tempelgewändern gesehen hatte. In seinem Haus waren die dem Gottesdienst vorbehaltenen Kleidungsstücke sicher unangebracht, aber er trug nicht einmal eine weiße Gelehrtenkappe. Seine bodenlange Tunika und das bei den Männern der adligen Familien übliche, locker über eine Schulter und die Hüfte geschlungene Tuch waren allerdings aus sehr feinem, in verschiedenen Farben schimmerndem Stoff, so daß seine Privatkleidung kaum der Pracht der Tempelgewänder nachstand.

Auch wenn Derhan nicht an die Fürsorge der Götter glaubte, erwies er doch dem offiziellen Vertreter der Institution, der er seine Ausbildung zum Arzt verdankte, den schuldigen Respekt, indem er sich nun ehrerbietig verbeugte. "Euer Eminenz, bitte entschuldigt die Störung", beeilte er sich zu versichern, "aber ich brauche eure Hilfe."

Der Hohepriester nickte und wedelte vor Derhans Nase kurz mit der Hand, anscheinend ein Zeichen für ihn, daß er sich aus seiner Verbeugung erheben sollte. "Wir feiern gerade die Amtseinsetzung des neuen Hohepriesters in Hannai", erklärte der Hohepriester von Berresh, "aber die Herren werden sich auch eine Weile ohne mich unterhalten können." Und er geleitete Derhan in einen kleinen Raum, dessen Wände hinter büchergefüllten Schränken verborgen waren. "Setz dich, mein Sohn", bot er Derhan einen Platz auf einem der unbequem aussehenden Holzstühle an. "Wofür brauchst du meine Hilfe?"

Derhan mußte sich einen Moment sammeln, bevor er das Geschehen in seinem Hause ruhig darlegen konnte: "Ich bin hier in Berresh nur Mitwohner, wie ihr wißt. Während meiner Abwesenheit besuchte mein Patron mein Haus, brachte meine Gattin dazu, ihn zu unserem siebenjährigen Sohn zu lassen, und hat diesen dann in meinem Haus vergewaltigt."

Der Hohepriester zog die Augenbrauen hoch. "Dein Patron ist doch nicht ebenfalls ein Tempelgelehrter, oder?" fragte er dann.

Derhan schüttelte den Kopf. "Es ist...", aber der Hohepriester winkte ab. "Wenn kein Angehöriger des Tempels direkt daran beteiligt ist, denke ich, daß es eher ein Fall für die weltliche Gerichtsbarkeit ist. Dafür brauchst du natürlich einen Vertreter vor Gericht, denn dein Patron kommt dafür selbstverständlich nicht in Frage. Aber ich glaube, darin kann ich dir wirklich helfen, denn wie es der Zufall will, gehört zu meinen Gästen heute abend auch Manord Havatim, der einen Narren an den Oshey und euch anderen Leuten aus dem Westen gefressen hat. Er wird dir sicher helfen." Der Hohepriester stand auf und winkte durch die noch offene Tür einen der Sklaven aus dem Innenhof zu sich. "Geh' und hol' mir Manord Havatim, mein Junge."

Der Sklave nickte und lief durch den Innenhof in das Speisezimmer.

"Versteh' mich nicht falsch, Derhan. Wenn es um einen Frevel gegen die Götter ginge oder gar dämonische Umtriebe, würde ich selbst vor der Herabrufung des Ungenannten nicht zurückschrecken, um dir zu helfen. Aber hier in Berresh sind das göttliche und das weltliche Gesetz - und auch seine Durchsetzung - seit langer Zeit streng getrennt. Das bestehende Gleichgewicht zwischen dem Rat und dem Tempel ist zu kostbar, um es eines einzelnen Vorfalles wegen aufs Spiel zu setzen, weil der Vater eines mißhandelten Kindes nun zufällig Tempelgelehrter ist. Aber Manord Havatim wird dir helfen, er ist ein kluger und rechtschaffener Mann, der mein volles Vertrauen genießt. Bräuchte ich einen Vertreter vor dem Gericht des Rates wäre er meine erste Wahl."

Derhan nickte ergeben, denn was sollte er sonst tun, als diese einzige Aussicht auf Hilfe anzunehmen.

"Und was die Gerichtskosten betrifft, so mach dir keine Sorgen, die werde ich aus meinem privaten Vermögen tragen", fügte der Hohepriester dann noch mit einem freundlichen Tätscheln auf Derhans Knie hinzu, "soviel immerhin kann ich für einen Tempelgelehrten tun, ohne einer ungebührlichen Einmischung in Angelegenheiten des Rates verdächtigt zu werden."

Das war mehr als freundlich, aber auch diese Zusicherung sorgte bei Derhan nicht für die Erleichterung, die er sich von einer Hilfszusage des Hohepriesters erhofft hatte. Doch das Gespräch mit Manord Havatim, der seinem Namen nach zu einem der mächtigsten Adelshäuser der Stadt gehörte, mochte seinen Besuch hier noch zum Positiven wenden.

Und da führte der Sklave auch schon einen beim Gehen über seinen Stock gebeugten, untersetzten alten Mann durch den Innenhof, ein weiterer Sklave, der einen gepolsterten Stuhl trug, folgte den beiden.

"Mein lieber Freund, dies ist Derhan aus Menrish, ein Mitwohner Berreshs, der in unserem Tempel zum Arzt ausgebildet wurde", stellte der Hohepriester Derhan vor und erläuterte kurz dessen Problem, während der alte Adlige, der bis auf einen schmalen, stark ergrauten Haarkranz so kahl war wie Derhan, für den gepolsterten Stuhl einen Platz anwies. Manord Havatim ließ sich schließlich steifbeinig auf der mitgebrachten Sitzgelegenheit nieder. Angesichts seiner Bewegungen und einiger verkrümmter Finger plagte ihn offensichtlich die Gicht.

"Seid ihr wegen eurer Gicht in Behandlung, Herr?" erkundigte Derhan sich besorgt, nachdem er sich ehrerbietig verbeugt hatte.

"Ah, ein wahrer Arzt, immer um leidende Menschen besorgt", warf der Hohepriester mit einem freundlichen Lächeln ein, während Manord Havatim Derhan mit einem kritischen Blick musterte. "Was, wenn ich nicht in Behandlung wäre?" fragte er zurück.

"Ihr scheint einen akuten Anfall zu haben. Also würde ich euch einen schwachen Tee vom Grün der Herbstzeitlose empfehlen, um eure Schmerzen zu lindern, Herr", gab Derhan zurück.

Nun umspielte auch Manord Havatims Lippen ein Lächeln und er nickte. "Das tat auch mein Arzt. Nun gut, ich bin bereit, euch vor dem Gericht des Rates zu vertreten, wenn ihr nicht gerade einen Freund von mir verklagen wollt. Wer also ist euer Patron, junger Mann?"

"Das ist Oseram Kasiterim", gab Derhan zur Auskunft.

Und nun erhellte sich das ganze Gesicht des alten Mannes. "Welch glückliche Fügung!" rief er aus. "Nicht nur kein Freund sondern der Sohn eines meiner... Feinde könnte man sagen. Sorfan, du kannst mich mit dem Mann allein lassen, wir werden uns schon einig. Aber vielleicht läßt du mir noch ein paar von diesen köstlichen Früchten aus dem Süden bringen, und eine Kanne von dem Oinos, den du mir versprochen hattest."

Der Hohepriester nickte, winkte die Sklaven hinaus, dann verabschiedete er sich und schloß die Tür.

"Oseram hat also euren Sohn vergewaltigt", vergewisserte sich der alte Mann noch einmal.

Derhan nickte nur, da er es nicht über sich brachte, die Tat noch einmal in Worten zu bestätigen.

"Nun, dann werden wir die Anklage auf der Nähe Oserams zu den Ostlern und dem damit einhergehenden, allgemeinen Sittenverfall in der Stadt aufbauen. Wenn wir Erfolg haben, wird sein Vater es schwer haben, in seinem Stadtteil für die anstehende Wahl zum Ratsherren aufgestellt zu werden." Manord Havatim lachte bösartig und rieb sich zufrieden die Hände. "Es wird ihn politisch vernichten." Dann strich er nachdenklich über seinen fast weißen Kinnbart. "Natürlich ist euer Sohn nicht der Sohn eines Bürgers, aber ihr seid anscheinend ein fähiger Arzt. Ich meine mich auch zu erinnern, daß einer meiner Enkel von euch erzählt hat. Habt ihr vor zwei Jahren einmal einen Kriegszug als Arzt begleitet?"

Derhan nickte. "Ich war in den vergangenen vierzehn Jahren jedes Jahr dabei, in der Wannim der Feldscher."

"Natürlich, ihr seid ja kein Bürger. Wie lange wohnt ihr schon in Berresh?"

"Mein Studium hier begann ich vor fast siebzehn Jahren. Seit zehn Jahren bin ich in Berresh als Arzt tätig."

"Und ihr spart, um euch in die Bürgerschaft einzukaufen, nehme ich an?"

Derhan nickte. "In spätestens zwei Jahren werde ich es mir leisten können."

"Klug, strebsam, Berresh ein guter Diener und auf dem Wege ein guter Bürger zu werden, das hilft uns sehr. Und euer Sohn, ist er vielleicht auch schon ein guter Schüler eines berühmten Lehrers?"

Derhan schüttelte den Kopf. "Er ist sieben Jahre alt und hat vor kurzem das Schreiben gemeistert. Meine Frau und ich haben ihn bisher unterrichtet, aber er soll bald eine gute Schule besuchen."

"Erzähl mir noch etwas. Ist er schon in den Übungshöfen zu finden? Oder will er ein Arzt werden, wie sein Vater?"

Derhan hatte das Gefühl, daß sein Gehirn wie leergefegt war, aber dann fiel ihm ein: "Er hat unirdisches Blut, seine weißen Haare zeugen davon."

Doch nun sanken die zuvor so erfreut hochgezogenen Mundwinkel des alten Adligen herab. "Das sollten wir gar nicht erwähnen. Schon schlimm genug, wenn er weißes Haar hat und der Verteidiger selbst auf die Idee kommen könnte, das zu verwenden. Ganz schnell sind wir da bei dämonischem Zauber, den der Junge gewebt haben soll, um einen ehrenwerten Bürger, nämlich deinen Patron, zu verführen. Damit tun wir unserer Sache keinen Gefallen, denn dann muß das Tempelgericht tätig werden und prüfen, ob es tatsächlich unirdisches oder vielleicht doch eher dämonisches Blut ist, das in seinen Adern fließt. Und ihr wißt selbst, daß die Priester des Ungenannten bei Dämonen keinen Spaß verstehen. Wenn nur der Hauch eines Zweifels an eurer Aussage besteht, seht ihr euren Sohn nach der Prüfung im Tempel nicht wieder. Und eure Einbürgerung könnt ihr dann auch vergessen."

"Aber er ist ganz sicher unirdischen Blutes", betonte Derhan, der seine Familienehre verletzt sah. "Mein Vater hatte schon die weißen Haare und konnte Gedanken lesen."

Manord Havatim schüttelte traurig den Kopf. "Ihr müßt diese westliche Einstellung vergessen, wir sind hier in Berresh. Im Zweifel ist es dämonisches Blut, das diese weißen Haare hervorruft. Weiß denn euer Vater, wie es in die Familie kam?"

"Mein Vater ist tot, schon seit Jahrzehnten. Er starb kurz nach meiner Geburt."

Der Alte hob abwehrend die knotigen Hände. "Auch das noch! Schweigt von der ganzen Sache, sonst seid ihr der Dämon und habt ein dämonisches Kind - und euren ehrenwerten Vater machen sie zu einer Leiche, die von einem Erzdämon besessen war, als er euch zeugte. Kommt zu eurer mangelnden Zeugnisfähigkeit als Mitwohner auch noch eine Nachforschung des Tempels, haben wir gar keine Möglichkeit, die Anklage durchzubringen."

Derhan wußte, daß den Priestern des Ungenannten der Eid abgenommen wurde, dämonisches Treiben zu unterbinden wo immer sie es vermuteten, ebenso wie den Ärzten der Eid abgenommen wurde, mit ihrem Wissen keinem Menschen zu schaden. Doch wie die Ärzte geschult wurden, auch ähnliche Krankheitsbilder sicher voneinander unterscheiden zu können, waren doch auch die Priester gewiß dazu in der Lage, die Abkömmlinge der Kinder ihres Gottes von den Erzfeinden eben dieses Gottes zu unterscheiden. Der Hohepriester vertraute dem Urteil dieses gichtigen alten Mannes, also sollte Derhan es ebenfalls, wenn er Hilfe wollte - aber wohl war ihm dabei nicht. Zu wenig schien die geplante Anklage damit zu tun zu haben, daß ein kleiner Junge von einem erwachsenen Mann mißbraucht worden war, grundlegende moralische Fragen verschwanden bei ihrem Aufbau hinter innenpolitischen und religiösen Themen.

Inzwischen brachten die Sklaven ein mit Speisen überladenes Tablett, außerdem zwei große, sehr flache Trinkschalen, dazu eine Kanne, in der eine streng und zugleich lieblich riechende rote Flüssigkeit schwappte.

"Nehmt auch einen Schluck von dem Oinos", lud Manord Havatim Derhan ein und ließ beide Schalen füllen. "Besiegeln wir damit, daß ich ab sofort als euer neuer Patron für euch sorgen werde, bis ihr euch in die Bürgerschaft eingekauft habt."

Das war also jenes teure Getränk aus dem Osten, von dem Derhan schon hatte reden hören. Neugierig aber doch zögernd führte er die Trinkschale wie der Alte mit zwei Händen an den Mund und nippte daran. Das Getränk erinnerte an den Dattelwein, der bei der Schur seiner Stirnlocke ausgeschenkt worden war, es war jedoch nicht ganz so süß, dafür wärmte es die Kehle und den Magen viel mehr, als Derhan es herunterschluckte.

Manord musterte Derhan über den Rand seiner eigenen Schale. "Erinnert euch an den Geschmack dieses Oinos. Ihr werdet ihn hier in Berresh nur selten bekommen." Dann trank er selbst mit sichtlichem Genuß.

Und Derhan nahm noch einen zweiten und einen dritten kleinen Schluck, dann gönnte er sich größere Schlucke der recht wohlschmeckenden Flüssigkeit, bis sich seiner ein unangenehmes Schwindelgefühl bemächtigte. Er setzte die noch halbvolle Schale ab.

Manord ließ sich indessen schon nachschenken. "Besucht mich morgen nachmittag. Ich wohne zur Zeit nahe der Alten Stadtmauer an der Ratsstraße, auf der Außenseite, in dem Haus, das ehedem Murhan Darashy gehörte, als er in Berreshs Diensten stand", erklärte er. "Ich werde bis dahin eine Anklageschrift verfaßt haben und mit euch die noch anstehenden Details besprechen." Dann führte er die frisch gefüllte Trinkschale wieder zum Mund, und Derhan machte es ihm nach, da das Schwindelgefühl wieder etwas abgeklungen war.

"Habt ihr den Städtezerstörer denn auch noch kennengelernt, wenn ihr seit Jahren die Kriegszüge der Stadt begleitet?" fragte Manord zwischen zwei Schlucken. "Ich denke, er war so etwas wie der letzte taribische Kriegsherr, auch wenn er nur als Söldner in den Diensten anderer Städte stand, soweit ich weiß. Aber seine Erfolge waren legendär, schon zu seinen Lebzeiten."

Derhan hatte das Gefühl, seine Sicht würde verschwimmen und er stellte die Trinkschale vorsichtig wieder ab. Es fiel ihm schwer, sich auf seine Erinnerungen zu konzentrieren und sie dann in Worte zu fassen, aber Murhan Darashy mit seiner sagenumwobenen Schlangenklinge, die doch nicht mehr als ein gewöhnliches Oshey-Schwert gewesen war, hatte er wirklich einmal gesehen. "Ich hatte gerade meine Studien begonnen, als ich ihn bei einer Heerschau sah. Einige Jahre später hieß es dann, er sei in Letrans Diensten vor Tetraos gefallen."

Manord nickte nachdenklich. "Ich war sein Patron in der Zeit, in der er hier lebte. Und ich mag den kargen Stil der Stämme, der sich in seinem Haus widerspiegelt. Auch er hatte nur einen Sohn, genau wie ihr. Ist es im Westen unüblich, mehrere Kinder zu haben? Wie konnten die taribischen Stämme die halbe Welt erobern mit dieser Haltung?"

Jedes Kind bei den Stämmen wußte, daß die Kriegsherren des Taribischen Reiches ihre Erfolge ihren unirdischen Fähigkeiten und nicht einer umfangreichen Nachkommenschaft zu verdanken hatten. Und trotzdem hatten die Götter ihren Niedergang nicht verhindert. Aber es gelang Derhan, von diesem Thema zu schweigen. "Ich kann nur für meine Frau und mich sprechen", sagte er stattdessen diplomatisch. "Uns war bisher kein weiteres Kind vergönnt. Vielleicht ging es dem Darashy ja ähnlich."

Manord brummelte irgendetwas, von dem Derhan nur "...und fünf Töchter, die mich ein Vermögen kosten", verstand. Dann hatte er seine Trinkschale erneut geleert, erhob sich mit Hilfe seines Stockes und verließ mit den Sklaven und dem gepolsterten Stuhl das Studienzimmer des Hohepriesters.

Derhan erhob sich ebenfalls und wurde von einer plötzlichen Verstärkung des Schwindels überrascht. Als er den Innenhof erreicht hatte, stützte ihn der Türwächter des Hohepriesters am Arm, um ihm aus dem Haus und auf die Prozessionsstraße zu helfen. Er wies ihm noch die richtige Richtung nach Hause, doch auf der steil abwärts führenden Straße war er auf sich allein gestellt.

Der Abstieg von der Oberstadt stellte für Derhan eine Herausforderung dar, da er immer wieder Probleme mit seinem Gleichgewicht bekam und strauchelte. Wo es ging, stützte er sich an den Hauswänden ab, bis die Straße so eben wurde, daß er nicht mehr das Gefühl hatte, den Halt zu brauchen. Doch da hatte er ein gutes Stück des Weges zur Alten Stadtmauer noch vor sich. Und sein Haus lag in den entfernteren Gebieten der Außenseite.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (03.05.24, 18:17)
Hallo Elisabeth,

ich liebe deine Entführungen in fremde, fantasievolle Welten.

Liebe Grüße
Ekki

 Elisabeth meinte dazu am 04.05.24 um 00:12:
Hallo lieber Ekki,

ganz herzlichen Dank für Deine freundlichen Worte! Und ich freue mich sehr, daß Dir fremde, fantasievolle Welten zusagen.

Dann hoffe ich, daß ich Dir viel Spaß beim Weiterlesen wünschen darf. Zwei Kapitel kommen noch.

Liebe Grüße von Elisabeth
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