KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Donnerstag, 25. März 2021, 23:24
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Mein kv - 8. loslosch

755. Kolumne

Lothar ist 2009 kv beigetreten, als Autor und Vereinsmitglied. Und er hat sage und schreibe seither 1542 Texte geschrieben – die meisten über lateinische Sprüche und Formulierungen, darunter jene von Seneca oder Marc Aurel, um diese beiden quasi als pars pro toto zu nennen.
Ich lernte Lothar im Jahr 2012 persönlich kennen. Wir wohnen nur ca. 10 km voneinander entfernt, er oben auf der Hochebene in Meckenheim, ich unten in Bonn-Poppelsdorf. Wir trafen uns das erste Mal im Eiscafé GRANATELLA auf dem Poppelsdorfer Platz im Sommer. Später fuhr ich mit dem Rad zu ihm, den Kreuzberg hinauf, dann durch den Kottenforst zu seinem Haus. Dort gibt es immer Kaffee und Sprudel, und in der Weihnachtszeit Dresdner Stolle.
Lothar zeigte sich schnell als intimer Kenner der Beziehungen zwischen einzelnen kv-Usern. Er hat enorme analytische Fähigkeiten, die Kommunikationsstrukturen zu durchleuchten. Allerdings überzeugen mich nicht alle seine Theorien, die er als der ‚Sherlock Holmes‘ von kv aufstellt.
Viel wichtiger ist er für mich als Verfasser von Mini-Essays über lateinische Sentenzen. Hierzu schrieb er mir ungefähr acht Jahren folgende Gedanken:

„... mit meiner ‚datenbank‘ von über 1000 sentenzen ...“ kam er zu dem Ergebnis: „... poesie kann nicht auf tautologie ganz verzichten - platte tautologien - partielle tautologien - plattitüden - sublime tautologien. die sublimen tautologien kann nur einer ansprechen, der sich mit wissenschaftstheorie beschäftigt hat. meine ‚lehrer‘: popper und hans albert. ... ich hab mehrere vorlesungen bei ihm, damals noch priv-doz, in köln besucht. wir haben schaltkreise gezeichnet: o-ton albert: ich verstehe kaum was von elektrotechnik, aber etwas von schaltkreisen.“

Und Lothar schrieb einen kleinen Aufsatz zum Thema:

Logischer Gehalt antiker Sprüche
...
Plus dolet quam necesse est, qui ante dolet, quam necesse est (Seneca, um die Zeitenwende bis 65 n. Chr.; Epistulae morales). Mehr als nötig leidet, wer bereits leidet, bevor es nötig ist.

Seneca, ein Vielschreiber, hat wie mit innerer Logik viel Redundantes auch geschrieben. Wohl nur noch übertroffen von Quintilian. Partiell aussagenleere Sätze sind nicht immer tadelnswert. Poesievoll geschrieben, dienen sie oft als Überleitung oder zur Einführung in ein neues Thema. Ein schönes Beispiel liefert Horaz: "Die gefasste Seele hofft in schlechten und fürchtet in guten Tagen eine Schicksalswende." Wer mag so etwas bekritteln? Oder diesen (frei erfundenen) Satz: "Die Knospen sprießen, der Maulwurf hebt seine Hügel, der Frühling ist da." Gefährlicher als die rein tautologischen Sätze sind solche, die formal und strukturell zwar als Leerformeln daherkommen, sublim indes eine bestimmte geistige Grundhaltung verströmen, wie dieser: "Noch das elendigste Schicksal ist sicher, denn die Furcht vor einer Verschlechterung ist fern." (Ovid.) Die Armut darf sich hier von ihrer allerbesten Seite zeigen. Strukturell ganz ähnlich: "Jedes Übel hat auch sein Gutes." (Plinius der Ältere.) Versteckt normativ auch: "Am besten ist es, zu ertragen, was man nicht verbessern kann." (Seneca.)

In satirischem Gewand können Quasi-Tautologien durchaus ansprechend sein: "Wenn du glaubst, du bist zu nichts mehr nutze, kannst du immer noch als schlechtes Beispiel dienen." (Moderner Spruch; Quelle unbekannt.) Als Kalauer unangreifbar. Wie dieser, ebenfalls moderne Spruch: "Erst hatte er kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu." (Beliebter Fußballerspruch.) Wunderbar ironisch und nur zur Hälfte aussagenleer.

Würde Seneca kalauern, könnte dieser (leider ernst gemeinte) Spruch durchgehen: "Wer vieles versucht, hat manchmal Erfolg." Unfreiwillig komisch wirkt auf uns Heutige auch der Ausspruch des Tacitus: "Die Natur wollte, dass jedem sein Kind und seine nahen Verwandten am teuersten (!) sind." Eine Plattitüde: "Das Glück beschenkt viele, keinen genug." (Publilius Syrus.) Noch "schöner" diese von Quintilian: "Ein Fehler ist es überall, was im Übermaß ist."

Nach Durchsicht einer fünfstelligen Zahl lateinischer Sentenzen lässt sich ein vorläufiges Fazit ziehen: etwa 5 bis 10% der Sentenzen sind aussagenleer, z. T. mit versteckt normativem Gehalt (gängiges Muster: Armut kann sich auch schön anfühlen.) Die Quote aussagenleerer griechischer Zitate dürfte deutlich niedriger liegen. Als Vermutung: Die älteren Sentenzen waren rarer und wurden sorgfältiger ausgewählt.“

(Ich hoffe, Lothar verzeiht mir die Zitate.)

Natürlich unterhalten wir uns auch über die Dinge des Lebens. Lothar, der Ökonomie studiert hat und mit einer Dissertation über sozialistische Planwirtschaft zum Doktor promoviert wurde, später im Bundeskartellamt arbeitete, kennt sich gut in allen finanziellen Bereichen des Lebens aus, und darüber hinaus auch auf anderen Gebieten.
Da er sich gut mit Ekki Mittelberg versteht, besuchten wir ihn eines Tages in seinem schönen Haus auf den sanften Hügeln des Westerwalds. Wir bekamen ein delikates Essen von seiner Frau vorgesetzt und unterhielten uns stundenlang über kv, Gott und die Welt.

Gern spricht Lothar über seine Schulzeit und einige seiner Lehrer, die ihm viel Wissen und methodisches Denken vermittelten. Und das betraf dann auch den Lateinunterricht, der damals noch in einer ganz anderen Dimension Sprache und römische Kultur behandelte, als dies heute in etwa 3-4 Jahren Unterricht geschieht.

Ich erinnere mich an meinen Lateinunterricht. Ich bin nur ein paar Jahre jünger als Lothar. Auch ich hatte 9 Jahre Latein. Wir nannten unseren Deutsch-, Geschichts- und Lateinlehrer, der auch unser Klassenlehrer war, Nö. Er hieß Nöldeke und sah dem ersten Bundespräsidenten, Theodor Heuß, ähnlich. Latein beim Nö hieß auch, dass wir über vieles andere sprachen. Einmal über das zweite Klavierkonzert (in vier Sätzen!) von Brahms. Da ich von Brahms schwärmte, forderte Nö mich im Lateinunterricht auf, das Klavierkonzert an der Tafel in seiner Struktur zu skizzieren, wobei ich die einzelnen Themen dazu summte. In einer anderen Stunde brachte er ein Grammophon mit und legte das erste Klavierkonzert von Brahms auf und sagte zu mir: Jetzt dirigier’s mal! Denn ich hatte irgendwann gesagt, ich könnte die wichtigsten Einsätze der Musiker geben. Und so dirigierte ich den gewaltigen ersten Satz, der zum Größten gehört, was ich in der Musik kenne. Glenn Gould spielte das Konzert einmal unter dem Dirigat Bernsteins. Bernstein erklärte zuvor dem Publikum, dass er mit dem von Gould zu langsam gespielten 1. Satz nicht einverstanden sei, aber er habe sich auf das Experiment eingelassen. Nö hat in seinen Unterrichten, vor allem in Latein, immer wieder solche Dinge gemacht, die mit dem eigentlichen (eigentlichen?) Unterricht nichts oder nicht viel zu tun hatten. Bei der Besprechung von Ciceros erster Rede IN CATILINAM kamen wir auf das Forum und die ‚Presse‘ in der Antike zu sprechen - und gelangten schließlich zur Gründung der ersten Schülerzeitung des Neuenbürger Gymnasiums, die wir WECKER nannten. Und eine andere Stunde, wir sprachen über die Verfassung der res publica, wurde zur Geburtsstunde der Schülermitverwaltung (SMV). Ich schweife ab.
Aber dieser freie, assoziative Stil des Unterrichtens, wo sich Lehrer und Schüler Zeit nahmen, hat mich wie auch Lothar geprägt. Selbstredend wurde auch verdammt viel Wert auf die formalen Dinge gelegt: Grammatik, Rechtschreibung, Rhetorik, sprachliche Mittel ... und es gab ausgedehnte Übersetzungsübungen: Rohübersetzung (die die Grammatik der übersetzten Sprache zeigt), elegante Übersetzung (Übertragung), freiere Übersetzung, sehr freie Übersetzung (Nachdichtung, bei Lyrik), und schließlich die parodierende und karikierende Übersetzung. Wir übertrugen beispielsweise Verse aus Ovids TRISTIA ...

Ich zitiere abschließend (leicht gekürzt) eine wundersame Charakterisierung von Isensee auf losloschs Portalseite:

„Isensee hat mich am 27.2.2018 analysiert. Hier sein Befund:

‚Präsentiert sich vor geschnittener Hecke (altdeutscher Penisersatz), ein Lauch wie zum Pflücken auf dem Beet. Kann sicher auf Lateinisch die Hausordnung des städtischen Gesundheitsbades rezitieren, riecht dabei nach Apfelmost. Lehrer-DNA mit eingeschränkter Chromosomentätigkeit. In der jahrelangen Auseinandersetzung mit seinem Nachbarn, der einfach nicht einsieht die olle Birke abzuholzen, fühlt er sich durch ständigen Schattenwurf diskriminiert. Dann wird auch gern an Feiertagen das Ordnungsamt bemüht. Lungert vor der Hauseinfahrt rum und notiert Nummernschilder der vorbeifahrenden Oberklasselimousinen. Ist öfter online als Admin AndreasG ... nervt mehr als Nimbus, ist unbeliebter als Zenker. Hat Spaß an aggressiven Diskussionen im Forum und unter Texten und befeuert diese ... Ein Autor wie unheilbares Reizdarmsyndrom.‘

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 loslosch (25.03.21)
diese "wunderbare Charakterisierung von Isensee auf losloschs Portalseite" ist dann doch eher eine wundersame, Uli.

 Bergmann meinte dazu am 25.03.21:
Hast recht. Ich übernehme 'wundersam'. ttU
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