KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Mittwoch, 25. August 2010, 11:23
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ANMERKUNGEN ZUR INTELLIGENZFORSCHUNG (von loslosch)

212. Kolumne

Erörterung zum Thema Intelligenz

Eine Gastkolumne von Loslosch

Ingenia hominum locorum situs format (Curtius Rufus, 1. Jh. n. Chr.; Historiae Alexandri Magni Macedonis). Die Umgebung (modern: Umwelteinflüsse, Milieu) formt den (schöpferischen) Geist der Menschen.

Der Römer Rufus hat in einem zehnbändigen Werk seine Forschungsergebnisse über das Leben Alexanders des Großen zusammengefasst. Dieser eine kleine Satz inmitten lässt vermuten, dass man damals allgemein der Ansicht war, dass in erster Linie Milieufaktoren die Entwicklung menschlicher Intelligenz bestimmen. Zweitausend Jahre später hat man sich von dieser Theorie noch nicht nennenswert entfernt. Wie hoch ist das Gewicht angeborener Eigenschaften, wie hoch jenes der erlernten? Eine solide Auskunft geben könnte die Entwicklung eineiiger Zwillinge, die im frühkindlichen Alter zur Adoption freigegeben wurden und jeweils sehr unterschiedlichen Milieubedingungen ausgesetzt waren. Wie nicht anders zu erwarten, ist die empirische Zahl auswertbarer Fälle extrem niedrig. Würde man in einem menschenverachtenden Experiment äußerster seelischer Grausamkeit eines der Zwillingsgeschwister von einer Schimpansenfamilie (in Gefangenschaft) aufziehen lassen, wäre das Ergebnis wohl trivialerweise so, dass sein Intelligenzquotient nur wenig über dem eines domestizierten Schimpansen läge. Eine nur marginale Förderung von angeborenem Talent unter Ausschluss von Kultur- und allgemeinen Techniken lässt den Menschen innerhalb einer einzigen Generation auf Steinzeitniveau absinken. Die Rückkehr in die zivilisierte Welt würde mühselig sein und sich über mehrere Generationen erstrecken.

Man begeht sicherlich - im Blick auf die denkbaren Extremwerte - den geringsten Fehler, wenn man vorsichtig annimmt, dass im Durchschnitt rd. 50% der Intelligenz auf angeborenen Eigenschaften gegründet sind und ebenfalls rd. 50% auf erlernten. Keine Erkenntnis, die die moderneren Milieutheorien zur Gänze über Bord werfen würde.

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Ich bin nun mal kein ausgewiesener Experte. Mein früherer Kollege hatte nach einer Fehlgeburt seiner Frau ein Kleinkind adoptiert und also eine leibliche Tochter und einen griechisch-stämmigen Knaben. Er berichtete mir später von seiner Enttäuschung mit dem Buben und meinte: Von der Fifti-fifti-These gehe er jetzt ab. Eher 90/10!! So kanns gehen ...


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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 AZU20 (30.08.10)
Im Spiegel Nr. 32 beschäftigt sich Jörg Blech mit der Frage, wie wir unser Erbgut überlisten können. Ich war immer ein Anhänger der Theorien, die dem Erbgut gegenüber dem Milieu den Vorzug gaben. Neuere Forschungen scheinen jetzt zu besagen, dass Gene auf kleinste Umweltreize reagieren und sogar aus Erfahrung lernen können. "Molekulare Schalter" zwischen Innen- und Außenwelt sollen es wie Scharniere möglich machen. Lamarck lässt grüßen.

 loslosch (30.08.10)
Ach ja, Jörg Blech: "Die Gene steuern uns - aber auch wir steuern sie." Letztlich liege ich mit fifty, fifty ganz gut. Der Einzelbeweis ist wohl äußerst schwierig zu führen. So könnte man behaupten: Wie hätte sich der adoptierte Knabe im alten Milieu entwickelt? Beim Temperament toben sich die ererbten Anlagen wohl am stärksten aus. Danke für den Lesetipp. Lothar

 loslosch (04.09.10)
Es war wohl schon etwa drei. Als es mich mit seinem Vater als 5jähriger erstmals besuchte, rammte es mir vor Ungestüm seinen Kopf in die Magengegend. Der "Vater" lächelte mild und liebevoll. Er ahnte meine Nachsicht voraus. Enttäuschung kann nicht Empirie ersetzen. Aber die 8 Jahre ältere leibliche Tochter ist ein Vergleichsmodell. Lo

 AndreasG (04.09.10)
Ich denke, dass das Thema viel zu komplex ist, um es über eigene Erfahrungen zu ergründen. Immerhin sind noch lange nicht alle Mechanismen bekannt, die zur Entwicklung von Intelligenz führen - und die Intelligenz selber ist auch noch immer nicht klar definiert. Mehr sogar: Intelligenz definiert jeder Mensch anders. Mir ist nicht klar, wie darauf aufbauend überhaupt eine Antwort auf den Einfluss durch Vererbung gefunden werden soll.
Klar sollte sein, dass die menschliche Intelligenz überwiegend angeboren ist. Oder besser: das Potential ist angeboren, denn kein anderes Tier wird mit einem vergleichbaren Gehirn geboren. Aber das ist "nur" die Hardware, die mit angeborener Software sehr spärlich ausgestattet ist. Diese Grundprogrammierung wird im höheren Bereich Instinkt genannt, bezieht sich aber vor allem auf automatische Funktionen der Körpersteuerung, wofür sich das zentrale Nervensystem vermutlich auch ausgebildet hat (um die Redewendung "dafür wurde sie geschaffen" zu vermeiden).

Es stellt sich also eigentlich die Frage, ob die höheren Programme, die für Charakter, Lernfähigkeit, Lernwilligkeit, Moral, Ethik usw., also für die Persönlichkeit, zuständig sind, auch angeboren sind. Manch einer sieht dafür eine ganze Menge Indizien (damit meine ich nicht die Zwillingsforschung, denn die hat in der Vergangenheit so viele Macken und zweifelhafte Ergebnisse hervor gebracht, dass sie komplett neu begonnen werden müsste), doch diese Indizien werden seltsamerweise immer erst am Endprodukt festgestellt.
Und das ist auch logisch, denn wer keine mathematische Grundausbildung bekommen hat, kann auch keine weiterführende mathematische Begabung zeigen. Das gilt auch für Sprache, logisches Denken, analytisches Denken und fast alle als Intelligenzleistung bezeichneten Gehirnprozesse. Der Mensch muss ja sogar das Sehen und Hören erlernen, die entsprechenden Nervenzellen und Synapsen, die die elektrischen Signale verarbeiten und interpretieren können, sind nämlich auch nur als Potential angeboren. Dreidimensionales Sehen, Erkennen von Stimmen, Abgrenzung von Farben, Scharfsehen ... ohne entsprechendes Training und Lernen wird da nichts draus. Auch die Fähigkeit des Umlernens, die etwa bei plötzlich Erblindeten beobachtet werden kann (Sehbereiche des Gehirns werden den Hörbereichen zugeordnet u.a.) oder das Neulernen und Vergessen zeigen sehr deutlich, dass es eine hohe Plastizität im Gefüge des Gehirns gibt, die eindeutig gegen eine angeborene Vorprogrammierung des Endproduktes spricht, sondern für eine ständige Anpassung.
Wer also bei angeborener Intelligenz diese Plastizität meint, dieses Potential einer Lernfähigkeit, der hat sicherlich Recht von 80 % und mehr auszugehen. Wer aber nur den Intelligenzunterschied zwischen den Menschen meint (egal wie definiert), der sollte besser mit kleineren Zahlen jonglieren.
Interessant sind höchstens noch die unterschiedlich ausgeprägten Körperfunktionen, soweit sie einen Einfluss ausüben: Hormone, Botenstoffe, Krankheiten oder Parasitenbefall, die aus einer Veranlagung abgeleitet werden können und andere Faktoren, die das Potential beeinflussen könnten. So ist inzwischen anerkannt, dass Hormone die Persönlichkeit prägen oder zumindest befeuern (Gewaltbereitschaft, Risikobereitschaft, Interesse an Sexualpartnern, Depressionen, Harmoniebedürfnis u.a.), was wiederum einen starken Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns haben dürfte. Hier wäre eine direkte Vererbung durch die Eltern zu lokalisieren, doch ist das auch eher eine Zielrichtung, ein Impuls oder eine Grundmotivation, die durch gesellschaftlich/elterliche Vorbilder erst ausgeprägt werden könnten.
Mit Prozenten könnte das also kaum ausgedrückt werden.

Liebe Grüße,
Andreas

 loslosch (05.09.10)
Phasenweise wie ein Resümee aus einer Fachveröffentlichung. Ich nehme daraus (für mich) die Erklärung dafür mit, warum Menschen intellektuell/kulturell innerhalb einer Generation tief absinken können und der umgekehrte Prozess viele Generationen beansprucht. Lo
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