KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Dienstag, 28. Januar 2014, 13:55
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GraSS: ... und fürchte mich immer noch vor der schwarzen Köchin

390. Kolumne

Kritik einer vernichtenden Verurteilung: Matthias Hagedorns Essay „Verabschiedung der Gebißträger“ bei „KulturNotizen“ (http://www.editiondaslabor.de/blog/?p=15288)

Natürlich hat Günter Grass einen schweren Fehler begangen, seine Jugendsünde, die Zugehörigkeit zur Waffen-SS, zu verschweigen. Ich bedauere das. Sein viel zu spätes Bekenntnis finde ich schwach und in mancher Hinsicht nicht selbstkritisch genug; vielleicht konnte aufgrund mangelnder Entschiedenheit auch die literarische Verarbeitung in Variationen der Zwiebel-Metaphorik nicht überzeugend gelingen. Andererseits ist deutlich genug zu sehen, dass Grass ein Gewissen hat und dass die Wahrheit aus ihm heraus musste.
Ihn deswegen berechnend zu nennen, gar im Hinblick auf Pressepräsenz und Verkaufszahlen, charakterlos und/oder senil, halte ich für abwegig und böswillig, zumal ihm mit der moralischen auch noch die poetische Kompetenz abgesprochen wird (Vorwurf: „Gesinnungsästhetik“, Kritik an schriftstellerischer Qualität).

Die Polemik gegen Günter Grass, „Verabschiedung der Gebißträger“, habe ich mit Interesse gelesen, allerdings fiel mir die Lektüre schon nach zwei (ausgedruckten) Seiten schwer, weil sich immer deutlicher abzeichnete, wie maßlos die ablehnenden Gefühle des Autors gegen Günter Grass sind und wie ungerecht, stellenweise auch selbstgerecht diese in ihren Hauptargumenten sich wiederholende Polemik vorgetragen wird. Tenor: Grass habe keine innere Wende vollzogen. „GraSS verhält sich wie Albert Speer, er übernimmt Gesamtverantwortung, ohne individuelle Schuld zu bekennen.“ Und: „Diese Unfähigkeit, sich selbst zu belehren, findet sich bei vielen Angehörigen dieser Generation – Martin Walser hat sie sogar zum Programm erhoben ...“ Sie sind „Teil eines gegenmenschlichen Projekts ...“ Ich weiß nicht, was Hagedorn reitet, wenn er Geist und Sprache Günter Grass’ so charakterisiert: „Das ist nicht die Sprache, die in den eigenen Abgrund blickt. Das ist das Erbe der nationalsozialistischen Zeit: Eine Distanzlosigkeit sich selbst gegenüber, die eine Anerkennung dessen, was anderen angetan wurde, über bloße Bekenntnisrhetorik hinaus nie im Sinn und, vor allem, nie im Gefühl gehabt hat. Ein Habitus des Immer-recht-Habens, der Larmoyanz, der vollständigen Unfähigkeit zur Ambivalenz, frei von jeder Selbstironie.“ Der Essayist, der sich nicht scheut, das Denken von Grass in die Nähe totalitärer Systeme zu rücken, sollte, um nur ein Beispiel zu nennen, die Erzählung „Katz und Maus“ einmal genau lesen. Er wird leicht einsehen, wie sensibel Grass die Verführbarkeit eines 17-Jährigen darstellt. Die Motive und Rahmenbedingungen, die Mahlkes Verhalten ausmachen, treffen autobiographisch auf Grass zu, wenn auch sehr verfremdet, gebrochen und intentional ins Allgemeingültige erhoben. Der Ich-Erzähler der Novelle ist das reflektierende Alter Ego des Verführten. Dass Grass beim Schreiben dieser Novelle an sich dachte, liegt für mich klar auf der Hand; allerdings wusste ich in den 60er Jahren genauso wenig wie irgendeiner, wie konkret das sublimierende Schreiben ihn selbst mitmeinte. Am Ende der Novelle taucht Mahlke nicht wieder auf (wie zunächst auch nicht der bekennende Günter Grass), sein Alter Ego aber „muß nun schreiben. Selbst wären wir beide erfunden, ich müßte dennoch.“ So steht es gleich am Anfang der Geschichte von „Katz und Maus“ geschrieben.

„Scharfrichterliche Strenge“, wie sie Hagedorn dem Dichter vorwirft, trifft eher ihn selbst als Essayisten, der in fast schon robespierrelicher Manier aburteilt.

Nicht nur überzogen, sondern auch unangemessen finde ich bereits den Titel („... Gebißträger“, kurz danach: „Alterssenilität“ etc. pp.) und die Schreibweise des Namens (GraSS).

Hagedorns Traktat gegen die „Gebißträger“ ist durchwirkt von Unterstellungen und allzu spekulativen Annahmen, darunter nicht eine einzige, die das Handeln des jungen Günter Grass angemessen nach- und mitempfindet. Stattdessen fragt Hagedorn: „Warum schreibt Grass nicht: ich kriegte doch auch einen hoch, wenn ich das Gebrülle hörte, ich wollte doch auch SIEGEN, und Russen abknallen, blonde Mädchen beschützen und die Besiegten totvögeln ...“ Und es wird alles, was Grass geschaffen hat, mit der Messlatte hingerichtet, die sich am Spätwerk orientiert: „Altherrenprosa“. A posteriori wird so das Früh- und Hauptwerk gleichsam als praesenil eingestuft, wobei für Hagedorn ‚alt sein’ immer ‚senil’ im Sinne von geistiger Behinderung gesehen wird, um teilzuhaben an der Kraft der Jungen, die noch Zähne haben. Aber dem Essay gegen die Gebißträger fehlt der Biss. Diese Zähne sind stumpf.

Unverständlich ist mir, wie Hagedorn Grass mit dessen Aussagen über das Schreiben fiktionaler Literatur vorzuführen versucht: „Sind Sie ein Mensch, der die Wahrheit sagt?“, fragte ihn eine Journalistin 1979. Grass antwortete, dass ihn die Wahrheit in bestimmten Situationen langweile und er dann anfange, die Wahrheit zu variieren oder andersherum zu erfinden, und er fügte aphoristisch zuspitzend hinzu: „... denn am liebsten lüge ich wie gedruckt.“ Es ist dies der Standpunkt des belletristischen Erzählers, des Aufklärers, der weiß, dass dichterisches Lügen wahrer sein kann und wirksamer als ein Protokoll der Wahrheit. Das ist Günter Grass in der Tat mit seinen ersten Romanen besser gelungen als mit seinem Bekenntnistext „Vom Häuten der Zwiebel“. Das befreit ihn nicht von seiner persönlichen Schuld, die Leser und die deutsche und internationale Öffentlichkeit belogen zu haben, was seine SS-Vergangenheit als Minderjähriger in den letzten Kriegsmonaten 1944/45 angeht.

Nicht differenziert genug sieht der Essayist – im Gegensatz zu Günter Grass in der Danziger Trilogie – die geistigen Rahmenbedingungen nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg – er nennt die Kritik eines Bert Brecht oder Thomas Mann masochistisch und „Kult der Niederlage“. Grass wird dann sogar untergeschoben, er habe „in der Pose des selbstgewissen und von Eitelkeit nicht freien Moralisten versucht aus seinem Schuldgeständnis ... ästhetisches Kapital zu schlagen.“ Grass’ Schwäche und seine Motive als verführbarer und verführter Jugendlicher werden verglichen mit dem Verhalten Kurt Waldheims und Jugendlichen in islamischen Terror-Kommandos. „Es war folgerichtig, daß er zur Waffen-SS gelangte. Für Naturen wie ihn, die von sexueller Frustration, Sozialneid, Ressentiment und seelischer Unempfänglichkeit geprägt waren, wurde sie erfunden.“ Diese leichtfertigen Vergleiche greifen zu kurz, sie zeigen beinahe schon ein anachronistisches Verständnis des Faschismus in Deutschland.

Hagedorn nennt Grass verächtlich „Großschriftsteller“, in dessen selbstgerechter Aufgeblasenheit sich die ganze westdeutsche Intelligenzia widerspiegele: die Gruppe 47 / Martin Walser, „die Höllerers, die Jens und Lenz, die Wapnewskis und die Höfers ... mit ihrer hysterischen Vergangenheitsbewältigung“, Botho Strauß, Peter Handke „und Konsorten“. Die Ungenauigkeit der Kritik wird bereichert durch ungerechtfertigte Pauschalisierungen und Vergleiche („In seinem Altersstarrsinn erinnert GraSS an Erich Honecker.“).

Grass „muss wieder los, um das Napalm der Freiheit in die Köpfe der Finsternis zu bomben, mit dem Uran der Demokratie die Kinder zu verstrahlen und mit Dioxin den Ernst seiner Mission zu segnen.“ In solchen ironischen Bildern wird Grass die Fragwürdigkeit seiner moralischen und kritischen Intentionen unterstellt.

Die (ausgerechnet!) von Oskar Lafontaine zitierten Worte zu Beginn des durch und durch polemischen Essays – „Wer seine Zugehörigkeit zur Waffen-SS verschwiegen hat, sollte sich zu Charakterfragen besser nicht mehr äußern.“ – sind falsch wie das Sprichwort „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ Dieser moralistische Standpunkt spricht jedem Menschen die Fähigkeit ab, sich zu ändern, zu korrigieren und zu bessern.

Grass’ Fehler entwertet nicht sein erzählerisches Werk, insbesondere nicht die Danziger Trilogie, die auch poetisch gelungen ist. Immerhin schreibt Hagedorn auch folgenden Satz: „Wenn Grass, Walser und andere Autoren die Verbrechen der Deutschen während des Nationalsozialismus mit literarischen Mitteln ins öffentliche Bewusstsein rückten, haben sie sich damit um ihr Land verdient gemacht.“


Ulrich Bergmann, 26.12.2013

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 EkkehartMittelberg (20.02.14)
Ich bewundere dich (ironiefrei) dafür, dass du dich bei deiner Kritik des Essays von Hagedorn über Günter Grass so diszipliniert hast. Ich habe etwa zwei Drittel des Essays von Hagedorn gelesen und dann schwoll mir der Kamm und ich konnte dessen Selbstgerechtigkeit nicht mehr ertragen. Man merkt zu schnell die Absicht dieses Autors und ist verstimmt. Keine Frage, dass sich Grass nur halbherzig von der Schuld seines verspäteten Eingeständnisses der Zugehörigkeit zur Waffen-SS distanziert hat. Das ist nicht der Punkt.
Aber es ist empörend, wie Hagedorn mit sublimer Schlitzohrigkeit versucht, dieses moralisch kritikwürdige Versagen des verspäteten Outens mit unangenessener Kritik an der Qualität des Gesamtwerks von Grass zu vermengen. Du schreibst das alles und weist es nach. Wer dein Essay liest, könnte sich das von Hagedorn ersparen. Ich weiß, dass das, wissenschaftlich gesehen, unredlich wäre. Ab er du zitierst sine ira et studio die repräsentativen Passagen von Hagedorn und das reicht. Mir jedenfalls.

 HerrSonnenschein (07.03.14)
Ich habe das sehr gerne und aufmerksam gelesen. Und ich finde ebenfalls, das du in deiner Kritik dieser Polemik von Hagedorn angenehm sachlich bleibst.
Ich habe nicht zwei Drittel des Essays durchgehalten wie Ekki. Mir ist schon nach wenigen Sätzen klar gewesen, das es hier nur um eine Herabwürdigung der Person und des Werkes von Günther Grass geht.Und das in einer Sprache, dessen Wörter zu einem Teil in das Wörterbuch der Unmenschen gehören. Übrigens auch leider etwas, was es hier auf kv immer wieder mal zu beklagen gilt.Mich persönlich stößt so eine Sprache und Haltung Menschen gegenüber ab .
Und das sage ich als bekennender nicht Grass Fan.
Aber wie sagt man so schön?
Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter als über Paul.:-)
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