Speck, Daniel:

Jaffa Road

Roman


Eine Rezension von  Quoth
veröffentlicht am 13.11.22

Kürzlich gab es um einen Plan des Goethe-Instituts und der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv große Aufregung: Unter dem Titel „Holocaust, Nakba und deutsche Erinnerungskultur“ sollte ausgerechnet am 9. November eine öffentliche Diskussion stattfinden, in der durch den Titel die von den Palästinensern „Nakba“ (Katastrophe) genannte Vertreibung aus ihren Wohnsitzen 1948 neben die Judenvernichtung durch die Nazis gestellt wird. „Holocaustverharmlosung!“ war das Kernwort der Kritik, die Veranstaltung wurde m.W. auf ein anderes Datum verschoben.
Dass die Vertreibung von Hunderttausenden von Palästinensern durch die Soldaten des blutjungen Staates Israel etwas Schreckliches war, kann man in dem Roman „Jaffa Road“ von Daniel Speck an Hand einer konkreten fiktiven, aber sehr einfühlsam geschilderten Familiengeschichte nachvollziehen. Aber nicht minder einfühlsam beschreibt Speck, Sohn einer Deutschen und eines Tunesiers, auch die Verzweiflung der jüdischen Ansiedlungswilligen, die von den Engländern zuerst mal in einem Lager auf Zypern untergebracht werden und es nicht fassen können, den Lagern glücklich entflohen zu sein, nur um wieder in Lagern zu landen – und dann in Haifa in einen jüdisch-palästinensischen Bürgerkrieg zu geraten. Achse dieses Wechselspiels zwischen Juden und Arabern ist am Ende des Zweiten Weltkriegs ein fahnenflüchtiger deutscher Soldat (Moritz Reincke) in Nordafrika, der einem Juden (Victor) das Leben rettet, sich in dessen jüdische Adoptivschwester (Yasmina) verliebt und mit ihr und ihrer Tochter (Joelle) als scheinbarer Jude mit falschem Pass (Maurice Sarfati) nach Israel einwandert. Man merkt, dass der Autor ein erfahrener Drehbuchautor ist, der es versteht, unterhaltsam und spannend zu erzählen.
"Der Schlüssel zum Leben eines Mannes sind seine Frauen," heißt es einmal im Buch. Im Leben von Moritz sind es drei: Fanny Zimmermann in Berlin, deren Enkelin Nina zur Erzählerin des Buchs wird, Yasmina Sarfati in Tunis und Haifa, die die Tochter Joelle in die Ehe mitbringt, und Amal Bishara, die von einem PLO-Kämpfer den Sohn Elias hat, sich in Moritz verliebt, der inzwischen für den Mossad arbeitet, und als sie 1985 in Tunis bei der "Operation Wooden Leg" umkommt, adoptiert Moritz den etwa 9jährigen Jungen und zieht mit ihm nach Palermo. Als Moritz tot aufgefunden wird, wird der inzwischen erwachsene Elias verdächtigt, seinen Ziehvater erschossen zu haben, weil dieser ihm seine Tätigkeit für den Mossad und damit seine Mitschuld am Tod Amals gestanden hat.
Ich habe die Palästinenser immer bedauert, zweitweise auch ein Arafattuch um den Hals getragen – aber zur Empörung über ihre Leiden hat es angesichts dessen, was die Nazis (mein Vater war einer) den Juden angetan haben, nie gereicht. Dies Buch hat mich näher an die Empörung herangebracht, zugleich muss ich aber auch dem Kollegen Recht geben, der bei uns schreibt: „Liebes Publikum, sehen Sie auf der Weltbühne den Kampf der GUTEN gegen die GUTEN“( https://keinverlag.de/461736.text). Ich finde eine Veranstaltung wie die in Tel Aviv geplante durchaus gerechtfertigt und hätte sie gerne besucht:  https://www.tagesspiegel.de/politik/emporung-in-israel-uber-goethe-stiftung-inakzeptabel-und-respektlos-8859721.html
„Jaffa Road“ hat meine Einstellung zu einem zentralen weltpolitischen Konflikt verändert – und ist zudem noch spannend und wartet mit zahlreichen überraschenden Wendungen auf. Eine ebenso lehrreiche wie unterhaltsame Lektüre, absolut lesenswert!
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