Der Stelzengeher.

Erzählung zum Thema Erinnerung

von  franky

Als Kind hatte ich mich mit „Stelzengehen“ versucht.
Das war doch toll! Wie erwachsene, Auge in Auge den kopf höher tragen und dabei nicht
vergessen, dass man doch Zehn cm über dem Boden steltzte.
Zwei Holzstangen mit Klötzen an der Seite befestigt, hatte uns Papa gebaut.

8 Jahre später, ich war schon blind, fertigte ich für meinen kleinen Bruder Georg,
er war um die 6 7 Jahre alt auch solche Stelzen. Es klappte alles tadellos.
Klein Bruder Georg hatte Freude daran. Er stelzte in der nähe der Werkbank herum, ohne gefährlich zu stürzen.

Diese Werkbank befand sich im ersten Stock eines alten Bauernhauses. Es führte nur eine schmale, Hühnerleiterartige Treppe nach unten.
Meinem kleinen Bruder kam die verhängnisvolle Idee! „Da könnte ich doch auch mit den Stelzen Die Treppe hinunter gehen; Ich ging schon voraus und hatte von diesem halsbrecherischen Vorhaben keine Ahnung.

Es vergingen keine Zehnminuten, da polterte es! Und rumpelte es! Ein wildes durcheinander!
Erst vernahm man keinen Laut, nur Sekunden Totenstille.
Dass Geklapper hatte sich gelegt, aber dann ging ein wildes Geschrei los.

Georg war mit den Stelzen auf den schmalen leiterähnlichen stufen Abgerutscht und kopfüber die Treppe hinabgedonnert.
Die stelzen flogen ihm um die Ohren. Unten vor der Treppe war nur ein schmaler Platz. Dort fand man klein Bruder Georg zwischen den auf ihn liegenden stelzen eingeklemmt.
Er hatte ein blaues Auge und eine schramme an der Stirn. die Vom Aufprall an der Wand herrührte. Eine leichte Gehirnerschütterung dürfte er auch abbekommen haben. Sonst Aber alle Knochen heil, nur mehrere Schürfwunden.

Nach den ersten Schrecksekunden begann er fürchterlich zu schreien!
Mama kam vom garten herein gerannt und fand klein Georg da liegen. Erst konnte sie sich keinen Reim darauf machen, was da geschehen war;
Ich wusste auch nicht, wie es zu diesem fürchterlichen Abflug kommen konnte;
Erst als Georg seine Sprache nach längerer Erholungspause wieder fand, hatte er den Hergang, stotternd und schluchzend erklären können. 
Mir blieb es lange ein Rätsel, wie man auf so eine halsbrecherische Idee Im wahrsten Sinne des Wortes kommen konnte; Machte mir innerlich Vorwürfe, dass ich so ein gefährliches Spielzeug für Georg gebastelt hatte.
Aber rückblickend nach über Sechzig Jahren ist das damals Geschehene symbolisch für sein Ganzes Leben bezeichnend geworden.
Er blieb immer ein Stelzengänger auf der Hühnerleiter des Lebens.
Mit allen fürchterlichen Abflügen und blauen Augen.
Aber er wurde zu einem lieben Menschen mit großem Herzen Und sprühendem Humor. 

PS: Am 1.12.2005 haben Ärzte bei Georg die seltene Krankheit GBS festgestellt.
Voriges Jahr am 4. Februar 2014 ist Georg im Spital in Rosenheim an den Folgen dieser schweren Krankheit gestorben.

© by F. J. Puschnik

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(27.06.15)
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Graeculus (69)
(27.06.15)
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 princess (28.06.15)
Auf Stelzen kann man besser in die Ferne grüßen
und den Himmel berühren
nur manchmal den Boden unter den Füßen
nicht mehr so richtig spüren.

Du hast ihn mir sehr nahe gebracht, lieber Franky, deinen Stelzengänger Georg.

Liebe Grüße
Ira
GGesang (62)
(28.06.15)
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