An ein jüngeres Selbst

Brief zum Thema Vergangenheitsbewältigung

von  Terminator

Jack, alter Autist!


Ja, du bist wirklich einer. Damit erklären sich schonmal bis zu 75% der kognitiven Dissonanzen, die du im Alltag erfährst. Ich bin Zhuang Jack, du selbst, aber aus der Zukunft, ein glücklicher Mensch (ich weiß, mit dieser Behauptung habe ich bei dir schon alle Glaubwürdigkeit verloren) und spiritueller Meister der eigens gegründeten Religion der Schönheit. Es ist noch nicht 2029, aber es ist schon kurz davor. Ja, das Jahr 2029 wird wohl wie in den Terminator-Filmen, aber der Weg dorthin ist ein anderer. 1984/1991 haben sie sich die Entwicklung der KI linear vorgestellt, dabei war doch offensichtlich, dass es nur eine exponentielle Entwicklung sein kann.


Ich will nichts spoilern, ich will dich nur warnen. Vor Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung. Du kennst leider zu viele, doch du erkennst sie nicht. Sie tarnen sich gut, zu gut. Ihr ganzes Leben ist Fassade. Leider ist nichts dahinter, aber das ist so schwer zu glauben. Man muss schwer geisteskrank oder auf Narzissmus spezialisierter Psychologe sein, um die Welt, in der sie leben, zu begreifen. Erstens: andere Menschen existieren für sie nicht. Narzissten sind Solipsisten. Zweitens: sie können so romantisch scheinen, besonders wenn sie jung sind, aber das können sie gar nicht sein, weil Romantik Selbsttranszendenz erfordert und weil Narzissmus Selbstimmanenz bedeutet. Drittens: das, was sie dir antun, der narzisstische Missbrauch, ist die tiefste psychische Verletzung, die ein Mensch erleiden kann. Also pass bloß auf.


Fragst du nach Beispielen? Stell dir einen Vater vor, der seinen Kindern die Welt Schwarz in Schwarz malt. Er bereitet sie auf die "Realität" vor, er ist ja ein guter Vater, also müssen die Kinder unbedingt wissen, so früh wie möglich, dass alle Menschen dort draußen egoistisch und böse sind. Je freundlicher du zu ihnen bist, umso mehr nutzen sie dich aus. Dabei betet er nur sein eigenes Prinzip, das eines Narzissten, unreflektiert runter. Stell dir eine Mutter vor, die ihrer Tochter, weil sie schön und charmant ist, ständig Schuldgefühle macht. Einerseits soll die Tochter die Schönheit der Mutter widerspiegeln und sie stolz machen, andererseits ist sie eine Schlampe, sobald sie sich einem anderen Menschen liebevoll zuwendet. Oder ein Freund, für den du nur loyales Anhängsel bist, und der dir bei erster Gelegenheit in der Rücken fallen wird, um sein Ego zu boosten. Oder ein Lehrer, der erkennt, wie intelligent du bist, und seine Autorität nutzt, um dir zu zeigen, wie dumm du angeblich seist. Wenn man solche Leute einmal kennt, wenn man das Geheimnis entschlüsselt hat, fällt es nicht schwer, sie zu erkennen und zu meiden. Aber vor Unwissenden können sie sich perfekt tarnen, sie sind Parasiten, das ist ihre Überlebensstrategie.


Du wirst einen Narzissten kennenlernen, der versuchen wird, dir etwas wegzunehmen: nicht bloß dein Ego, nicht deine Persönlichkeit, nicht dein tiefstes Selbst, sondern gleich deine ganze Realität, den Grund deiner Existenz. Du wirst nicht bloß eine innere Leere fühlen, du wirst der Leere in allen Dimensionen ausgeliefert sein. Das wird dein Interesse an der Kosmologie wiedererwecken, du wirst endlich dein erstes wirklich gutes Gedicht schreiben, du wirst erkennen, wie zart und tief, groß und echt, schön, wahr und gut dein wahres Wesen ist, du wirst kein Nihilist mehr sein, nie wieder, du wirst der radikalste Romantiker überhaupt... ach, warum warne ich dich denn, ich sollte dich ermutigen, diese Vernichtungserfahrung zu durchleiden. Du bist, auch wenn du es mit 29 nicht glaubst, auf einem sehr guten Weg, und diese Erfahrung wird deinen Fortschritt beschleunigen. Aber Vorsicht: es wird verdammt weh tun. 


Und es wird dir so vorkommen, als würdest du dabei einer anderen Person weh tun, aber das ist nicht der Fall. Der Narzisst zerstört sich selbst, er missbraucht gute Menschen nur als Werkzeuge in einem Mindfucker-Game, das in seinem Kopf stattfindet. Du wirst Rücksicht nehmen, dich zurücknehmen, nachgeben, ein Zugeständnis nach dem anderen machen, bis du nur noch auf Eierschalen läufst, bis du keinen Schritt mehr machen kannst, keinen Atemzug nehmen, ohne dich schuldig zu fühlen. Aber womöglich brauchst du auch diese Erfahrung. Du hast als Jugendlicher an unerträglichen Schuldgefühlen gelitten. Die Schuldgefühle, die du empfinden wirst, werden so absurd sein, dass du das Sein zum Schuldigsein endlich überwinden wirst, und endlich anfängst, dich selbst zu lieben, das zu tun, was all die Narzissten, die du kennengelernt hast, zur größten Sünde für dich erklärt haben. Du wirst der Bösewicht sein. Sie werden dich einen Narzissten nennen. Denn wie kannst du wagen, jemand anders zu lieben, als einen von den Narzissten? 


Kleiner Spoiler: gerade der Narzisst ist es nicht, den du lieben wirst. Du findest, wann ist es bei dir, Juni 2012?, den betreffenden Narzissten mittlerweile langweilig, er macht dir Vorwürfe, dass du dich seit Wochen nicht meldest. Aber du hast das Gefühl, dass eure einst inspirierende Brieffreundschaft sich langsam durch mangelndes Interesse an weiteren Gesprächen erschöpft. Und es wäre das beste, ihr würdet ab jetzt getrennte Wege gehen, ihr schuldet einander nichts. Der Narzisst ist bisher nicht gravierend als solcher in Erscheinung getreten, und ihr kennt euch schon ein paar Jahre. Das wäre das beste gewesen, das denke ich heute auch. Einfach allmählich den Kontakt verlieren. Aber du wirst dich schon bald verlieben. In jemand anders. Der Narzisst wird es grundlos auf sich selbst beziehen. Doch, es wird einen formalen Grund geben, aber dieser wird sofort geklärt und erledigt sein. Für dich. Nicht für den Narzissten. Du wirst erklären und erklären, auf Gefühle Rücksicht nehmen, nochmal anders erklären, bitten, die alte Freundschaft endlich in Würde beenden zu können, doch wirst dich in Schuldgefühlen und Verzweiflung verstricken. Nicht obwohl, sondern weil du ein guter Mensch bist. Wärest du ein Arschloch, hättest du dem Narzissten nur alles Gute auf dem selbstgepflasterten Weg zur Hölle gewünscht, und das wäre es gewesen.


Alter Psychopath Jack, selbstsüchtigster aller Narzissten, peinlichster aller Selbstdarsteller, dümmster von allen Idioten (Scherz zwar, aber so wirst du dich tatsächlich fühlen), lies diesen Brief, lies ihn nicht, mach, was du willst, Briefe können nicht durch die Zeit reisen, auch einzelne Gedanken nicht, aber die Intuition kann es. Dass ich heute lebe, verdanke ich dem Umstand, dass du diesen Wahnsinn überstanden hast. Also schließt sich diese Zeitschleife jetzt. Und es ist nicht narzisstisch, zu sagen, sie hätte nie existiert.     


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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (20.08.23, 14:16)
Scheint ja eine richtige Odyssee gewesen zu sein. Aber auch (nur) solche Erfahrungen erlauben die Bildung extravaganter Persönlichkeiten, die Du heute geworden bist; es erlaubt daraus einen ganz besonderen Blick auf die Welt, während Massen ein-und denselben eindimensionalen Blick auf die Welt haben, ohne ihren Winkel ändern zu können.  Weswegen ihnen die Abänderung des Winkels enorme Schwierigkeiten bereitet.

 Terminator meinte dazu am 20.08.23 um 22:18:
Ich bin über Wochen nicht einem Fakeaccount einer bekannten Person, sondern einer anderen Person begegnet, das war meine Erfahrung. Als sich der Fake aufklärte, waren die Gefühle da, und gingen in die unendliche metaphysische Leere, ins absolute Nichts.

Was ich nicht empfand, war: "Oh, ich habe mich ja in [bekannte Person] verliebt!" Nein, sie war nie gemeint. Der Verlust war damit absolut. Die Gefühle waren real, das gemeinte Mädchen existierte nicht. Aber die Nichtgemeinte bezog (bezieht bis heute?) leider alles auf sich selbst.

Natürlich ist mir diese Liebe, dieses Leid, dieses posttraumatische Wachstum unvergleichbar wichtiger als mir die Brieffreundschaft jemals war. Es war eine Bagatelle, damit verglichen. Wir hätten längst wie alte Bekannte, die mal Freunde waren, auf KV koexistieren können.

Vielleicht ist sie kein schlechter Mensch, und verabsolutiert nur ihre Perspektive. Aber welcher gute Mensch hat Null Empathie? Es war möglich, mich zu verstehen, nur der Wille war nicht da.
Taina (39) antwortete darauf am 20.08.23 um 22:47:
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 Verlo (31.08.23, 12:05)
Terminator:

Je freundlicher du zu ihnen bist, umso mehr nutzen sie dich aus.
Terminator, ob Narzißt oder Nazi: du bestimmt, wer dich ausnutzt.

 Terminator schrieb daraufhin am 04.09.23 um 02:06:
Ja, warum kommen wir bloß nicht als erwachsene, fertige Personen auf die Welt? Stattdessen werden wir von Kindheitserfahrungen geprägt, und fallen auf Narzissten und Soziopathen rein, die "riechen" können, was uns passiert ist und was unsere (insbesondere erworbenen) Schwächen sind.

 harzgebirgler (10.04.24, 08:39)
ohne licht und sonnenschein
stellt sich kaum je schönheit ein.
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