Jungsein

Short Story zum Thema Jugend

von  Pearl

Er war immer leicht gewesen, unfassbar. Manchmal hatte sie das Gefühl gehabt, wenn sie nun den Arm ausstreckte, ihn nur mit ihren Fingerspitzen berühren will, dann würde er sich auflösen und in kleinen Teilchen über sie hinwegfliegen.


Das Tal, in dem sie aufwuchsen war manchem zu eng. Man konnte sich eingesperrt fühlen - und auch aufgehoben sein. Die Kinder klingelten an den Türen der Nachbarn, holten ihre Freunde zum Spielen heraus oder fragten nach Süßigkeiten. Die Jugendlichen kannten einander, auch wenn sie manchmal vorgaben, es sei nicht so. Aber sie gingen in dieselben Konzerte, dieselben Diskos, die eine Zeitlang beliebt, dann leer und schließlich geschlossen waren, um unter anderem Namen wieder zu öffnen. Im Frühling und Sommer saßen sie am Boden oder den Steintreppen davor, fanden immer jemanden, den sie kannten und mit dem sie redeten, veranstalteten betrunken Wettläufe und manche gingen zu einem der vielen versteckten Plätze, wo sie von Pflanzenschatten umwuchert, heimlich ein oder zwei knisternde Joints herumreichten.
Die Oberschulen befanden sich im selben Dorf und sie trafen sich auf den Bushaltestellen, der Straße, in den Bars, in welche man nach der Schule ging und wo sie gemeinsam rauchen lernten und dicke Kringel in die Luft zu blasen. Dieselben Leute, dieselben Gesichter. Irgendwie hing einfach alles zusammen, war es doch eine große Welt. Und irgendwie ergab sie Sinn.

Wenn sie bei ihm war, erzählte sie, schwieg sie innen. Dann war es richtig, ohne Fragen oder Gedanken. Sie schaute aus dem Fenster in die endende Nacht, das dunkle Blau war nur gemalt, sie sah die Lücke dazwischen, ein kleines Viereck, darunter lag Licht, das alles aufsog. Sie fühlte, ohne Grenzen, der Himmel draußen und in ihr waren derselbe - und diese Lücke war jene, die es in ihrem Herzen gab. Er fehlte ihr. Er fehlte der Landschaft, dem Tal, durch dessen Leere der Zug auf- und ab fuhr. Er fehlte auch den Anderen, hatte nicht mit ihnen die nächste Station erreicht. Lächelnd, die Hand zum Abschied gehoben, blieb er jung am Bahnsteig zurück, und sie fuhren weiter in eine Zukunft mit Hausbau, Kinderwagen, Versicherungen und Sorgen. Ihr Zug fuhr weiter und er wurde immer ferner, kleiner, bis mit ihm auch ihre Jugend verschwand.




Anmerkung von Pearl:

für S. und T.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (31.08.23, 10:04)
Mittelteil gefällt mir gut, vorne und hinter ist's aber furchtbar rührselig.

P.S.: Das TalKOMMA in dem 

 Pearl meinte dazu am 31.08.23 um 19:26:
... mindestens beim Mitteleil kommen wir mal überein :)

Danke (und , wurde gesetzt)
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