Ein Dialog, den ich erst lange Zeit später verstand

Anekdote zum Thema Andere Kulturen

von  Regina

Ein Inder fragte mich: "Zu welcher Kaste gehörst du?"

"Bei uns gibt es keine Kasten", antwortete ich,

"Ja, ja", meinte er, "aber in welcher Kaste bist du?"

Ich wiederholte, dass es in meinem Land so etwas nicht gibt.

"Klar", sagte er, "in Indien sind die Kasten jetzt ja auch abgeschafft,

aber zu welcher Kaste gehörst du denn?"


Genervt gab ich es auf, ihm zum vierten Mal den gleichen Sachverhalt zu erklären, aber viel später erst verstand ich, was er gemeint hatte.



Anmerkung von Regina:

Das traditionelle indische Gesellschaftssystem hierarchischer Kasten wurde 1949 offiziell abgeschafft.

Der Dialog fand um 1974 in Mumbai statt.

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Kommentare zu diesem Text


 Mondscheinsonate (23.01.24, 21:00)
"Wo stehst du?"(Kaste) Gute Frage. Ich denke auch manchmal darüber nach, denn ich studiere alles andere als ein linkes Studium, sogar auch noch ein kapitalistisches dazu, nämlich BWL, logiere in feinen Hotels, fuhr noch zu Zweit auf die Malediven und nach Mauritius, chattete sogar einmal wegen einer Oper nach New York. Also, links klingt das nicht, andererseits setze ich mich heute für den Umweltschutz ein, habe es extra studiert, freue mich über die Vielfalt meines Landes, uvm, hasse Rechts, sehe das als unnatürlich und menschenverachtend, klingt doch links, jedoch, ehrlich? Ich halte es nach dem Lied meines ehemaligen Arbeitskollegen: Das ist normal, normales Denken. Ich  bin in keiner "Kaste", mag das nicht. 

 Mondscheinsonate meinte dazu am 23.01.24 um 21:00:
P.s. Sehr gute Zeilen!!!!

 Regina antwortete darauf am 23.01.24 um 21:12:
Aber du hast sie genauso wenig verstanden wie ich damals.

Deine Selbstreflexion ist schon auch ok. Das sollte man mal ausführen, aber das ist nicht, was der Inder meinte.

Antwort geändert am 23.01.2024 um 21:42 Uhr

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 23.01.24 um 21:50:
Was meinte er?

 Regina äußerte darauf am 23.01.24 um 22:03:
Er meinte, dass es in Deutschland genauso sei wie in Indien, wo die Regierung die Kasten abschaffte, sie aber wie von Natur gegeben trotzdem weiterexistieren. 
Es ist alles Karma, man wird in eine Kaste hineingeboren und muss den Beruf des Vaters ergreifen, darf nicht außerhalb der Kaste heiraten. 
Die mittelalterlichen Stände in Europa waren schon ähnlich, aber dennoch durchlässiger.

 Graeculus ergänzte dazu am 24.01.24 um 00:31:
Ich glaube, das ist so:

Five years after the Good Friday Agreement (GFA), I was in Belfast again for work. This time there was no border, no indignity and no fear.
Hearing my Dublin accent, a man in his sixties asked, “Are you Catholic or Protestant?”
“Neither, I’m atheist!” I said triumphantly.
“Yes, but are you a Catholic atheist or a Protestant atheist?”
Religion in Northern Ireland is like the Hotel California, I was told. You can check out, but you can never leave.

[Tess Finch-Lees: Anyone who thinks Brexit won’t bring back violence to Ireland doesn’t understand the Good Friday Agreement. The Independent, Tuesday 10 April 2018 - tinyurl.com/y9hazyr9; vgl. DXXVI]

Das bezieht sich auf den Song "Hotel California" der Eagles.

Ich z.B. bin ein katholischer Atheist, ganz eindeutig. "You can check out, but you can never leave."

Antwort geändert am 24.01.2024 um 00:34 Uhr

 Mondscheinsonate meinte dazu am 24.01.24 um 00:35:
Stimmt.

 Regina meinte dazu am 24.01.24 um 00:36:
So ähnlich war das. LG Gina

 Graeculus meinte dazu am 24.01.24 um 16:03:
Bestimmte Klassifizierungen wird man einfach nicht los. Was uns hier angeht, so denke ich da an die apostatischen bzw. konvertierten Juden, mit denen schon im II. Reich "der feine Mann" dennoch keinen Umgang hatte und die im III. Reich ebenso gnadenlos verfolgt wurden wie alle anderen.

Die Inder, die ich kennengelernt habe, blieben in ihren Kasten, die es offiziell gar nicht mehr gab, unter sich.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 25.01.24 um 14:13:
Welche Klassifizierungen sind denn zur Zeit aktuell?

 harzgebirgler (24.01.24, 07:55)
:) :)
ein markantes beispiel:

https://www.hochschulbildungsreport2020.de/chancen-fuer-nichtakademikerkinder

---darüber hinaus gibt's eh immer schubladendenken
jedoch das wort 'denken' kann man sich dabei voll schenken! :D

morgengrüße vom harzer

 Regina meinte dazu am 24.01.24 um 08:25:
Die Gegenmaßnahme für diese Herkunftsabhängigkeit wären sehr gute Schulen und Betreuungseinrichtungen, die die Unterschiede nivellieren. LG Gina

 Beislschmidt meinte dazu am 23.02.24 um 10:43:
Unterschiede ..... 
Nivellierung durch Bildung ist der richtige Ansatz aber auf einer hohen Ebene ist der Stallgeruch immer noch wichtiger als ein Bachelor.
Heißt, die Eliten achten darauf wer reinkommt und wer nicht. Sie probieren es zumindest.


Antwort geändert am 23.02.2024 um 10:45 Uhr

 Regina meinte dazu am 23.02.24 um 10:46:
Aber, anders als im alten Indien, sind sie meistens nicht für Spiritualität zuständig, sondern für oft skrupellosen Geschäftssinn.

 LotharAtzert (23.02.24, 09:33)
Wohl eine der letzten Empfehlungen von AlmaMarieSchneider. Im Zusammenhang mit dem Titel stimmt es mich melancholisch: alles ist vergänglich und bis wir es verstanden haben, ist es auch mit uns selbst schon wieder vorbei.

Ob man in seiner Kaste bleibt, oder ausbrichen kann, das zeigt auch der Uranus im Horoskop, der immer zu einem Bruch mit der Konvention führt. Ich habe meinen zB. im 4. Haus, d.i. das elterliche Milieu und damit hab ich vollständig gebrochen.

Kommentar geändert am 23.02.2024 um 10:14 Uhr

 Regina meinte dazu am 23.02.24 um 10:25:
Nun ja, bei uns gab es im Mittelalter zwar Stände, aber die waren von vorneherein durchlässiger als das traditionelle indische Kastensystem und sind mit der heutigen Situation nicht zu vergleichen. Auf dem indischen Land gilt die Kastenzugehörigkeit bei Heiraten und Berufswahl noch immer, obwohl offiziell bereits 1949 abgeschafft.

In den Städten verliert sich die Kastenzugehörigkeit. Aber das traditionelle Indien glaubte ja an eine karmisch gegebene Zuordnung jedes Menschen zu einer Kaste via Geburt. Der Aufstieg wäre nach dieser Denkweise allein durch die entsprechende Lebensführung in die nächste Inkarnation möglich.

So meinte dieser Inder, dass es das in D auch gäbe. Offiziell angeschafft und doch quasi von Natur aus existent.

Antwort geändert am 23.02.2024 um 10:31 Uhr

Antwort geändert am 23.02.2024 um 10:33 Uhr

 Regina meinte dazu am 23.02.24 um 10:41:
Mit Alma habe ich auch eine Autorenfreundin verloren, die sich ab und zu mit meinen Texten beschäftigt hat und sie empfahl.
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