De oole Klaas

Kindergeschichte zum Thema Sprache/ Sprachen

von  Gabyi

Meine Lehrerin in der Mädchenschule, Fräulein K., hat gesagt, ich soll auf einer Weihnachtsfeier vom Roten Kreuz ein Gedicht aufsagen. In der Hotelhalle, auf einer Bühne, vor einem größeren Publikum. In der Adventszeit und es soll ein plattdeutsches Gedicht sein. Ist mir egal, nur verstehe ich nicht, warum es unbedingt Plattdeutsch sein muss ? Wir dürfen doch gar nicht plattdütsch snacken, so wie noch unsere Eltern und Großeltern es taten und immer noch tun. Ich kann kein einziges Wort Platt sprechen, nur verstehen tu' ich alles. Doch muss man sich nicht irgendwie beinahe schämen für diese sogenannte "niedere" Sprache ? Mein Vater jedenfalls erlaubt uns Kindern diese Sprache nicht.

In der Schule bekomme ich von meiner Lehrerin einen Zettel mit einem niederdeutschen Text hingelegt und lerne ihn brav auswendig, wie es sich gehört.

Und dann, am besagten Tag im Dezember, kurz vor meinem großen Auftritt hinter der Bühne, wird mir im Bauch komisch zumute. Dieses Gefühl kannte ich bis dahin noch nicht. Ich zappele herum, alles ist mir zu viel und ich möchte am liebsten sterben. Meine Lehrerin nimmt mich auf ihren Schoß und tröstet mich:

"Lampenfieber, ganz klar. Das ist völlig normal, das hat man und das gibt sich, wenn du erst im Rampenlicht stehst", und wusch werde ich auf die Bühne geschubst. Alle Aufregung ist auf einen Schlag verflogen und ich sage ohne zu stocken mein Gedicht auf.


Wünn Wienachen is,
wünn Wienachen is,
do slacht min Vadder een Bock.
Do danst min Moder,
do danst min Moder,
do flööcht de rode Rock.
De oole Klaas, de oole Klaas
sliecht sacht um Huus un Kaat.
Wünn hee sin Büdel wied open hedd
oh Hans ün Hein, oh Lott ün Lies
do stünd jee all parat.


Oder so ähnlich. Den Rest habe ich leider vergessen, denn so genau erinnere ich mich nicht mehr daran, ist schon viel zu lange her. Äonen von Jahren sozusagen. Doch der abschließende Knicks nebst wohlwollendem Beifall, Abgang und nachfolgender Erleichterung ist mir noch sehr gut im Gedächtnis haften geblieben.

Doch warum gerade ich auserwählt wurde und nicht die Fischerkinder aus den Gassen, habe ich bis heute nicht so recht verstanden. Die durften doch zu Hause plattdütsch snacken soviel sie wollten und es hörte sich bei ihnen auch echt an und nicht künstlich, so wie bei mir.

Heute bemerke ich allerdings, wenn mir zur Weihnachtszeit das Gedicht mal wieder durch den Kopf geht, dass der "Oole Klaas" auch Santa Claus sein könnte. Die angelsächsische Verwandtschaft ist nicht zu verkennen.

Und heute ahne ich auch, es war die Idee des Unterschieds vom elaborierten zum restringierten Code, die damals die Ministerien zu solchen Irrwegen hinreißen ließ. Als sie versuchten, eine Sprache zu diskriminieren. Anstatt die Kinder beide Sprachen lernen zu lassen, denn zweisprachig haben diese doch eigentlich keine Probleme.

Und heute versucht man, die letzten Reste einer aussterbenden Sprache zu retten. Wahrscheinlich vergebens, es ist wie mit den aussterbenden Tierarten.




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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (05.02.24, 06:45)
Vermutlich ging es auch darum, die Kluft zwischen Bürgertum und Arbeiterklasse in der Öffentlichkeit wirksam zu verwischen ...

Liebe Grüße
der8.

 Gabyi meinte dazu am 05.02.24 um 11:05:
Hmm, könnte so sein. Aber in meinem speziellen Fall waren die Eltern keine Arbeiterklasse, aber meine Mutter konnte trotzdem Platt schnacken. Doch mein Vater fand das asozial. Er konnte leider nur Altgriechisch und Latein  :(
Danke dir sehr fürs Empfehlen :)

Herzliche Grüße
Gabyi
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