Der Freund

Text

von  Mondscheinsonate

Er schrieb mir, dass er insolvent ist und die Hüfte gibt ihren Geist auf, was mich nicht wundert, seit 33 Jahren schleppt er Kameras für den Film auf Berg und wieder ins Tal, auch schrieb er, dass ein paar Drehs für ihn geplatzt sind, aber einer funktioniert doch, dies in Deutschland und dann schrieb er, dass er gerade die Wohnung räumt und das gab mir einen Stich ins Herz, weil jetzt - bis auf meine Mutter - nichts mehr da ist, das mich dort interessieren könnte, er räumt unsere Kindheit. 

Ich sagte, sprach, statt schrieb, dass es sowieso besser ist, es hält nichts mehr dort, rein gar nichts mehr, dies sagte ich, nicht ohne traurigen Unterton. 

Auch sagte ich, dass Erinnerungen im Kopf sind, nicht in einer Wohnung und glaubte selbst nicht, was ich sagte und irgendwie, während ich sprach, bekam ich ein mulmiges Gefühl im Bauch, auch die letzte Bastion, mein Zuhause, wird bald fallen, das nicht einmal im Geringsten mehr mein Zuhause ist, ich sah bei dem Gedanken in meinen Garten, aber so viele Erinnerungen hat, wird auch bald weg sein, ich dachte ans Sterben und ich denke nun täglich ans Sterben, weil Krankheit die Familie überschattet und Leid, denke so viel ans Sterben, dass ich eine Magen - Darm - Grippe bekam und außer Gefecht gesetzt wurde, dies offiziell und sicherlich von Bakterien, aber auch von den vielen Gedanken, der täglichen Angst, an das fürchterliche Sterben. 

Ich sagte: "Traurig allemal."

Ja, das schon. Aber, obwohl es mich nicht mehr kümmern sollte, ich bin dort seit 28 Jahren nicht mehr, betrübt es mich doch sehr. 

Er geht und ich muss zurückkommen, einmal noch, das weiß ich und eigentlich gab mir immer der Gedanke Kraft, dass mein lieber alter Freund R. da sein wird, aber das wird er nun nicht und Panik überfiel mich, dies mit schrecklichem Bauchweh.

Und meine Gedanken gingen zurück, mein Gesicht strahlte der Mond an, seines lag im Dunkel, so saßen wir und plauderten Nacht für Nacht, gerade war ich 15 geworden, er war bereits 17, saßen im Stiegenhaus, nein, er stand prinzipiell, angelehnt an das Fensterbrett und ich saß auf den Stufen, rauchten Camel und in Wahrheit warteten wir auf die zwei Säufer, Mutter und Vater, seinen und meine. Ich weiß nicht mehr was wir sprachen, rein gar nichts mehr, aber die Augenblicke waren schön in traurigen Momenten. 
Er schrieb, dass, jetzt muss ich nachsehen, um es korrekt wiederzugeben, dass er unsere Erinnerungen mit einpackt. Da sagte ich zurück: "Lieber nicht, das waren schöne Momente aus traurigem Grund." Sein Vater starb nicht, er krepierte, der Herr Doktor Journalist. 

Und während ich sitze und mich winde, denke ich, dass es gut ist, dass er geht, er soll flüchten, schnell, das ist ein depressiv machendes Scheißhaus, ja, das denke ich, jetzt schon, denn bei aller Verklärung, es ist ein Fluch, niemand war wirklich glücklich dort, er ist es nie geworden und ich auch nicht. Ich sagte: "Das schenkst du dir zum 50.Geburtstag, ein Neuanfang."

Alles ist tot, nein, fast alles, sie ist noch da, einfach fast alles, er soll da weg. 

Ich schrieb: "Du warst das Haus, in dem ich wohnte." Ja, er war meine erste Liebe, bog um die Ecke und der Federball meines Kontrahenten donnerte mir auf den Kopf. Ich war nicht mehr in der Lage den Schläger zu heben. Die erste Liebe begann also mit Schmerz, manches zeichnete sich schon damals ab. 

Er soll flüchten, weg dort, ich muss zurück, mit Kisten und Möbelpackern, so wie er jetzt, das WANN ist ungewiss, hat sich immer mehr unangenehm eingenistet, aber sicher ist, bei ihm ist es JETZT und das, sagte ich am Schluss, ist für ihn ein Neuanfang, für mich später dann auch. 



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