Argyle und das Mädchen

Bericht zum Thema Gewalt

von  Gabyi

Manchmal ohrfeigte er das Mädchen so heftig, dass es laut knallte - und Blut in einem Schwall aus ihrem Kopf schoss. Insbesondere aus der Nase - und dann sah sie für kurze Zeit nur noch helle Sterne vor den Augen flimmern. Die Blutung war jedesmal für lange Zeit nicht zu stillen. Sie musste ihren Kopf in den Nacken legen, damit die rote Flüssigkeit in den Magen und nicht auf den Teppich gelangte. Oft wurde ihr schlecht dabei und sie musste sich auf den Boden legen.

Dann sah sie nur noch die gekachelten, gewürfelten Socken des Vaters, deren auf dem Kopf stehenden Quader, Rauten und Rhomben in unterschiedlich fahlen Grautönen höhnisch auf der Spitze vor ihrem Gesicht herum tanzten. Argyle-Muster nennt man diese Karos in speziellen Modekatalogen. Pullunder, Pullover, Westen, Strickjacken und Socken sind begehrte Opfer dieses Trendmusters, das es aber auch schon früher gab.

Im Kampfgetümmel der Argyle-Karos hatte der Vater seine Pantoffeln verloren und der Teppich war über und über mit hellrotem Blut besudelt. Ein Teppich, der ebenfalls ein Argyle-Muster besaß. Am Ende bekam das Mädchen die Blutschuld.

Der Farbkontrast von Grau zu Rot fraß sich tief in ihr Hirn hinein. Moderne, bildgebende Verfahren könnten ihn noch Jahre später sichtbar machen. Mit ein wenig Glück kann man sogar die Rauten darstellen und durch vergleichende Bildvorlagen erkennen.

Der Vater jedoch erinnert sich an nichts.

Das Mädchen wiederum spielt später mit dem Gedanken eines posttraumatischen Belastungssyndroms. Will aber kein Opfer sein, sondern schweigt und blättert gelangweilt-belanglos in einem Modejournal - und wippt lässig-gelassen mit dem Fuße, an dem eine violette Argyle-Socke steckt. Das Modebusiness ist auch kein reines Zuckerschlecken, weiß sie.

Und außerdem: ein “freischaffender Betroffenheitslyriker” trägt als Markenzeichen einen Argyle-Pullunder, gestrickt.



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