Rüdiger

Kurzgeschichte zum Thema Begegnung

von  Saira

Es war Sonntag der 14. April diesen Jahres, als ich während eines Spazierganges mit Wilma auf eine Frau mit Hund traf. Sie sprach mich an und erzählte von einem Eichhörnchen-Kind, das sie auf dem Weg gefunden habe. Sie hätte es zur Seite gelegt, in der Hoffnung, dass seine Mama es finden würde. Sie beschrieb mir die Stelle, damit ich auf meine Hündin aufpasse.

 

Ich lief den Weg achtsam entlang, konnte das Eichhörnchen aber nicht aufspüren. Auf dem Rückweg hörte ich plötzlich ein Rascheln und entdeckte nach kurzer Suche das kleine Tier. Leider befand es sich hinter einem eingezäunten unbewohnten Grundstück am Waldhang und hüpfte dort unbeholfen höher. Soweit ich es beurteilen konnte, sah es gesund aber eben sehr klein aus. Wilma verhielt sich sehr aufgeregt. Ich hielt sie kurz und überlegte, was ich tun könnte. Vielleicht kam ja tatsächlich noch die Mama, aber was wäre, wenn nicht? Welche Chance konnte das Eichhörnchen haben? Der Zaun wäre nicht einfach zu übersteigen gewesen. Mit schweren Gedanken und Zweifeln machte ich mich mit meiner Kleinen auf den Weg nach Hause. Ich schlief in der folgenden Nacht sehr schlecht.

 

Am nächsten Vormittag lief ich mit Wilma die gleiche Strecke. Würde ich noch einmal auf das Eichhörnchen treffen?

 

Es war weder zu sehen noch zu hören.

 

Auf dem Rückweg schaute ich abermals intensiv auf den umzäunten Bereich, wo es sich am Tag zuvor aufgehalten hatte und erweiterte den Suchkreis bis zum See. Nichts.

 

Dann sah ich, wie Wilma seitlich vom Weg Blätter beschnüffelte. Sie war ganz ruhig. Ich trat näher und tatsächlich, da lag das Eichhörnchen. Es war eine Tragödie, mein Herz schmerzte, als ich es sah. Auch Wilma schaute betrübt. Sie spürte, dass das Wesen da vor ihr sehr krank und hilflos war.

 

Was dann geschah, konnte ich kaum fassen. Das Eichhörnchen kroch auf mich zu. Dabei zog es seine Hinterbeine hinter sich her. Schnell entledigte ich mich meiner Wolljacke, hob das Eichkatzerl vorsichtig auf und bettete es in meine Jacke. Es kuschelte sich sofort hinein und schloss die Augen. Meine Hündin blieb die ganze Zeit brav sitzen und beobachtete mein Tun. Bis zu meinem Auto war es nicht mehr weit.

 

Das Kleine blieb in meiner Jacke auf dem Beifahrersitz ruhig liegen, sodass ich gefahrlos die fünf Minuten bis nach Hause fahren konnte.

 

Mein Mann suchte im Internet nach einer Auffangstation. In dieser Zeit bereitete ich einen Katzenkorb mit Wärmflasche vor und versuchte, dem Tierchen über eine Spritze ein paar Tropfen Wasser zu geben. Ein wenig nahm es auf. Einen Apfel-Bananenbrei mit etwas Honig verweigerte es. Auch eine Haselnuss, in Stückchen zerkleinert, mochte es nicht fressen. Ich hatte kaum Hoffnung, dass es überleben würde, wollte aber wenigstens dafür sorgen, dass es noch einmal Wärme und Zuwendung spüren konnte, bevor es vielleicht für immer einschlafen würde.

 

Wir fanden eine Auffangstation für Eichhörnchen in Mölln. Nach telefonischer Absprache machten wir uns auf den Weg dorthin. Wilma fuhr natürlich mit. Nach einer knappen Stunde Autofahrt hatten wir die Adresse erreicht. Es kam uns bereits ein sehr sympathischer Herr entgegen, der uns später noch hinter dem Wohnhaus den angrenzenden Wald und ein dickes Seil zeigte, das von seinem Balkon zum ersten Baum im Wald führte. Darüber liefen die kleinen Pfleglinge, wenn sie ausgewildert worden waren, gerne immer wieder zu Besuch zu ihm und seiner Frau. Doch zunächst untersuchte er das Kleine und stellte fest, dass es etwa vier Wochen und ein Junge war. Wir durften ihm einen Namen geben und mein Mann meinte sofort: „Rüdiger“.

 

Bis Mittwochabend, an meinem Geburtstag, war es noch fraglich, ob Rüdiger überleben würde. Bis heute schicken mir seine Pflegeeltern zwischendurch Fotos und kleine Videos von Rüdiger und berichten mir über seine Fortschritte. Er wird bis zur 14. Lebenswoche in ihrer Obhut bleiben. Seine Lähmung in den Hinterbeinen verschwand nach und nach. Er frisst und trinkt, er lebt!




Anmerkung von Saira:

 
Es war der 14. April, als ich das hilflose Eichhörnchen mit zu uns nach Hause nahm.

 
Am gleichen Tag brachten mein Mann und ich ihn zu seinen Pflegeeltern nach Mölln:
[url=https://www.eichhörnchen-in-not.de/schleswig-holstein/m%C3%B6lln/]Eichhörnchen Nothilfe[/url]


Wir schreiben den 21. April. Rüdiger kann seinen Rücken beugen und sein Schwänzchen heben. 
Ich glaube, er wird es schaffen.


Heute ist der 23. April. Rüdigers Pflegeeltern haben mir mitgeteilt, dass der Kleine quicklebendig ist und wir uns keine Sorgen mehr machen müssen.

 

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (24.04.24, 11:34)
Hallo Sigi,
vermutlich erscheinen Eichhörnchen zahlreichen Menschen als besonders fragile, schutzbedürftige und anmutige Wesen. Deshalb hoffe ich, dass sie sich wie ich mit dir über deine erfolgreiche Rettungsaktion freuen werden.
Herzliche Grüße
Ekki

 Saira meinte dazu am 25.04.24 um 07:56:
Hallo Ekki,

Eichhörnchen sind bezaubernde Wesen. Sie haben sehr viele Feinde, auch die Straße stellt eine große Gefahr für sie dar. Nur jedes vierte bis fünfte Eichhörnchen überlebt die ersten Wochen.

Ich bin glücklich, einem von ihnen, trotz widriger Umstände, den Start ins Leben ermöglicht zu haben.

Danke und liebe Grüße
Sigi

 Mondscheinsonate (24.04.24, 11:41)
Herzzereißend lieb, litt richtig mit, aber es ging gut aus. Gott sei Dank!
Da schau mal, wie lieb:
https://youtu.be/L6gmj0RVK_I?si=LDLohyHXDuXMyAG-

 Saira antwortete darauf am 25.04.24 um 07:57:
Was für ein reizendes Video!

Danke und liebe Grüße
Sigi

 Dieter_Rotmund (24.04.24, 14:30)
Sehr rührselig geschildert, etwas mehr Sachlichkeit würde dem Text handwerklich gut tun.

 Saira schrieb daraufhin am 25.04.24 um 07:59:
Es sind meine Gefühle, die ich reflektiert habe.

 Teo (24.04.24, 18:17)
Na, das ist ja rührend!
Wir hatten vor Jahren mal einen völlig erschöpften Vogel in unserem Garten gefunden. Den haben wir dann aufgepäppelt und irgendwann wieder in die Freiheit geschickt.
Ach, das war ein schönes Gefühl...
Gerne gelesen, deine Geschichte 
LG
Teo

 Saira äußerte darauf am 25.04.24 um 08:01:
Lieber Teo,

Tiere sind manchmal von uns Menschen abhängig und wenn wir ihnen in der Not helfen können, ist es ein unglaubliches Glücksgefühl.

Danke für deine Gedanken dazu!

Liebe Grüße
Sigi

 willemswelt (24.04.24, 22:17)
beeindruckend,liebe Sigi-einen Abendgruß,Willem

 Saira ergänzte dazu am 25.04.24 um 08:01:
Herzlichen Dank, lieber Willem.

Liebe Grüße
Sigi

 plotzn (25.04.24, 10:20)
Wie süß, liebe Sigi!

Schön, dass Deine Rettungstat erfolgreich war. Möge rüdiger ein paar Eicheln für Wilma und Dich verbuddeln!

Herzliche Grüße
Stefan

 Saira meinte dazu am 25.04.24 um 10:42:
Lieber Stefan,

das ist eine reizende Idee :) 

Danke und liebe Grüße
Sigi

 Krakel (27.04.24, 11:06)
berührende Geschcihte. Es grüßt Krakel

 Saira meinte dazu am 28.04.24 um 14:43:
Danke Krakel!

Es grüßt zurück
Sigrun
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