Die Ankunft

Kurzgeschichte zum Thema Andere Welten

von  Saira

Es herrschte hektische Betriebsamkeit im Kontrollzentrum. Die Landung des fremden Raumschiffes stand kurz bevor. In der riesigen Halle, die für dieses sensationelle Ereignis aus dem Boden gestampft worden war, warteten ungeduldig die höchsten Repräsentanten des Planeten.

 

Als seinerzeit die ersten Funksignale der außerirdischen Intelligenz empfangen wurden, dachten die Wissenschaftler zunächst an technische Fehler in der Empfangsanlage oder an bis dahin unbekannte atmosphärische Störungen, aber dann erkannten sie schnell die Regelmäßigkeit und mathematische Logik der Signale.

 

Sicher, man betrieb seit einiger Zeit selbst Weltraumforschung und suchte nach Leben im All, aber weiter, als bis zum äußersten Planeten des eigenen Sonnensystems war man bisher nicht vorgedrungen. Längere Reisen waren mit der derzeitig verfügbaren Antriebstechnik und den Geschwindigkeiten, die mit ihr erreicht wurden, auch gar nicht möglich. Und die Suche mit Teleskopen und der Radioastronomie? Sie brachte zwar viele neue Erkenntnisse zur Entstehung des Universums, aber nirgends wurde ein Beweis für intelligentes, außerirdisches Leben gefunden.

 

Seit ewigen Zeiten wurde darüber gestritten, ob man die einzige höhere Lebensform im Universum sei. Nun war es bewiesen: Man war nicht allein. Ein Schock für die vielen konservativen Mahner und Zweifler unter den Wissenschaftlern und Religionsführern. Sie fielen in eine Art Starre und schwiegen seitdem.

 

Mit Hilfe der Fremden und deren höherentwickelter Technologie konnten nun die Probleme der Umweltverschmutzung und der sich abzeichnenden Überbevölkerung und Nahrungsmittelknappheit in Angriff genommen werden.

 

Das Ereignis wurde bis in den kleinsten Winkel des Planeten übertragen. Jeder sollte live dabei sein, wenn die Fremden landeten. Die Hauptkamera schwenkte langsam über den wolkenlosen Himmel und fuhr dann ebenso langsam hinunter auf den riesigen Landeplatz. Das Bild wechselte zu den Zuschauertribünen und zeigte die Prominenz aus der Welt der Kultur, des Sports und die Riege der mächtigsten Politiker. Die Kamera zoomte auf einen bekannten Reporter.

 

Er sprach ins Mikrofon: „Liebe Zuseher, wir erleben in Kürze das größte Ereignis in der Geschichte unseres Heimatplaneten. Ein außerirdisches Raumschiff wird bei uns landen. Obwohl wir alle seit langer Zeit davon wissen und bereits viele Details über die Fremden bekannt wurden, ist die Aufregung so groß, als würden wir in diesem Moment erst davon erfahren.“

 

Er schluckte und fuhr fort: „Ich möchte die Zeit bis zur Landung nutzen und mich mit einem der kompetentesten Wissenschaftler unterhalten. An meiner Seite sitzt der Leiter der wissenschaftlichen Kommission für außerirdisches Leben, der sich freundlicherweise bereit erklärt hat, mir einige Fragen zu beantworten.“ Der Reporter wandte sich dem neben ihm Sitzenden zu: „Sie waren von Anfang an dabei. Wie ist es damals zum ersten Kontakt mit den Fremden gekommen?“

 

Der Angesprochene antwortete: „Es ist ja allgemein bekannt, dass wir seit langer Zeit, auf der Suche nach anderen Lebensformen, ins Weltall hören und schauen. Es ist eine schwierige und langwierige Suche. Ich möchte es einmal an einem einfachen Beispiel erklären. Stellen Sie sich einen kleinen Teil des Universums als riesigen weißen Sandhaufen vor, in dem Sie ein einziges dunkles Sandkorn finden sollen. Diese Aufgabe braucht nicht nur viel Zeit und Geduld, sondern auch eine große Portion Glück. Nun, die Fremden haben das dunkle Sandkorn gefunden!“

 

„Und dieses Sandkorn war unser Planet?“

 

„Richtig. Sie empfingen unsere Signale, die wir seit Anbeginn unserer Weltraumforschung aussandten und sie antworteten.“

 

„Welche Sprache benutzte man?“

 

„Mathematik. Sie ist überall gleich.“

 

„Aha. Und wie ging es weiter?“

 

„Bevor ich diese Frage beantworte, möchte ich zunächst etwas zu den zeitlichen Dimensionen sagen. Wie Sie sicherlich wissen, bewegen sich die Signale mit Lichtgeschwindigkeit durch das All. Die Antwort der Fremden war über 20 Jahre zu uns unterwegs!“

 

„Frage und Antwort dauerten also ungefähr 40 Jahre – wenn ich es einmal so pauschal ausdrücken darf?“

 

„Genau! Zehn Jahre später, als unsere Reaktion auf die Antwort der Fremden noch unterwegs war, erhielten wir bereits eine neue Nachricht von ihnen. Sie hatten inzwischen einen Antrieb entwickelt, der Reisen mit annähernder Lichtgeschwindigkeit ermöglichte. Sie teilten uns mit, dass sie sich auf den Weg zu uns gemacht haben. Als Kommunikationsmittel wurde eine Kunstsprache gewählt, die aus leichtverständlichen Zeichen bestand. Unsere Technik benötigte nicht sehr lange, um sie zu entziffern.“

 

„Das ist wirklich interessant. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, waren die Fremden demnach etwa 20 Jahre unterwegs?“

 

„Nein, das ist nicht ganz richtig. Sie flogen ja nur mit annähernder Lichtgeschwindigkeit. Zudem brauchte das Raumschiff etwa zwei Jahre zur Beschleunigung und zwei Jahre, um die Geschwindigkeit wieder zu verringern. 27 Jahre dauerte ihre Reise!“

 

„Phantastisch. Welch eine Technologie. Wie weit sind denn unsere eigenen Forschungen in dieser Richtung?“

 

„Das Zusammentreffen mit den Außerirdischen wird nicht nur in dieser Hinsicht für uns nützlich sein. Ich sehe unserer Zukunft mit positiven Gefühlen entgegen.“

 

Der Reporter nickte. Er warf einen kurzen Blick auf die Monitore, auf denen er die Übertragung vom Himmel und dem Landeplatz verfolgen konnte, dann wendete er sich wieder seinem Gesprächspartner zu: „Erzählen sie uns bitte ein wenig über den Planeten der Fremden. Worin bestehen die Unterschiede zu unserer Heimatwelt?“

 

„Es gibt erstaunlicherweise gar nicht so viele Unterschiede. Ihr Planet ist ein wenig größer, die Umlaufbahn um die etwas kleinere Sonne dauert einige Tage länger, ihr Tag ist kaum kürzer. Der Abstand zur Sonne entspricht der unseres Planeten, ebenso die Atmosphäre. Die Fremden werden keine Schwierigkeiten haben, unsere Luft zu atmen. Flora und Fauna sind ähnlich, wobei sich Form und Aussehen von Pflanzen und Tieren natürlich anders entwickelt haben als auf unserer Welt.“

 

„Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen. Das Aussehen der Fremden ist nicht unbedingt das, was wir als ... ähem ... ich will es einmal vorsichtig ausdrücken, als ästhetisch bezeichnen würden, nicht wahr?“

 

„Ich muss zugeben, dass ich erschrocken war, als ich die ersten Funkbilder von ihnen sah.“

 

Der Reporter lachte. „Ja, so erging es mir auch. Immerhin haben sie aber einen Kopf, einen Körper, zwei Arme und zwei Beine – wie wir!“

 

„Ihre kurzen, gedrungenen Körper sind vermutlich auf die höhere Schwerkraft ihres Planeten zurückzuführen. Warum sie allerdings nur diese kleinen Köpfe, mit winzigen Augen und Ohren ausgebildet haben, müssen wir noch ergründen. Im Gegensatz dazu wirken ihre riesigen Riechorgane und diese dicken Wülste ober- und unterhalb ihrer Münder geradezu grotesk.“

 

„Ihre Hände und Finger sind doch eigentlich auch viel zu kurz und zu dick. Ist es denn überhaupt möglich, mit derartig ... ähem ... verkümmerten Greifwerkzeugen effektiv zu arbeiten?“

 

„Sie scheinen seltsamerweise gut damit zurechtzukommen. Wie wir feststellen mussten, haben sie doch trotz dieser Behinderung Erstaunliches geschaffen. Ich bin immer wieder überrascht, zu welchen Entwicklungen die Evolution fähig ist. Die Fremden mögen unserer Vorstellung von Ästhetik widersprechen, aber daran werden wir uns wohl bald gewöhnen müssen, auch wenn es uns schwerfallen wird. Dieser unappetitliche Bewuchs an und auf ihren Köpfen ...“

 

Der Reporter unterbrach den Wissenschaftler: „Sie kommen, sie kommen!“, rief er aufgeregt. Das Bild wechselte. Ein kaum sichtbarer Punkt war am Himmel zu sehen. Der Punkt wurde größer und bald konnten erste Konturen ausgemacht werden. Die Stimme des Reporters überschlug sich. Die Zuschauer auf den Tribünen waren längst von ihren Plätzen aufgesprungen und starrten mit atemloser Spannung zum Himmel empor.

 

Je näher das riesige, scheibenartige Raumschiff dem Landeplatz kam, desto lauter wurde das Grollen und Zischen seiner Bremsaggregate. Schließlich schwebte es minutenlang, fast bewegungslos über dem Boden, bevor die mächtigen Standbeine ausgefahren wurden. Ein majestätischer Anblick.

 

„Ich äh ... ich finde in diesem großartigen Moment keine passenden Worte mehr“, sagte der ergriffene Reporter und weiter: „Verehrte Zuseher, lassen wir die Bilder für sich sprechen!“

 

Er schaltete das Mikrophon aus und wandte sich wieder dem Wissenschaftler zu: „Wie nennen sich die...die Fremden? Ich habe es doch in der Aufregung tatsächlich vergessen.“

 

Der Wissenschaftler blickte den Reporter verständnisvoll aus seinen riesigen Facettenaugen an. Er öffnete den schmalen, lippenlosen Mund: „Menschen“, antwortete er lächelnd und zeigte seine blitzweißen Reißzähne und weiter: „Sie nennen sich Menschen!“ 

 

 

 

 

 

© Sigrun Al-Badri/ 2024



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (20.02.24, 10:26)
Eine spannende Erzählung in Form einer Reportage mit einer Pointe am Ende, die es in sich hat, auf lebendige Weise geschildert. Du entwickelst dich immer mehr zur Superschriftstellerin.

 Saira meinte dazu am 20.02.24 um 11:03:
Moin liebe Gina,

dein Lob überwältigt mich geradezu. Ich danke dir!

Liebe Grüße
Sigrun

 TassoTuwas (20.02.24, 11:14)
Moin Sigi,
das liest sich so leicht und locker und unterhaltsam und dann kommt ein Hammerende!
Was ist mit unserer Menschlichkeit und wo ist sie geblieben?
Ein großartiger, zeitnaher, dabei ewig aktueller Text.
Herzliche Grüße
TT

Kommentar geändert am 20.02.2024 um 11:15 Uhr

 Saira antwortete darauf am 20.02.24 um 19:03:
Moin lieber Tasso,
 
wenn wir Menschen uns verstärkt um Nächstenliebe, Humanität und Toleranz kümmern und Empathie, Respekt und Achtsamkeit leben würden, wäre Menschlichkeit nicht nur ein Wort.
 
Was ist, wenn die Erde nicht mehr bewohnbar ist und der Teil der Menschheit, der die Klimakatastrophen und Kriege überlebt hat, in Raumschiffen flüchtet und vielleicht einen Planeten findet, der ihn aufnimmt? Dann wäre der Mensch der Fremde.
 
Ich danke dir für dein Feedback!
 
Herzlichst
Sigi

 plotzn (20.02.24, 11:43)
Servus Sigi,

das Ende ist genial! Und der Perspektivwechsel sehr lehrreich. Toll geschrieben!

Liebe Grüße
Stefan

Kommentar geändert am 20.02.2024 um 11:43 Uhr

 Saira schrieb daraufhin am 20.02.24 um 19:04:
Moin Stefan,
 
was für ein Feedback! Ich freue mich sehr darüber, dass du den Perspektivwechsel erwähnst. Der war eine Herausforderung für mich.
 
Ich danke dir!
 
Liebe Grüße
Sigi

 Teo (20.02.24, 11:45)
Moin Sigi,
Das is ja Klasse gemacht.
Meine Güte, was du so drauf hast.
Hut ab!
Staunende Grüße 
Teo

 Saira äußerte darauf am 20.02.24 um 19:05:
Moin Teo,
 
nun, bei den tollen Kollegen und Kolleginnen muss ich mir ja auch Mühe geben, nicht wahr?
 
Ich danke dir für Lob und *chen!
 
Liebe Grüße
Sigi

 AchterZwerg (20.02.24, 14:29)
Frei fließend erzählt, gut pointiert und - brandaktuell! <3 :) <3

 Saira ergänzte dazu am 20.02.24 um 19:06:
Leev Heidrun,
 
deine Herzchen und Worte sind wunderbar! Ich danke dir!
 
Liebe Grüße
von deiner Forenfreundin Sigi <3

 GastIltis (20.02.24, 17:26)
Liebe Sigi,
als ich vor kurzer Zeit gelesen habe, dass die Wahrscheinlichkeit, mit außerirdischen Kulturen Kontakt aufzunehmen, gegen Null geht, hätte ich dem ohne Vorbehalt zugestimmt. Und jetzt kommst du! Und erzählst uns, dass es möglich ist, eine Nadel in einem Heuhaufen zu finden, der gar nicht da ist. Vor allem, wie!
Na hoffentlich gibt es keine Verwechslungen mit den Besuchern, die eventuell ihren Kopfbewuchs zu Hause gelassen haben.
Viele liebe Grüße von Gil.

 Saira meinte dazu am 20.02.24 um 19:08:
Lieber Gil,
 
ja so kann es einem ergehen. Man denkt, man habe etwas gedanklich abgelegt und dann kommt jemand – in diesem Fall ich – und widerlegt alles! „Und jetzt kommst du“ … diesen Spruch mag ich. :)
 
Man sollte seinen Fifi nie zu Hause lassen, denn man weiß ja nie, wozu er mal gebraucht wird
 
Danke für deine Spuren!
 
Herzlichst
Sigi

 millefiori (21.02.24, 09:24)
Wow! Eine spannende Geschichte und die Pointe ist super! 
Sehr gut geschrieben. 
Vielen Dank
liebe Grüße
Millefiori 🤓

 Saira meinte dazu am 21.02.24 um 14:54:
Moin Millefiori,

danke für dein schönes Feedback! Ich freue mich sehr darüber :) 

Liebe Grüße
Saira
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