Glaubwürdigkeit

Text

von  Mondscheinsonate

Nun ja, was soll ich sagen, die letzten Tage meines "Pensionistendaseins" nütze ich intensiv für die Universität, so auch diese Nacht wieder für das Steuerrecht und den Umgründungen. Wer aber glaubt, ich schlafe dann bis Ende nie, der irrt. Zumeist gehe ich um vier Uhr schlafen, auch halb fünf und bin um acht Uhr wieder wach. Da bin ich ganz die Enkeltochter meiner Großmutter: Schlaf wird überbewertet. Der Großvater hatte keinen Führerschein, lehnte sich auch in der Nacht im Auto zurück und ließ sich überallhin kutschieren, dafür bekam die Großmutter 70% seines Einkommens Haushaltsgeld, das sie niemals sparte, sondern ausgab. Ein schöner Deal, würde man meinen, jedoch die Großmutter war die treibende Kraft, der Motor sozusagen. Ohne sie ging nichts, denn sie arbeitete auch in der Praxis, dann half sie der Haushälterin beim Putzen, Kochen und Waschen und als der Chauffeur erschossen worden ist, fuhr nur noch sie. Im Sommer, untertags, fuhr der Großvater mit der Honda, er hatte nur den Führerschein für das Motorrad (warum?), aber im Winter musste die Großmutter mit zur Visite, aber das kam ihr gelegen, so erfuhr sie den neuesten Klatsch&Tratsch nicht nur am Sonntag in der Kirche. 

Nun ja, die Großmutter arbeitete also 24/7, rund um die Uhr. Respekt noch im Nachhinein. Aber so ist das, wenn jemand einen Arzt heiratet. "So" toll war das früher nicht. Finanziell ja, vom Ansehen her auch ja, aber zurücklehnen gab es nicht. 

Und, in der Pension beschäftigte sie den Großvater mit den "Kleinigkeiten besorgen", so sagte sie:"Richard! Jetzt hast du die Zitronen vergessen!" und der Großvater ging gottergeben wieder zurück in den Supermarkt, schwieg. Die Zitronen standen nicht am Einkaufszettel. Er liebte sie wirklich überalles, stritt nie mit ihr. Niemals, die ganzen 55 Jahre nicht. Er sagte:"Mein Reserl!" - Eher:"Teuferl," aber das empfanden nur wir. Das war Liebe, ohne ein "Ich liebe dich". 

Dabei war er ein Widder und sie ein Wassermann, seltsam, hier wurde die Astrologie komplett ausgehoben. 

So denke ich an sie, während ich eine kurze Pause einlege. Überhaupt, jede Geschichte des Großvaters war geschichtlich nachvollziehbar, jedes Wort die Wahrheit, nie kam eine Lüge über seine Lippen oder eine Ungereimtheit. Ich finde überhaupt, wenn man Geschichten erzählt, man auf Tatsachen beharrt, wie geb.da und  dann war man arbeiten, dies bereits das zweite Jahr, dann zweifelt man entweder am Alter oder an dem Umstand, wenn 15 herauskommt, nein, so etwas gab es bei uns niemals, alles hatte Hand und Fuß. Respekt vor so viel Phantasie, aber ein Geschichtsbuch in die Hand nehmen wäre schon wichtig. Der Großvater mahnte auch immer zur Wahrheit, es gab einen riesengroßen Krach, wenn ich log. Dabei log ich nicht, ich phantasierte, das war schön, "das hat keinen Sinn", sagte er, der Despot.

Also blieb ich bei der Wahrheit:"Oma, die dicke fette Frau Höllersberger steht vor der Tür, das dicke Schwein!" - Das sagte sie doch immer, aber ich bekam die Ohrfeige. Die war aber wirklich dick und ganz rot im Gesicht. Keine Vorwürfe, ich plapperte alles nach, was die Erwachsenen redeten, war ein Papagei. So erzog ich die Großen zur Vorsicht. 

Wenn ich krank war, dann saß die Großmutter an meinem Bett und betete, ich "starb" prinzipiell, das ließ sie sich nicht nehmen. Der Großvater kam dann ins Zimmer mit seinem weißen Kittel, gerade aus der Ordination kommend, die neben unserer Wohnung war, sah mich lächelnd an und fragte:"Willst du ein Eis?" So schnell setzte ich mich auf und strahlte. Dann sagte er zur Großmutter:"Gib dem Kind ein Eis, es ist wieder gesund." Der durchschaute mich, verstand aber, dass auch ich eine Großmutter brauchte, sie durch das Kranksein zur Pause nötigte. Die Großmutter strahlte und war sich sicher, dass der Herrgott seine Hände im Spiel hatte. Nein, ich log nicht, ich simulierte, das war herrlich. Aber, einmal gab es kein Eis, weil ich nicht mehr reagierte, da rief der Großvater den Krankenwagen und brachte mich ins Spital, er war dort auch Oberarzt der Internen. Ich hatte eine Lungenentzündung und wäre beinahe wirklich gestorben. Da saß der Großvater Tag und Nacht an meinem Bett und erzählte mir von der Welt, nur nicht von Gott. Den, von der Großmutter alarmierten Pfarrer schickte er unwirsch hinaus, sagte laut:"Hier wird nicht gestorben, geh zu deinen Betschwestern, Verfluchter!" Nie werde ich das vergessen, niemals, ich fand diese sonorige Stimme und den, sich aufbäumenden Großvater vor dem Herrn Pfarrer, schwer beängstigend. 

Ich bekam von den Schwestern immer extra Pudding und sie lasen mir vor. Der Großvater machte Doppelschichten, machte die Praxis in der Zeit zu, da konnte die Großmutter endlich in der Nacht schlafen. Das waren Wochen des Bangens. Natürlich hielt mir das die Großmutter noch vor bis ich 12 war, damals war ich fünf, dann erst hörte sie damit auf, abrupt und plötzlich. Vielleicht brauchte sie einfach so lange für ihre Verarbeitung oder der Tremens schlug zu. 

So denke ich an beide, während ich eine Pause mache, auch an das Pfefferonipflänzchen, ich erzählte dem Großvater, dass der mild sei, er kostete und lief rot an, das war lustig, er fand es weniger lustig. Das war aber nur ein Streich, der mich nur Schimpfer kostete. Schläge kostete mich das Impfen meines Teddys, denn ich nahm aus dem Spritzenkübel eine gebrauchte Spritze. A. Ich verletzte das oberste Gebot: Ohne Großvater durfte ich nicht in die Ordination und B. schon gar nichts durfte ich angreifen. Der Großvater wurde fuchsteufelswild, weil es sehr gefährlich war, was ich tat und hätte mich verletzen können und überhaupt war es strafbar für ihn, nein, das war nicht lustig. Ich ging nie wieder ohne Erlaubnis hinein. Nun ja, er war überhaupt der Ansicht, dass ich eine Ärztin werden würde, er hasste Juristen. Er hat es nicht mehr mitbekommen und ehrlich, mein Respekt war so groß, hätte er noch gelebt, hätte ich niemals die Rechtswissenschaften studiert, nie!

2021 machte ich zum Spaß die stundenlange Aufnahmeprüfung für Mediziner, die Durchfallquote ist sehr hoch, schnitt unter den Besten ab, ohne Vorbereitung. Es lag mir einfach. Das Ergebnis steckte ich in ein Kuvert und bat meine Schwester es auf das Grab zu legen. Ich fahre dort nicht hin. Ich schaffe es noch immer nicht. Er hatte Recht, ich hätte als Mädchen strebsamer sein sollen, dann wäre aus mir eine Medizinerin geworden, aber der Rebell in mir, verneinte vorgezeichnete Lebenswege. Er hätte sogar noch mein Doktorat erlebt, es käme vom Alter her hin, dann wäre er stolz gestorben. Na ja, so sagte er:"Du machst schon noch deinen Weg." 

Ja.


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