21

Erzählung

von  Zeder

Lola streift über den Flur. Ihre Augen sind schwarz auf den Teppich gerichtet. Während sie die Tür zu ihrem Zimmer öffnet, strömt der Geruch von Farbe hinaus und breitet sich in meiner Nase und in meinem Mund aus, sie schlüpft ohne ein Wort hinein, das letzte Mal hat sie im Frühling zu mir gesprochen: Sie sagte: "Du siehst genau wie Mama aus.", jetzt schließt sie die Tür lautlos.
Lola malt. Ich weiß nicht, was sie malt, denn ich habe nie eines ihrer Bilder gesehen, es hat niemals jemand eines ihrer Bilder gesehen und ich glaube manchmal, sie malt Medusenaugen. Sie sagte mir, als ich gerade dreizehn war: "Du bist immer allein und kannst nichts daran ändern." Und sie blickte dabei auf den Boden und es war fast als spräche sie zu ihm und nicht zu mir. Danach weinte ich lange und schnitt mir mit Lolas Rasierer in den Arm. Ich schwänzte tags darauf die Schule und lief ziellos durch die Stadt. Ich lief Straßen entlang, die ich nicht kannte und von denen ich heute noch manche Nacht träume. Ich saß in Hauseingängen und rannte irgendwelche Treppen auf und ab, ich stieg in einen Fahrstuhl und wollte nicht mehr hinaus bis es Abend war, dann spürte ich Hunger. Das ist also das brennende Leben. Zu Hause schloss ich mich ein und berührte mich überall, ich kratzte das geronnene Blut von meinem Unterarm und stellte fest, dass ich ab jetzt nur noch Pullover tragen könnte. Ich schlief ohne Tränen ein.
Letzte Nacht hat sie ihre Bilder zerschlagen. Ich schob mein Ohr an die Wand und lauschte: von drüben reißende Geräusche, Krachen, dann schrie sie laut auf, sie schrie schrill wie eine Todesfee, und ich sah vor geschlossenen Augen, wie die Fenster zersprangen, wie die Bilder zerplatzten, wie ich platzte, wie Mama platzte und wie am Ende nur noch Lola übrig war, neben Welttrümmern.
Manchmal dreht sich die Welt in meinen Träumen, dann schwebe ich Decken entlang und Lolas schwarze Augen blicken in meine, kurz vor dem Erwachen werde ich zu Stein. Wenn sie dann lächelt, strömt das Leben durch mich und rüttelt an mir wie ein Erdbeben, Tränen strömen in mein Kissen, wie Wellen in den Sand und meine Lunge weitet sich und zieht sich zusammen, wie beim ersten Atemzug eines Neugeborenen. Nach dem Augenaufschlag der erste Schrei - man ist immer allein, sagt der Himmel, ich bin immer allein, sagt das Herz.
Ich habe keine Gardinen, weil ich es mag, wenn die Sonne morgens in mein Zimmer scheint. Meistens habe ich nachts Angst, dass jemand vor meinem Fenster steht und hinaufblickt. Ich sehe dann in den dunklen Himmel hinaus, bis mein Herz ruhiger schlägt und versuche an nichts zu denken, aber das ist schwer, denn wie soll man Nichts in Gedanken verwandeln. Es hakt und ich verzweifle, weil meine Beine so schwer sind und mich in den Boden ziehen, bis ich mich nicht mehr bewegen kann.
Es passiert sehr selten, aber ich erlebe es manchmal, dass sich eine unsichtbare Hand auf meine Schulter legt. Es ist eine Hand, die ruht und strahlt, nicht zittert, und sagt: "Geh voran und schwimme, wenn es nötig ist" und ich weine in den Morgen hinein, aus dem Morgen heraus und ich öffne das Fenster und kühle mein Gesicht, bis ich rote Backen bekomme und endlich den Mut dazu habe mich umzudrehen. Ich gehe durch die Tür.
Die Tür fällt ins Schloss. Wir warten - kein Hallo. Leise Füße suchen den Weg hinauf. Ich sehe ihr zu, wie sie sich durch ihren Nebel Richtung Zimmer tastet. Sie hat ihre Frisur verändert, die Haare sind jetzt kurz und rot. Es ist Lolas Geburtstag und wir sitzen und warten in Schweigen, wir sitzen und warten. Ich blase irgendwann die Kerzen aus, die ich vor Stunden anzündete, und wünsche mir etwas für Lola, ich werfe mein Geschenk in den Papierkorb und lege Mama die Hand auf die Schulter, dann gehe ich endlich die Treppe hinauf. Vor Lolas Zimmer lausche ich, aber dahinter ist Stille, ich hebe meine Hand und klopfe beinahe, doch schließlich drehe ich um. Ich sitze vor meinem Fenster bis es Nacht wird; ich sitze dort die Nacht hindurch und frage mich, ob auch Lola die Banshee sieht, die vor unserem Haus sitzt und weint.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

aezre (24)
(22.09.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Zeder meinte dazu am 22.09.08:
mit dem weinen: danke,ja. den gedanken hatte ich auch.

jedoch - der rasierer muss die unterarme schneiden. das ist notwendig in diesem bild, finde ich.

ich danke dir. ja, gedankensynchron, wie schön.
aime (23)
(22.09.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Zeder antwortete darauf am 22.09.08:
dann lass ihn einfach ganz. ich danke dir!
Melancholic. (31)
(23.09.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Fremdkoerper (33)
(23.09.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Zeder schrieb daraufhin am 23.09.08:
genau so hatte ich mir das gewünscht. vielen dank!
Thor (30)
(23.09.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Zeder äußerte darauf am 23.09.08:
danke, tim!
ach. das mit dem zerplatzen sollte eigentlich ein bild sein, das die protagonistin in sich bildet. lola als todesfee. lolas schrei als den einer todesfee - und dieser schrei bringt alles zum zerbrechen, weil er auf so hohen frequenzen läuft. ich schreibe das wohl besser noch in die anmerkung mit rein, das ist ein wichtiges bild, irgendwie.

genau so soll der text zurücklassen: wer wird sterben?
aber ich will nicht verraten wie das alles für mich ist. das muss dann eigene interpretation sein.

th.
Thor (30) ergänzte dazu am 24.09.08:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Unbegabt (23.09.08)
das ist - mal wieder - ein kleines kunststück.
Pjotr (29)
(23.09.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
muse (22)
(26.09.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Zeder meinte dazu am 26.09.08:
das ist auch mein herzstück darin =) also so fühlt es sich auch an -

vielen dank, muse!
Sojafisch (18) meinte dazu am 30.09.08:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 thomas (17.11.08)
du bist zu recht ein gekröntes haupt für einen monat!
vg thomas

 Ingmar (28.11.08)
ein schluss zum sich in ihn verlieben:

"Ich sitze vor meinem Fenster bis es Nacht wird; ich sitze dort die Nacht hindurch und frage mich, ob auch Lola die Banshee sieht, die vor unserem Haus sitzt und weint."

das klingt nach, du, das klingt traurig und schön nach, lange, lange.

ingmar
thammü (22)
(26.01.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Dieter_Rotmund (31.10.19)
Fängt zwar etwas arg salbungsvoll formuliert an, ist jedoch durchaus spannend. Dann aber wieder nur die übliche Nabelschau (Ich-Ich-Ich), schade!

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 31.05.21:
Aber interessanter Einblick, wie es auf kV im Jahre 2008 zuging.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram