Unter den Dächern

Gedanke

von  Zeder

Hinter den Antennen einer Wohnanlage in einer Stadt, die ich nicht kenne, bebt ein Herz in noch unregelmäßigen Schlägen neu erwacht, brüllt seine Überempfindung in den erbarmungslosen Himmel hinauf und schmiegt dann eine Wange an die nächste Brust eines Wesens, das es Mutter nennen wird. Die Mutter weint glücklich. So dringt der Klang der fremden Stimmen in mein Hirn hinein, stößt auch mein Herz an, wie das stumpfe Kneten einer Bäckersfrau mit Mehlgewand im Morgengrauen – ich würde sie Engel nennen, wenn wir nicht alle Engel wären.
Als meine Mutter mich gebar, bin ich nicht ihrem Schoß, sondern ihrem Kopf entsprungen, bin rückhaltlos auf rostigen Felsen in die Welt gekrabbelt, fremde Gedanken tragend. Hier in dieser Stadt sind die Straßen jedoch glatt. Die Straßen sind geglättet in allen Witterungen. Wir sollen unsere Wege hier leichter gehen, doch wir gehen die Wege, die alle gehen.
Der Himmel über uns erzählt uns seine Geschichte, bläst sie in unsere Gedanken hinein, webt sein Dasein spinnenartig in das Menschengeflecht und ist dabei so wiederholend, dass er uns manchmal vergessend macht. Hell, dunkel, zwischen Mauern. Ein Haus aus Granit, zu Haus im Steinhaufen. Ein Loch zum Atmen und Leben darin. Das tausendfach. Wenn ich Angst bekomme, atme ich Stille ein und aus und sage mir, dass auch ich Stille bin, lächle, wenn ich mich dabei erfahre, wie ich ängstlich meine Ohren vor dem großen Unbekannten schützen will und dabei doch immer angestrengter lausche. Ich stelle mir vor, dass die Geister hier Menschen wären, das füllt die Zimmer.
Jede Nacht jage ich aus der Stadt hinaus, diesmal treibt eine Boje ankerlos im Wellengang meines Bootes, streicht erwartungsvoll durch die Strömung ohne Gegenwehr. Am Horizont kann ich die Sonne sehen. Ob wir wohl seufzend untergehen? Ich glaube auch an ein Ende, irgendwann. Danach wird nur etwas kommen.

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Kommentare zu diesem Text


 tulpenrot (07.02.11)
ein sehr nachdenklich und traurig stimmender Text. Eine Person kommt mir darin entgegen, die in ihrer weichen Verschlungenheit dennoch mit den lebensbedingten Unebenheiten kämpft - ums Überleben, Weiterleben.
LG
tulpenrot

 Zeder meinte dazu am 07.02.11:
danke fuer diese gedanken.
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