Achtsamkeit, Präsenz und die Natur des Geistes

Essay zum Thema Meditation

von  LotharAtzert

Wenn Gedankenstille erreicht ist, ist weder ein Subjekt vorhanden, noch werden Objekte ergriffen, noch ist nichts. Es kann nicht einmal gesagt werden, daß grenzenloser Raum sei und mit großer Mühe heißt es: es ist, wie es ist.
Um (diese) Gedankenstille zu erreichen, muß man jedoch eine bestimmte Haltung einnehmen, sowohl physisch, als auch geistig. Physisch ist es die gerade "aufrichtige" Wirbelsäule und, je wie komfortabel man es haben will, der Lotussitz, der Schneidersitz, der Spaceshattlesitz etc. Die Atmung wird entspannt, geht tiefer, tiefer hinein, tiefer hinaus, vorbei an der Nasenspitze, stetig wie Wellen wechselnd.
So ist es im Theravada.

Das Dzogchen - Maha Ati -, zum Vajrayana zählend, geht mit gleicher Geisteshaltung einen kürzeren Weg: beim Körper in Positur bringen verschwendet man unnütz Zeit. Womöglich stirbt man mitten in der Bewegung. Schau einfach direkt in die Natur des Geistes (tib. Rigpa), ohne Diskursivität: Sei präsent, was immer du bis eben auch gemacht hast, Nichts anderes, als sei präsent und nimms, wies kommt. Und wenn du während des Präsentseins die Haltung verändern willst, dann bist du frei, es zu tun, oder es bleiben zu lassen, aber bleibe präsent.
Die Präsenz, lehrt Dzogchen, ist allgegenwärtiger Dharmakaya; darin zu weilen,  bewußter Freudenzustand und der Weg dorthin, allgegenwärtige Verwandlung.

Man muß sich nicht zur einen oder anderen Haltung bekennen, nicht zu Theravada oder Vajrayana, weil beide ja im Ausgangspunkt zusammen finden, wie zwei Beine nach oben im Schritt geeint werden.

Bevor Gedankenstille erreicht werden kann, sitzt man und läßt die Gedanken einfach wie Wolken vorbei ziehen. Da können Jahre vergehen, bis man lernt, nicht mehr nach jedem verführerischen Gedanken zu grapschen, wie ein notgeiler Bock unter Weibern. (- aus eigener Erfahrung schreib ich.) Oder es geht per plötzlichen Einsicht.

Unterdrückt man den Geistesstrom, so ist es auch bloß, als staute man einen Redefluß, wodurch innere Sümpfe entstehen - und tatsächlich lernt der Tantriker später, Energie steuernd zu stauen, so daß er so genannte Wunder damit bewirken kann, wenn es die Situation erfordern sollte, zum Beispiel innere Hitze zu erzeugen, Doppelgänger aussenden, Krankheiten heilen, durch Lüfte zu fliegen, dies und das. Doch all das wäre Gift für den Eigendünkel eines Anfängers. Der sitzt bloß, schaut ... und schaut. lernt Langeweile ertragen - eine mächtige Zauberin, die das Abwehrsystem des Ertragenden stärkt.


Anmerkung von LotharAtzert:

 Blood and Sand / Milk and Endless Waters

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (15.05.20)
Die Stille ist vor dem Ton. Sehr informativer Text. Und aufs Immunsystem kommt es ja jetzt an. LG Gina

 LotharAtzert meinte dazu am 15.05.20:
In einem "Gebet der Dakinis" heißt es hierzu:
"Der ursprüngliche Ton ist nie erklungen und wird nie erklingen.
Der ursprüngliche Zustand wurde nie verziert und ist nie zu verzieren.
Der aus sich selbst entstandene, vollkommene Zustand wurde nie erleuchtet und ist nie zu erleuchten …"

Danke
LG Lothar

 Augustus (15.05.20)
also ich mag wenn es am Himmel bissl bewölkt ist und die Sonne scheint - ja manchmal sogar genieße ich den Regen. Selten mag ich einen wolkenfreien Himmel, denn das gleiche einem gedankenlosen Zustand.

Ave

 LotharAtzert antwortete darauf am 16.05.20:
Nunja, da darf ich Rilke in Erinnerung bringen: "Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung".
Und ein unbewölkter Himmel gibt, zumindest Nachts, den Blick auf ein schier endloses Sternenmeer frei, was geradezu heilend aufs Gemüt wirken kann.

Tashi delek

 Augustus schrieb daraufhin am 16.05.20:
Ich muss zugeben, das hat was und der Vergleich mit dem Nachthimmel und den Sternen ist eine hübsche Vorstellung der Meditation.
aliceandthebutterfly (36)
(15.05.20)
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 LotharAtzert äußerte darauf am 16.05.20:
Liebe Stefanie,

Im Vajrayana bedarf es allerdings der Einweihung/Kraftübertragung durch den autorisieren Lehrer. zu dem man dann eine Verbindung hat, die über das eine Leben hinausreicht.
Das ist halt die Besonderheit des kurzen Pfades, der, wie es traditionellerweise heißt, in einem Leben alle Hindernisse umwandelt.
Doch das sollte kein Problem sein. Sicher gibt es in Wien auch ein Dzogchen-Zentrum, muß das gleich mal googeln. Es sind da halt noch ein paar Sachen, über die ich nicht schreibe, da man mit den Übungen schließlich nicht hausieren gehen sollte.
Jedenfalls gibt es noch einige Besonderheiten, wie Visualisierungen, Keimsilben im Herzen, aus denen Licht stahlt und anschließendes Verschmelzen, sowie das Verschenken der Verdienste - alles Methoden, die auf die Kommunikation mit dem Unbewußten abzielen. Kurz: es ist fantastischer, als jede Fantasterei.

Ein paar Gedanken fallen mir dazu aber noch ein. Zum Beispiel, daß viele Dinge, die man tut, einem erst mit der Zeit bewußter werden. Die Kraftübertragung: ich habe da seinerzeit garnichts gespürt, während eine Frau neben mir fast in Ohnmacht gefallen ist vor Schreck, obwohl wir zuvor darauf hingewiesen wurden, ganz entspannt zu bleiben. Das ist also bei jedem anders. Heute, wo der Lehrer längst verstorben ist, bemerke ich seinen warmen Segensstrom oft viel intensiver. Zum Beispiel jetzt gerade

Danke und Liebe Grüße
Lothar

 LotharAtzert ergänzte dazu am 16.05.20:
Na klaro, guxt du:
 ext. Link

Wichtelgasse 12, 1160 Wien, der Eingang ist ums Eck in der Franz-Kaiser-Gasse 74.
aliceandthebutterfly (36) meinte dazu am 19.05.20:
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 Melodia (16.05.20)
Allein für den Link zu diesem Lied/zu dieser Band verdienst du ein Like

LG

 LotharAtzert meinte dazu am 16.05.20:
Danke, Melodia, das freut mich. All Them Witches mag ich auch sehr!

LG
L.
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