Die drei Zeitformen - 1: Die Vergangenheit

Essay zum Thema Zeit

von  Graeculus

Vor 13,5 Milliarden Jahren fing alles an. Eine Anfangs-Singularität von der Größe eines Atoms. Mit ihm entstanden in einer gigantischen Explosion Raum, Zeit und Materie – unser gesamtes Universum: Sterne aller Art, Galaxien und Metagalaxien, 100 Milliarden mal 100 Milliarden Sterne. Dazu Planeten und Satelliten in unabschätzbarer Zahl.


Etwa 13499997973 Jahre und viele dramatische Ereignisse später wurde in einem kleinen Dorf auf einem kleinen Planeten, der um einen mittelmäßigen Stern kreiste und Bewohner beherbergte, die sich aus unerklärlichem Grund für das Zentrum des Universums hielten, der Erlöser geboren und tat seinen ersten Schrei. Große Freude allerorten? Nein. Aber Mama und Papa werden entzückt gewesen sein.


Just zu dieser Zeit explodierte ein paar Galaxien weiter eine Supernova. Sie vernichtete auf einem Planeten dieses Sterns eine Hochkultur, deren Gelehrte soeben Xlothrybox entdeckt hatten, das jede Erlösung überflüssig gemacht hätte, wenn nicht ... tja, die Supernova. Sehr bedauerlich.


Kehren wir zum erwähnten Planeten des Erlösers zurück. Wiederum knapp 1950 Jahre später erblickte dort in einem anderen Dorf einer der Erlösten das Licht der Welt – worum er niemanden gebeten hatte. Damit begannen die Probleme für ihn: Er mußte lernen, üben, sich anstrengen und gelangte nach vielen Mühen des Erlebens, Nachdenkens und Beredens dahin, den Plan für einen bahnbrechenden Essay zu fassen, welcher den Blick auf die Welt, das Universum und den ganzen Rest verändern sollte. Arbeitstitel: Weihnachten wird überschätzt.


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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (19.12.22, 15:20)
Sind wir mal ehrlich: der Typ, der jene 13499997973 Jahre später geboren wurde, hatte es auch nicht leicht. Waren die Menschen zufrieden, wenn er ihnen Wasser gab? Nein, es musste Wein sein. Hatte er eine medizinische Ausbildung? Nein, aber alle kamen mit ihren Wehwehchen zu ihm. Und als er seinen besten Freund wirklich mal brauchte, kannte der ihn auf einmal gar nicht mehr. Mal ehrlich: Wenn der irgendwann wieder kommt, hat er allen Grund dies als Godzilla anstatt als Erlöser au tun. Ich würde ihn verstehen.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.22 um 16:10:
Nein, der Typ hatte es wahrlich nicht leicht. Das erkennt man schon daran, daß er am Kreuz den Psalm zitiert hat: "Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Jedenfalls nach dem Bericht eines der Evangelien)

Zu blöd, daß diese Supernova die Verbreitung von Xlothrybox verhindert hat.

 EkkehartMittelberg (19.12.22, 15:51)
Hallo Graeculus,

einige Wenige werden des Überschätzten überdrüssig.  Aber für die Meisten gilt; repetito delectat.

 Graeculus antwortete darauf am 19.12.22 um 16:02:
Ich vermute, lieber Ekkehart, daß die meisten Menschen aus Gründen der Eigenliebe weiterhin in einer anthropo- und geozentrischen Welt leben; da können sie dann die Botschaft, daß ein Schöpfer dieses riesigen Universums gerade sie besonders ernst nehme und sie ihm teuer seien, gar nicht oft genug hören.
Was soll man von Wunschdenken halten? Irgendwie menschlich, ja ... besser: allzumenschlich.

 Graeculus schrieb daraufhin am 19.12.22 um 16:17:
P.S.:
Sagt man nicht außer "repetitio delectat" auch "variatio delectat"? Anscheinend sind nicht einmal die Sprichwörter sich einig. Die Geschmäcker offenbar ebenfalls nicht.

Antwort geändert am 19.12.2022 um 16:29 Uhr
Taina (39)
(19.12.22, 16:02)
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 Graeculus äußerte darauf am 19.12.22 um 16:07:
Genügt es nicht, daß ihre Eltern sich um sie drehen? Muß man ihnen auch noch suggerieren, daß das ganze Universum und dessen Schöpfer es tun?
Und was ist, wenn sie später feststellen, daß es kein Christkind gibt und man sie belogen hat?

Übrigens ist mein Text nicht für Kinder gedacht und wird sie auch nicht erreichen.
Taina (39) ergänzte dazu am 19.12.22 um 16:22:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.12.22 um 17:44:
"Ich vermute, lieber Ekkehart, daß die meisten Menschen aus Gründen der Eigenliebe weiterhin in einer anthropo- und geozentrischen Welt leben; da können sie dann die Botschaft, daß ein Schöpfer dieses riesigen Universums gerade sie besonders ernst nehme und sie ihm teuer seien, gar nicht oft genug hören."                                              Ich denke, es gibt außer der Eigenliebe noch einen anderen Grund. Dieses ungeheuer große Universum macht ihnen Angst und so verdrängen sie lieber und blicken hilfesuchend zum Himmel auf.
Das repetitio delectat entspringt meiner Willkür.
Taina (39) meinte dazu am 19.12.22 um 17:49:
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 Graeculus meinte dazu am 19.12.22 um 22:15:
An Taina 1:


Wodurch soll der erstetzt werden?

Zum Beispiel durch Kindergeburtstage?
Meine Kinder sind übrigens ohne den Weihnachtsmythos aufgewachsen.
Was das Sich-belogen-Fühlen angeht, so kann ich das nicht allgemein sagen, ich hatte auch nur die Frage gestellt. Bei mir selbst als Kind war das allerdings so. Nicht daß ich das meinen Eltern nachhaltig übel genommen hätte, aber daß sie Kindern (und z.B. Ärzte) "einen vom Pferd erzählen", wenn sie meinen, daß es den Kindern gut tut, das habe ich mir doch gemerkt.
Im Zivildienst hatte ich Gelegenheit das bei Ärzten im Umgang mit Kindern häufig zu bemerken ... und selber ein wenig mit Aufrichtigkeit zu experimentieren. Aber das ist eine andere Geschichte.

Das Problem bei Weihnachten besteht übrigens auch in dem sozialen Druck durch andere Familien mit anderen Kindern. Die bekommen etwas geschenkt und die eigenen nicht?

 Graeculus meinte dazu am 19.12.22 um 22:19:
An Ekkehart:

Das ist richtig! Die schiere Größe des Universums kann bei Kindern Angst auslösen. Der Glaube an Gott freilich ebenso ... und diese Art von Religion kenne ich nur zu gut aus meiner eigenen Kindheit. "Das Auge Gottes sieht alles!" - Was löst das bei Kindern aus?

Kindern die Welt verständlich zu machen, ohne Angst auszulösen, ist eine Herausforderung.

Vielleicht kann man in dieser Hinsicht von den Erfahrungen der ehemaligen DDR-Bewohner lernen, deren Kindheit ja weitgehend ohne den Weihnachtsmythos verlaufen ist. Da gibt es offenbar alternativen.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.22 um 22:22:
An Taina 2:

Daß jemand dem Wunschdenken unterliegt, ist in der Tat eine Vermutung. Aber eine, die man testen kann. "Warum glaubst du an Gott?", ist ja eine ganz einfache Frage.

Die neueste Umfrage der Bertelsmann-Stiftung, vor wenigen Tagen veröffentlicht, zeigt, daß das in Deutschland immer weniger Menschen tun. Anzunehmen, daß sie durch dieses 'Defizit' leiden, wäre wiederum eine Unterstellung, oder?

 Graeculus meinte dazu am 19.12.22 um 22:51:
Kinder werden nicht belogen, wenn man ihnen Geschichten erzählt.

Das kommt darauf an. Wenn man Geschichten wider besseres Wissen als historische Wahrheit ausgibt, dann ist das schon eine Lüge.
Und gerade die Weihnachstgeschichte kann unmöglich historisch wahr sein. Das wird auch kein Exeget heute mehr anders sagen. Die Regierungszeit des Herodes, die Volkszählung des Augustus, die unsinnige Bestimmung, jeder müsse sich in seinem Heimatort schätzen lassen (das hätte eine spektakuläre Reisewelle im Römischen Reich ausgelöst!), während Jesus ersichtlich deshalb in Bethlehem geboren werden mußte, weil dort der Messias geboren werden sollte ... das paßt historisch alles nicht zusammen.
Taina (39) meinte dazu am 20.12.22 um 07:53:
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 Graeculus meinte dazu am 20.12.22 um 13:35:
Wieso können Kindergeburtstage kein Ersatz für Weihnachten sein? Du schreibst das nur als Behauptung.
Übrigens könnte es auch irgendein anderes  groß aufgezogenes Fest geben, den Tag des Kindes z.B.

Mit dem Hinweis auf den sozialen Druck meinte ich, daß es keine einfache individuelle Lösung des 'Weihnachtsproblems' geben kann. Vielleicht einzelne improvisierende Versuche.

Das

Geschichtlich verbürgt ist, dass Weihnachten viele Kinder, Familien, weitere Menschen glücklich machte durch freudige Gemeinsamkeiten (Essen, Musik, Vorfreude, Geschenke usw.). 

Wer es vergeigt durch Familienzwist wird jedes andere Fest auch nicht geniessen.

halte ich für psychologisch sehr fragwürdig - wie auch Dein einschränkender Nachsatz schon zeigt. Wenn ich recht informiert bin, warnen Psychologen regelmäßig vor den durch hohen Erwartungsdruck erzeugten Katastrophen, wie sie sich um die Weihnachtszeit häufen. (Was natürlich ebenso für jedes Ersatzfest gelten würde.) Warum bringt Weihnachten so viele depressive Phasen hervor, und keineswegs nur bei einsamen Menschen?

Ist das Glück, welches uns das Weihnachtsfest schenkt, vielleicht selbst ein Teil des Mythos? Dazu hätte ich gerne empirische Befunde. Ebenso zu dem Zusammenhang von oft kostspieligen Geschenken und Glück.
Ich selbst kann mich an intensive Glückserlebnisse meiner Kindheit erinnern; Weihnachten gehört nicht dazu. Eher der Umgang mit Tieren auf dem Bauernhof u.ä.
Taina (39) meinte dazu am 20.12.22 um 14:30:
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 Graeculus meinte dazu am 21.12.22 um 13:59:
Keinesfalls möchte ich das Weihnachtsfest verbieten. Wer bin ich, daß mir dies zustünde? Ich möchte lediglich meine Meinung artikulieren, u.a. die, daß Weihnachten überschätzt wird.

Ich versuche einmal einen neuen Ansatz zu einer Einigung:

Wenn Du mir zustimmst, daß die klassischen Religionen, u.a. das Christentum, aus einer Zeit stammen, in der man anthropo- und geozentrisch dachte (Erde und Mensch also im Mittelpunkt des Universums sah),
und wenn Du mir zustimmst, daß dies heute obsolet ist,
und wenn Du mir ferner zustimmst, daß Jesus nicht "der Erlöser" ist ...
dann folgt daraus doch klar, daß Weihnachten heute überschätzt wird.
Das habe ich mit meinem Essay ausdrücken wollen.

Ob Weihnachten dennoch aus anderen Gründen eine wichtige Funktion für Kinder hat und ob diese durch ein anderes Fest ersetzt werden könnte - und in vielen Kulturen auch tatsächlich ersetzt wird -, steht auf einem anderen Blatt. Aber es sind ja gerade die religiösen Prediger, die immer wieder darauf hinweisen, daß Weihnachten nicht in erster Linie ein Geschenk- und Konsumfest sei.

Theologisch ist es eine interessante, aber m.W. noch gar nicht angegangene Frage, ob Jesus, Mohammed & Co. Milliarden Planeten im Universum besucht haben ... oder ob jemand allen Ernstes behaupten will, daß die Erde der einzige belebte Planet im gesamten Universum sei.

 Graeculus meinte dazu am 21.12.22 um 14:02:
Weihnachten verzaubert Kinderherzen, wie kann man das überschätzen?

Ich hoffe, daß ich darauf eine Antwort gegeben habe. Es wird theologisch aufgeladen (als Fest der Geburt des Erlösers) und dadurch überschätzt.
Es ist einfach eine Konvention mit einer bestimmten gesellschaftlichen Funktion, die in anderen Gesellschaften durch andere Konventionen erfüllt wird.
Taina (39) meinte dazu am 21.12.22 um 14:40:
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 Graeculus meinte dazu am 21.12.22 um 22:35:
Oja, ich meinte Feste in anderen Kulturen, wwelche dort diejenige Stelle einnehmen, die bei uns das Weihnachtsfest hat. Zum Teil mit weniger irritierenden Mythen.

Nein, Jesus ist nicht der Erlöser der Menschheit. Dann hätte sich ja seit seiner Zeit irgendetwas Wesentliches ändern müssen in der Welt. Daß wir seit ihm Zugang zum Himmel haben, welcher den "Heiden" vor ihm (2 Millionen Jahre lang immerhin!) verschlossen gewesen sei, ist mir eine zu absurde Vorstellung, die übrigens auch in keiner Weise überprüfbar ist.

Daß die Erde der einzige Planet mit Leben im gesamten Universum ist (das anthropische Prinzip), ist nicht völlig ausgeschlossen, war aber noch deutlich plausibler, bevor wir wußten, wieviele Planeten es dort gibt - sozusagen eine Alltagserscheinung im Universum. Das weiß man erst seit wenigen Jahren. Es müßten, bei Vorliegen der physikalischen Bedingungen, also die biologischen Bedingungen auf der Erde einzigartig und die Sporen theorie falsch sein. Nein, das hat nicht viel für sich. Ernster nehme ich da schon die Frage, warum wir noch nichts von ihnen haben feststellen können (SETI-Projekt).

 Tula (19.12.22, 22:45)
Hallo Graeculus
Du solltest ein paar Einträge für den Hitchhikers Guide through the Galaxy schreiben  ;)

LG
Tula

 Graeculus meinte dazu am 19.12.22 um 22:52:
Siehst Du, ich hatte schon die Anmerkung in Erwägung gezogen: "Ja, der Verfasser hat Douglas Adams gelesen."

Es macht Spaß, in seinem Stil zu schreiben.

 Quoth (20.12.22, 10:53)
Xlothrybox haben wir doch auch; bei uns heißt es Kokain, LSD, Opium oder Meskalin.
Im Titel des geplanten Essays erkenne ich Jules Renard wieder: "Das Leben wird überschätzt". Henning Ritter hat diese Aussage zum Titel seiner (empfehlenswerten) kleinen Sammlung im Verlag Matthes & Seitz gemacht. Kurz darauf verstarb er. Gruß Quoth

 Quoth meinte dazu am 20.12.22 um 11:34:
Die unvorstellbare Zeit, die unvorstellbare Größe, die unvorstellbaren Zahlen von Galaxien - das alles beweist nichts und ändert nichts daran, dass Klimawandel und Artensterben die Hauptprobleme unseres so unwichtigen Abseitsplanetchens Erde sind! 8-) Gruß Quoth

 Graeculus meinte dazu am 20.12.22 um 13:39:
Ob es eine Droge war, dieses Xlothrybox? Dafür spräche, daß auch in unserer Tradition Dionysos als Erlösergott galt.

Das unvorstellbar große und alte Universum beweist m.E. unsere objektive Unwichtigkeit (sub specie aeternitatis). Daß wir hier unsere spezifischen Probleme haben - unbestritten. Man sollte nur nicht Gott damit in Verbindung bringen oder gar als deren Lösung ansehen. U.a. droht uns dann, daß der Unglaube zum eigentlichen Problem deklariert wird.

 Quoth meinte dazu am 21.12.22 um 17:24:
Die Wunder des Mikrokosmos blendest Du aus, der Mensch ist wohl ungefähr soviel größer als ein Elektron wie der Kosmos größer ist als die Erde. Und all dies funktioniert nach mathematischen, (quanten)physikalischen Regeln und Gesetzen, und das größte Wunder ist für mich, dass wir sie erkennen, begreifen, verfeinern - und leider auch benutzen - können! Gruß Quoth

 Graeculus meinte dazu am 21.12.22 um 22:41:
Das Universum - der Makro- wie der Mikrokosmos - ist voller staunenswerter Phämomene. Viele von ihnen sind durch die wissenschaftliche Forschung verständlich(er) geworden. Aber würde irgendeines dieser Phänomene verständlicher, wenn wir die Existenz eines Gottes annähmen? Das würde doch alles noch viel rätselhafter machen.

Nehmen wir als Beispiel das Kausalgesetz: Alles, was existiert, ist Wirkung einer Ursache. Gäbe es einen Schöpfergott, dann wäre er die erste Ursache, also etwas, das existiert, ohne Wirkung einer Ursache zu sein.
Gut, in der Quantenmechanik gilt dieses Gesetz anscheinend nicht oder nicht uneingeschränkt. Aber doch nicht auf eine Weise nicht, die irgendetwas mit einem göttlichen Schöpfungsakt zu tun hätte.
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