Die weise Oma

Short Story zum Thema Entwicklung(en)

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  BEGEGNUNGEN (Erzählungen, Short Stories)

Anke kam als Spätgeburt ihrer alleinerziehenden Mutter zur Welt. Mit drei Geschwistern von verschiedenen Vätern. Diese suchten jedes Mal vor der Geburt eines Kindes schnell das Weite. Es war ein sehr enges Gewusel zu fünft in der kleinen Wohnung, die einem Schlangennest ohne Entkommen glich.

Mit den Jahren lernte sie sich zu wehren gegen die älteren Geschwister. Ihr ständiger Überlebenskampf wurde immer mehr zu einem unerbittlichen Tun, so dass sie Genugtuung darin fand ihren Geschwistern und auch Mitschülern Schaden zufügen zu können.

Ihre Mutter wurde oft sehr wütend und schimpfte dann: „Wenn du in deinem zukünftigen Leben weiter so aggressiv und großkotzig auftrittst werden dich andere Menschen nicht wirklich akzeptieren, sondern dich aus Angst meiden.“

Als Anke nach ihrem Hauptschulabschluss das Schlangennest verließ glaubte sie der Meinungsmache ihrer Mutter endlich entronnen zu sein. Doch bei ihrem ersten Job als Küchengehilfin in einem angesagten Gasthof stellte sie fest, dass beim Personal und auch den Gästen Meinungen von Klugscheißern und kranken Genies überall herumlungerten.

Doch es gab einen Kollegen, bei dem sie spürte, dass der anders war. Eines Abends, als sie nach Feierabend zur Straßenbahnstation ging, saß er noch im Wartehäuschen der Station und sagte, dass eine Bahn wohl ausgefallen sei.

Sie unterhielten sich über die Stammgäste, die regelmäßig im Gasthof verkehrten. In der Bahn setzten sie sich nebeneinander und sprachen über ihre Kindheiten. Er hieß Helmut und war drei Jahre älter. Kurz bevor er aussteigen musste meinte er abschließend:

„Gegen die Unsicherheiten, die man als Teenager erfahren und angenommen hat, muss man sein ganzes Leben lang kämpfen.“

Sie sagte:

„Oh je, ich kämpfe schon seit einigen Jahren mit mir und habe nicht die Absicht das bis zu meinem Lebensende tun zu müssen.“

Ihr kam bei der Weiterfahrt mit der Bahn ein Spruch ihrer weisen Oma in den Sinn. Die hatte ihr mal gesagt, dass man einen anderen Menschen nie nach seiner eigenen Vorstellung fixieren sollte, denn dann wird man ihn nie wirklich treffen. Das wollte sie mit ihrem Kollegen, den sie während ihres Gespräches immer sympathischer fand, beherzigen.

Ihr Chef dagegen war ein ziemlicher großkotziger Typ, trieb das Personal ständig an schneller zu arbeiten. Da musste er sich nicht wundern, wenn er als Mensch nicht akzeptiert wurde.

Ihre Oma charakterisierte solche Typen immer so:

„Wer großkotzig auftritt ist in Wirklichkeit zu klein sich so zu verhalten, dass andere Menschen ihn akzeptieren.“

Am Ziel angekommen stieg Anke aus der Bahn und schlenderte langsamer als sonst nachhause um noch etwas über ihren Kollegen nachzudenken. Sie fragte sich ob sie ihn etwas näher an sich ranlassen sollte, hatte das Gefühl, dass er ein Mensch mit einem gewissen Humor ist, denn sie musste auf der Fahrt mit der Straßenbahn einige Male über seine Schlagfertigkeit lachen.

Ihre Oma hatte einen ähnlichen Humor und meinte mal, dass Menschen die das ganze Leben ohne Humor ertragen, am Ende nichts mehr zu lachen haben.

Abends im Bett wog sie ihre Gedanken hin und her. Sollte sie sich näher auf Helmut einlassen?

Sie kam zu der Erkenntnis, dass es keine Entscheidung ohne Risiko gibt. Wenn sie etwas über sich im Verhältnis zu einem Mann herausfinden wollte bestand immer die Gefahr sich zu irren.

 

Oma würde das bestimmt auch so sehen.



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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (27.09.23, 18:06)
fürs risiko nicht blind
gilt doch: wer wagt gewinnt. :D beste abendgrüße vom harzer

 uwesch meinte dazu am 27.09.23 um 19:47:
Ohne ein Wagen bleibt Vieles im Argen.
Dank Dir für Kommi und Empfehlungen. LG Uwe
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