Brief an R.

Text

von  Mondscheinsonate

Lieber R., 


Dir habe ich schon lange nicht geschrieben, was nicht bedeutet, dass ich nicht an Dich gedacht habe, das mache ich fast täglich und plaudere auch in Gedanken mit Dir, aber das weißt Du, denn feinstofflich wie Du nun bist, kannst Du schließlich überall sein und wie ich Dich kenne - Menschen ändern sich nicht, schon gar nicht, wenn sie längst verstorben sind - bist Du oft bei mir, wenn Du sogar kurz vor Deinem Tod noch oft von mir gesprochen hast, das erzählte mir die Verrückte nicht ohne Groll, als Einschub. 

Also, ich versuche mich zu konzentrieren, während ich Dir schreibe, es ist 23:15 und ich musste den Stream der Vorlesung abbrechen, denn irgendwelche Nachbarn machen eine Party, sind derart laut, dass sie mir die "Bescheidbeschwerde" aus dem Kopf schrien, gerade als der Doktor sagte, man solle stets ein Eventualargumentarium parat haben, Du weißt ja, ... "Selbst wenn man dem nicht folgen würde, dann ...., weil ... " und so weiter, und Dir bekannt, und so fort. (Wie hast Du das ausgehalten?)

Und, noch während ich mir überlegte, wie ich das alles in 90 Minuten Klausur verpacken sollte, aß ich einen Baumkuchen, wurde mir wegen dem schlecht und weil ich dann auch noch an die Revision dachte, und da begannen die Nachbarn alte Lieder zu gröhlen, die längst keiner mehr singt und besonders laut Peter Alexander- Weisen. Das war mir dann zuviel, ich brach das Übel mittendrin ab (und ja, ich weiß, es war eine Ausrede, die ich hernahm). Du würdest jetzt sagen: "Du hast es dir ausgesucht, kleine Beutelratte!" - Ja, eh!

Lass uns plaudern...

"Nicht alles, was man liebt, ist zwangsläufig spannend." - Ich weiß.

Und ich höre Deine Stimme, denn ich habe mir sie vorhin wieder mal angehört, nach langer Zeit. Interessant ist, dass die Stimme im Kopf blieb, ich hätte sie mir gar nicht anhören müssen. Das Hören bestätigt nur die Wahrheit im Kopf, ob sowieso alles richtig gespeichert blieb. Genauso wie seine Stimme, die blieb auch im Kopf, tief, stets etwas Autoritäres an sich habend. Wohl wahr. 

Deine klingt - klang - wie von einem Buben, weich und lieb, einlullend, gefährlich, jeder Satz war grammatikalisch einwandfrei, schlussendlich wärst Du Volksschullehrer geworden, hätten Dich die Grünen nicht eingefangen. Sei froh, dass Du die Entwicklung nicht mehr erlebt hast, deine "Freunde" kleben jetzt an ihren Ministersesseln und sind um nichts besser als die anderen, stimmten sogar gegen die Aufnahme von kleinen Kindern aus Moria, aber das hast Du noch sehen müssen, arm. Das hat Dir sicher den Magen umgedreht. Ich umarme Dich - greife ins Leere. 


Ich habe in den letzten Wochen zugenommen, dadurch wurden die Blutwerte automatisch schlecht. Ich nehme immer zu, wenn ich depressiv verstimmt bin, gleich fünf Kilogramm. "Das fällt bei dir nicht ins Gewicht!" - sagt jeder, ich weiß, aber mein Körper will das nicht. Der schreit: 53 kg, zuviel! "So deppert!" - Ja! 

Ich muss mich mehr bewegen, zu Dir bewegen, ich war schon lange nicht bei Dir. Ich werde am Samstag vorbeikommen. Versprochen. Ich gebe zu, der Anblick deiner Ruhestätte dreht mir jetzt schon vor Ärger den Magen um. Nur Klim Bim, aus dem Wahnsinn entwachsen. Du haßt sowas, hast Luft zum Atmen gebraucht, Freiraum. Jetzt kann man nicht einmal mehr Deinen Namen lesen, so zugestellt ist alles. Selbst Alkohol hat sie Dir hingestellt, genau das, was Dich elend zugrunde gehen ließ, ich bin zornig. 

Auch ich mag gerade Formen und brauche Luft. Ich schwöre Dir, wenn ich endlich die Wohnung am Kohlmarkt herrichten kann - um Himmels Willen, so darf ich nicht denken - dann kommt mir kein Klim Bim hinein! Am Schlimmsten sind ja die Pupperl - Altar - Damen, da glaubt man stets, man sitzt in Chucky's Wohnung. Wehe, wenn das Licht ausgeht! 

Ich werde jetzt einfach nur noch wenig essen, wenn ich ihn sehe, dann möchte ich hübsch sein, kein Bäuchlein haben, nun, dass ich kein Supermodel bin, das weiß er sowieso, ich bin bald so alt wie er, aber dennoch ... 

"Kleine Beutelratte...!" Ja, sage es nochmals, das waren noch Zeiten, wo ich viel Liebe bekam, das, von allen Seiten. Gut, ich war so ein liebes naives Mädchen, das viel lachte. Ich fehle mir. 

Und Du fehlst mir. 

Aber, weißt Du, ich habe aussortiert, nur noch die Leute in meinem Leben, die mir WIRKLICH wichtig sind, die lebendigen. Der Leo und Du, ihr seid sowieso immer in meinem Kopf, begleitet mich. 

Ich habe kein Problem mit Distanz, wenn man jemanden gerne hat, ist man sowieso immer verbunden. Und ich weiß, dass alle, die jetzt in meinem Leben sind, immer für mich da wären, auch ich für sie. 

"Wäre es nicht Zeit für Nähe?"

Da red' grad der Richtige! Mich hast Du nah herangelassen, weil ich noch so jung war, wäre ich älter gewesen, wäre das nicht so gewesen. Ich bin jetzt Du, nur ohne Verschleiß. Ich könnt' nie ... !

"Prüdes Mädchen!" - Das hat nichts mit prüde zu tun, schau Dir die Typen an! Gruselig! Außerdem bin ich mir zu schad'! - "Geh...!" - Nix geh! - "Träum weiter von Deinem Prinzen bis du alt bist!" - Sei still, der kommt, bald. "Das glaubst ja selbst nicht mehr!" - Themenwechsel! - "Typisch, kleine Beutelratte!"

Ich werde Dich also am Samstag besuchen und habe nicht vor mit Dir eine Grundsatzdiskussion zu führen, außerdem ist es jetzt 00:05, Geisterstunde vorbei, Du Häuflein Asche! (Mein Gott, das ist schrecklich!)

"Wieso, ich erspare mir einiges!"

Auch wahr. Die Welt ist verrückt. 

"Deshalb verkriechst Du Dich? Das war sie doch schon immer!" - Jetzt fängst Du schon wieder an! Du hast keine Ahnung! 

"Ah so." - Du nervst mich. 

Mir tut mein Knie weh, mir hat mein Knie noch nie weh getan. "Du wirst eben alt." - Das weiß ich. "Sei froh, dass du alt wirst, ich bin tot." - Ich weiß, ich höre sowieso schon auf zu jammern. "Werd ein bisserl schlagkräftiger, mein Herz."

Wozu? Bei Dir, nein. Hast Du mich vor zwei Wochen beim letzten Übungsprozess gesehen? - "Nein." - Na klar warst Du da, ich weiß das! 

Schweig nur, ich war gut. Wir haben gewonnen, nein, diesmal habe ich ALLEINE gewonnen und auf das bin ich stolz. Vorgestern kam die Benotung: Sehr gut. SEHR GUT! - "Schrei nicht, ich höre dich! Ich bin tot, aber nicht taub!"

Ein Lob, einmal ein Lob, das kam nie. 

Deine Generation kann weder loben, noch sich entschuldigen, noch reflektieren, nur austeilen. Gut, dass wir Nachfolger anders sind. Kaputt, weil wir alles durchlassen, aber weich. Er ist auch so lieb, ich mag ihn gerne, hoffentlich zerbricht er nicht an dem, was er sich alles aufbürdet. "Trief...!" - Ich red' mit Dir nix mehr! - "Auch kein Drama, ich bin deine Gedanken, die musst du nicht aussprechen." - Hmm. Stimmt. 

Nun ja, ich werde also kommen, Hirn auslüften, hübsch und neu, ich gehe morgen zum Frisör. - Sei still! Ich höre Dich lachen. 

Du fehlst mir. Mir fehlt Dein Zynismus und Deine beinharten Worte, mir fehlt ein halbes Leben mit Dir, Ich bin Du und Du warst ein Idiot, weil ich Dich gebraucht habe und Du das ausgenützt hast. Ich habe Dir verziehen, den Schmerz nach Deinem Tod noch nicht und dass du nun zu einer Erinnerung wurdest.

"Ich werde es gerade noch überleben...!"

Sehr "witzig".

Bussi 

Kleine Beutelratte 


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Kommentare zu diesem Text


 Aron Manfeld (29.03.24, 00:35)
Erstmal von den 120 kg runterkommen, Tschapperl.

(Bin mittlerweile bei 150 kg)

 Mondscheinsonate meinte dazu am 29.03.24 um 00:39:
Das Tschapperl ist grad nicht humorig.

 Aron Manfeld antwortete darauf am 29.03.24 um 00:53:
:(

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 29.03.24 um 07:25:
Hundertfuffzich kg, Aronchen?
Hätte eher gedacht, dass ein so begabter Strickkünstler schmal wie ein Erdmännchen ist oder wie ein stick bug ...

Überraschte Grüße
Dein 8er

 Mondscheinsonate äußerte darauf am 29.03.24 um 11:27:
:D

 Aron Manfeld ergänzte dazu am 30.03.24 um 22:15:
Zwergl, Du trägst mir immer noch nach, dass ich mich bei der letzten Dichterlesung in Bad Oeynhausen versehentlich auf Dich gesetzt habe - na gut, aber habe ich Dich nicht mit einem Strohhalm wieder aufgeblasen?

Sei wieder Mein ...
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