Tante Betty

Kurzprosa

von  Gabyi

10 Kinder hatte ihre Großmutter Bertha auf die Welt gebracht. Zwei davon waren Zwillinge. 
Drei starben noch bevor sie das dritte Jahr vollendet hatten. Das erstgeborene Kind, ein Mädchen namens Betty, kam genau im Jahre 1900 auf die Welt. Sie erkrankte im Alter von einem Jahr an Kinderlähmung. Bertha selbst war ein Adoptivkind gewesen, dessen Herkunft im Dunklen blieb. Man sagte Findelkind und munkelte von einer Mesalliance eines Grafen mit einer Dienstmagd. Bis zu Berthas Tod, sie wurde 76, lebte Betty bei ihren Eltern. Danach musste ihre Schwester Bettys Pflege übernehmen.
Zum Beispiel die langen Brüste hochheben, um die Falte darunter zu pudern. Nach dem Waschen, damit die Haut nicht wund wurde. Wolf nannte man so etwas auch.
Fasziniert hatte das kleine Mädchen als Fünfjährige wieder und wieder diese Prozedur mit Hingabe verfolgt, wenn die Tante bei dieser Gelegenheit auf dem Sofa ihres alten Vaters saß, der währenddessen draußen auf einer Bank an der Straße saß.
Auf dem Tisch stand dann eine weiße Emailleschüssel mit blauem Rand, vollgefüllt mit kaltem Wasser, das aus einem mit blaugrünen Blumenranken verzierten Porzellankrug eingeschenkt wurde. Das war, bevor das Mädchen wusste, dass weibliche Brüste auch halbkugelrund geformt und schön sein konnten.
Außer Kinderlähmung, Schienen an den Beinen, vier Zähnen und der Zuckerkrankheit hatte Tante Betty noch Asthma. Oft saß sie auf dem alten, grünbezogenen Ohrensessel mit den breiten Armlehnen am Eckfenster im Zimmer des Großvaters des Mädchens. Wenn sie auf Tante Bettys Schoß saß und der Tante in ihre bartstoppelige Wange kniff, fing diese immer so komisch rasselnd an zu keuchen. Dann bekam das Mädchen doch etwas Angst.
Aber es passierte nie etwas Schlimmes.


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