Mann am Monument - (Berliner StattPläne)

Skizze zum Thema Stadt

von  Gabyi

Monumentenstraße

Am Monument zu wohnen, sollte irgendwie beruhigend sein, könnte man denken. Zumindest vordergründig.

Im Blickpunkt die Straße, sie führt auf das Kreuzberg-Monument im Viktoriapark. Bei ihrer Benennung zählte sie zum Bezirk Schöneberg und zu Kreuzberg. Heute zu Schönerberg-Tempelhof/Friedrichshain-Kreuzberg - nichts bleibt für immer.

Bezirksreformen stören nun die Monumentalität.
Er war in die Straße gezogen, weil die Mieten noch einigermaßen erschwinglich waren, jedenfalls im Moment. Für den Fall eines totalen Jobverlustes war er für HartzIV gewappnet. Auch äußerlich, innerlich schon viel länger. Sein Gehalt war schon lange bis zum Limit reduziert. Unterhalt für Frau und Kinder. Sie lebt mit einem neuen Typen, der Anlageberater ist - mit saftigen Provisionen. 
Er dagegen dümpelt prekariär vor sich hin.
Und alles nur, weil er an einer Geschlechtsidentifikationsstörung leidet.
Sein Geschlecht zu Grabe tragen, das wünscht er sich. 
Momentan monumental mit Testosteron gesättigt steht es für Männlichkeit - nur bei den anderen.
Er hingegen umhüllt sich lieber mit weiblich verspielten Texturen. Am Besten allein und zuhause.

Früher, in den Siebzigern in West-Berlin, lag an der Ecke Monumentenstraße/Katzbachstraße eine Studentenkneipe namens Orpheus. In einem monumentalen Eckhaus mit Giebeln und Türmchen.
Es gab hier Bier, Wein und Pizza. Das war Kult. Und eine legendäre Musikbox. 
Stone Cold Sober. Crawlers.


aus "Berliner StattPläne", 2009


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Kommentare zu diesem Text


 Rosalinde (13.10.23, 13:42)
Weißt du eigentlich, was Texturen sind? Und man lebt nicht prekärier, sondern prekär. Und die Studentenkneipe lag - doll! Auf dem Bauch oder auf dem Kopf? Was hältst du von "sich befand"? Und wer ist "er"? Hatte er auch einen Namen? Und wie soll ich verstehen, dass er äußerlich auf Hartz IV gewappnet war - trug er Lumpen? Und wer oder was steht testosterongesättigt (schreibt man so) für Männlichkeit? Doch nicht dein "er"? Und was hältst du von "zu Hause"? 

Das ist wieder mal eine Glanznummer unserer hochgeschätzten Autorin Gabyi.

Ich könnte dir auch von einem Denkmal berichten. Es steht in Kaulsdorf (sieh in den Stadtplan, wo sich Kaulsdorf befindet), ganz in der Nähe des Kaulsdorfer Krankenhauses, überwuchert von Büschen. So jedenfalls habe ich es vor Jahren gesehen. Es ist ein Denkmal an die Befreier der Welt und speziell Berlins vom Faschismus. Heute, falls es überhaupt noch steht, trägt es vielleicht Hakenkreuze? Wer weiß. 

Geh mal nach Ostberlin, da wirst du sehen, was du noch nie gesehen hast. Und dann kommst du drauf, dass da nicht nur Analphabeten wohnen.
Taina (39) meinte dazu am 13.10.23 um 14:00:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Redux antwortete darauf am 13.10.23 um 14:01:
Mein Gott, du toppst die böseste Karikatur.

 Gabyi schrieb daraufhin am 13.10.23 um 15:05:
@Rosalinde
Textur ist eine Beschreibung der Beschaffenheit von Oberflächen, die ursprünglich aus der Textilindustrie stammt   Wikipedia
Prekariär habe ich geschrieben und nicht prekärier.
Und natürlich sind die Denkmäler in Ostberlin besser als die in Westberlin. Wer könnte je daran zweifeln.
Das ist auf einer Ebene wie: Ich habe aber den Größeren.

Gruß, Gabyi

Antwort geändert am 14.10.2023 um 09:14 Uhr

 Gabyi äußerte darauf am 13.10.23 um 15:07:
Hallo Taina, dem ist nichts mehr hinzuzufügen ;)

Hallo Herbert, du sagst es.

 Hobbes ergänzte dazu am 13.10.23 um 15:08:
Hallo Gabyi,

knapp Zeitungsartikel - Niveau!

Danke dafür!

Gruß 

Peter

 Gabyi meinte dazu am 13.10.23 um 15:14:
@Peter, der Text beruht tatsächlich auf einer wahren Begebenheit. Danke, dass du ihn verstanden hast :)
LG, Gabyi

 Hobbes meinte dazu am 13.10.23 um 18:07:
Hallo Gabyi,

gerne!

Gruß 

Peter

 AlmÖhi (13.10.23, 21:48)
Ein ausgesprochen vielschichtiger und scharfsinniger Text über Entmannung.

Kommentar geändert am 13.10.2023 um 22:04 Uhr

 Gabyi meinte dazu am 14.10.23 um 09:12:
Danke AlmÖhi und danke auch für die Empfehlung :)
LG Gabyi
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