isenheim (Leseprobe aus "heimwehe")

Gedicht

von  W-M

wir richteten uns ein im bauch eines wales
und hofften er würde uns wieder ausspeien
nach seinen tauchgängen im marianengraben
seinen flügen über wellenberge
hieltest du licht in den händen
antworteten dir stimmen und erinnerungen
hörten wir die nächte zu zählen auf
die jahre
das unglück
die landschnecken befuhren alle weltmeere
hielten auf inseln landgänge ab
und erträumten sich odysseen

am schönsten waren die mädchen von gozo
selbst der held wusste das und blieb
viele jahre während schafe und ziegen
über die dornbüsche zogen

ich trug mir schieferöl auf
das durch die haut floss schweflig teerartig
in einigen platten fand man ichthyosaurier
die mit ihrem aussterben um die wette schwammen
posidonienschiefer
poseidonschiefer
pyritisiert war das neptungras
ein wandschmuck über dem kaminsims

ich las dein leben und wunderte mich
dass ich in ihm nicht vorkam
du hättest mich vorwarnen müssen
oder wenigstens dem specht im garten
nicht das klopfen verbieten dürfen
unten am see hatte sich ein boot losgemacht
und trieb über die wasserfläche
spiegelungen eines früheren lebens
begleiteten es in konzentrischen kreisen

mit baugruben machte mir keiner so leicht etwas vor
am abend schlich ich mich in den wald
und legte fallen aus
du riefst an um mir zu sagen
dass dein vater gestorben war
und du allein sein wolltest

ich reiste in einem falter
ich war puppe raupe
ein gesponnener faden
schleim absonderung absonderlich
seidene vorhänge in den fenstern
schärften spiralnebel deinen blick
hülltest du dich
in eine letzte metamorphose
ein loch geschlagen in die erdkruste
war alles elektrisch das licht wie der stuhl

den gläsernen bogen des mondes strich ich
und musik erklang
eine dünne glasmusik (des todes)
die spuren der blumen führten in ein grab
das land lag weiß über frischem blut
und nur die erde wärmte den puls
der jäger und gejagten
wir flochten flachs zu schwarzem haar
mirjam sang
von einem blonden meer
einem toten meer
hob die stimme an
warst du in einem stern geboren

ein neuer ton klang in die nacht
der schlag einer schwanzflosse im netz
das fischer einholten
als das letzte mondlicht erloschen war
nach getaner arbeit am ende eines kurzen lebens
lag der see wieder ruhig
schien mir
nur ein zittern auf dem wasser noch
an einen tod zu erinnern


Anmerkung von W-M:

.

Das Gedicht ist in meinem neuen Lyrikband  "heimwehe" (gesänge) enthalten, erschienen am 17.05.2022 in der Edition Offenes Feld /Herausgeber Jürgen Brôcan), Dortmund."

veröffentlicht in der  Anthologie zum Feldkircher Lyrikpreis 2017, (Hrsg. Erika Kronabitter), Edition Art Science, St. Wolfgang (ISBN 978-3-902864-78-9)

und in der Zeitschrift  erostepost Nr. 55, März 2018, Salzburg

Jetzt als Lesprobe bzw. YouTube-Autorenlesung "isenheim"

 

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Kommentare zu diesem Text


 Vaga (25.05.22, 11:38)
Am Ende möchte ich, dass es immer so weitergeht mit dem Gedicht bzw. seinen/deinen Bildern, die es/du mir in den Kopf setzt für 'Immerundewig'!

 W-M meinte dazu am 03.08.22 um 17:26:
ah, eben erst den kommentar gesehen ... jetzt das gedicht auch als lesung in youtube. danke. im gedichtband geht es immer so weiter, viele langgedichte ...
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