Schlagzeilen sind Gift

Protokoll zum Thema Seelenkälte

von  eiskimo

Martin G. macht beim Boulevardblatt E. die Schlagzeilen. Ob Verbrechen, Krieg oder Naturkatastrophe – Martin findet immer die Knaller-Worte, die das Geschehen präsent machen – auf Wunsch mal extra drastisch, mal hochemotional oder auch nur voller Empörung. Da ist Martin ein Meister der Kurz-Prosa, mit der er auch den schlimmsten Ereignissen noch sprachlichen Schliff verleiht, immer adressatengerecht, mit professionellem Know How - man könnte auch sagen: zynisch.

Man müsste Martin fragen, ob er wirklich Spaß an seiner Spezialbegabung hat, das Unheil dieser Welt stets in schrille Kurzformeln zu pressen. Denn er verbringt viel Zeit in der Redaktion, viel mehr Zeit, als er vertraglich eigentlich müsste.

Der Grund: Martin schafft den Übergang nicht. Er kann nicht mehr anders als dem Alltag draußen chronisch zu misstrauen. Alles ist schlecht. Die heile Welt zu Hause – für ihn nur eine Illusion, ein Glück auf Abruf, kurz vor dem nächsten bösen Crash.

Und  zu Hause wartet auf Martin immer häufiger, immer häufiger auch vergeblich Joanna, seine junge Frau. Sie liest nicht, was ihr Mann schreibt. Sie spürt nicht die Haltlosigkeit, mit der er da jeden Tag die Welt schlecht und schlechter macht. Joanna, die will endlich ein Baby.  




Anmerkung von eiskimo:

Remake - jetzt scheint mir der zweite Teil klarer

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Kommentare zu diesem Text


 BeBa (10.09.23, 00:59)
Es gibt viele Martins, glaube ich. Über all die könnte er auch ein paar Schlagzeilen verfassen. 

Die Martins bedienen genau das, was heute gefragt ist: Knaller-Worte! Aufgeblasen und schon vergessen, bevor sie platzen.

LG
BeBa

 eiskimo meinte dazu am 10.09.23 um 10:50:
Nachrichten sind eine Ware, die möglichst schnell verkauft werden muss - das hat mit Journalismus nicht mehr viel zu tun...
Danke für die Empfehlung!
LG
Eiskimo

 AchterZwerg (10.09.23, 05:35)
Eigenartigerweise werden solche Redakteure meist als besonders fähig eingestuft. Als ob in ihrer Übertreibung eine spezifische Qualität läge. :(

 eiskimo antwortete darauf am 10.09.23 um 10:54:
Wenn sie nach der verkauften Auflage bezahlt werden und die das Maß aller Dinge ist....
Die Sprache ist ja eine modellierbare Substanz.
LG
Eiskimo

 Dieter_Rotmund (11.09.23, 09:32)
Show, don't tell.
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