Auch für Katzen kommt einmal die Zeit, da sie erwachsen werden. Die beiden wurden rollig. Wer immer schon versucht hat, eine Katze in diesem Zustand in der Wohnung zu halten, weiß, dass sie dann durchdreht, so dass die Zimmer anschließend neu tapeziert werden müssen.
Wir erlaubten den Katzen also Freigang, was zur Folge hatte, dass uns nun auch noch ein Kater zulief. Ob er beide Kätzinnen geschwängert hatte, weiß ich nicht. Jedenfalls vermehrte sich unsere Wohngemeinschaft nach einiger Zeit um zweimal fünf allerliebste kleine Babykatzen, von denen leider zwei nicht überlebten, weil der Kater sie umbrachte und verspeiste. Bei ehemaligen Raubtieren komme das vor, erklärte uns ein befreundeter Fachmann. Sie halten ihre Kinder für Mäuse.
Nebenbei frage ich mich, ob diese Raubtiervergangenheit auch in manchen menschlichen Vätern steckt, die sich um ihre Kinder nicht nur nicht kümmern, zwar in der Regel nicht beim Grillfest braten, aber doch das Inzesttabu missachten, was von unserem Kater im nächsten Jahr auch zu berichten sein würde.
Aber zunächst bemühten sich die Katzenmütter, ihre Kinderschar vor dem Unhold zu verstecken, so dass kein Unterschrank und keine Schublade mehr vor ihnen sicher war und wir uns gezwungen sahen, ein weiteres Zimmer für den Kater anzumieten, aus dem wir ihn nicht entweichen ließen, bevor der Nachwuchs zu wehrhaften Halbwüchsigen herangewachsen war. Santer kaufte dann noch weitere Katzentoiletten und bestellte aus dem Internet mehrere Katzensofas. Es gehe aber nicht genügend feministisch bei uns zu, kritisierten die Mitgliederinnen der Donnerstagsgruppe der feministischen Tierschutzpartei, wir sollten unsere Katzen moderner erziehen.
Meinen Versuch, einige der Katzenkinder an Bekannte zu vermitteln, quittierte mein Freund mit strafender Verachtung. Ich musste mir anhören, dass meine Eltern mich völlig falsch erzogen hätten, so dass es mir an Tierliebe und an Engagement fehle, den Planeten zu retten, denn Tierschutz sei Planetenschutz.
Allerdings dämmerte es nunmehr meinem Lebensgefährten ebenfalls, dass wir schon genügend viele Katzen besaßen. Er forderte mich also auf, die Kater unter unserer Stubentigerbevölkerung zum Tierarzt zu bringen und kastrieren zu lassen, was ich meinerseits nicht übers Herz brachte. Ich habe einmal im Leben einen Kater kurz nach der Kastration erlebt. Ein so trauriges und erniedrigtes Lebewesen habe ich zuvor und danach niemals wieder gesehen. Mir persönlich wäre es schon zu viel, an einem Beschneidungsritual teilzunehmen.
Damit sich die Tierwelt in unserem Appartment nicht zu einseitig entwickelte, beschloss mein Freund alsbald, einen Hund anzuschaffen, und zwar einen großen, der regelmäßig gebürstet werden musste. Nicht, dass die Katzen sich mit dessen Anwesenheit von vorneherein einverstanden erklärten, aber schließlich gewöhnten sie sich auch daran.
Es folgten eine Ziege für den Balkon, ein Papagei und mehrere Wellensittiche. Die weiblichen Katzen vermehrten sich weiter und schienen zu glauben, dass ich ihr Tiersozialamt sei und ohne ihre Mitwirkung pünktlich Futter für alle anzuliefern hatte.
Schließlich kam ich nicht umhin, meinen Job auf Teilzeit zu reduzieren, denn eine Person war mittlerweile mehrere Stunden täglich damit beschäftigt, für die Tiere einzukaufen und zu sorgen. Santer hatte seine Firma aufzubauen, da war es doch logisch, dass er für diese häuslichen Arbeiten nun mal keine Zeit hatte.
Nach und nach war unser Freundeskreis geschrumpft, nur Heinz kam noch ab und zu mit seinen Kindern vorbei, weil er meinte, auf diese Weise könnte er sich den Eintrittspreis für den Zoo sparen. Völlig gnadenlos verhielt sich auch mein Geliebter nicht. Er versuchte, eine Haushaltshilfe anzustellen, was allerdings neunmal misslang. Die Damen kündigten regelmäßig spätestens am zweiten Tag.
Wie wir inmitten der Gesellschaft, die unser Bett mit uns teilte im nächtlichen Miauen, Bellen, Jagen, Fauchen, Zwitschern und Meckern es fertig brachten, dass nicht nur die Katzen, sondern auch ich schwanger wurde, kann ich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Jedenfalls meldete sich die zehnte Haushaltshilfe, eine Seele von Frau mit einem großen Herzen für Tiere und Männer, die nicht nur alle gerne versorgte, sondern auch ein Auge auf meinen Partner warf. Mich erschütterte das aber wenig, denn er hatte mir erklärt, dass ein Kind für ihn nicht infrage käme. Er fühle sich als Vater viel zu jung und ich solle mir nicht einbilden, dass er sich in irgendeiner Form um das Baby kümmern würde.
Vielmehr hatte ihm sein Freund, ein Zoohändler, bereits mehrere Schlangen und ein zahmes Krokodil als weitere Haustiere angeboten. Fortuna, unsere Reinigungsfachfrau, konnte es gar nicht verstehen, dass ich darüber nicht in Jubel ausbrach. Sie sei in Großbritannien aufgewachsen und Camilla, die Königin, habe sich sogar zur Krönung das Portrait ihrer Hunde auf ihr Kleid sticken lassen.
“Not my queen!” warf ich ihr an den Kopf und meinen Haustürschlüssel vor die Füße und bezog das Ein-Zimmer-Appartment, das ich heimlich angemietet hatte. Dort besuchte mich dann eine Mitarbeiterin des Jugendamtes, das der Vater meines ungeborenen Kindes alarmiert hatte. Diese Frau machte sich Sorgen, dass ich den Anforderungen einer Kindesaufzucht wahrscheinlich nicht gewachsen sein würde, wenn ich schon an dem bisschen Füttern und Reinigen von ein paar Haustierchen gescheitert sei. Außerdem sei es pädagogisch ganz falsch, Kindern in der heutigen Zeit den Kontakt zur Tierwelt vorzuenthalten. Deshalb habe sie bereits einen Platz für mein Baby in einer tierlieben Pflegefamilie reserviert.