andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 08. Juni 2005, 21:07
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Retreat

Da ist es. DAS Modewort in der Esoterik-Szene (darf ich im Zusammenhang mit Esoterik überhaupt von Mode reden? Sie hat doch den Anspruch der Ganzheitlichkeit.).
Was “Retreat“ bedeutet? – Die geläufigste Beschreibung läuft wohl auf “Rückzug“ hinaus. Aber auch Wortzusammensetzungen mit “...kehr“, “Ein...“ oder “...finden“ sind durchaus populär. Im Grunde also das alte Thema neu aufgerollt: sich selber finden, wie das in meiner Jugend hieß. – Ist doch okay, solange dabei niemandem auf die Füße getreten wird, oder? Das Leben ist dynamisch, da verliert man sich schon mal aus den Augen. Passiert jedem...

Das Seminar, das parallel zu dem Schreibkurs stattfand (wohlgemerkt: nicht zusammen), war nun etwas ganz besonderes (wurde mir gesagt). Es war auch kein normales “Retreat“, sondern das “Roadsway Re*treat“.
Nun... Wer jetzt seine Englischkenntnisse herauskramt und denkt: “der Weg der Straße?“ liegt völlig falsch. Es ging weder ums Trampen, noch um den Straßenstrich. Vielmehr ging es um den Weg des Michael Roads, sich “bewusst“ zu machen, was natürlich etwas gaaaanz anderes ist.
Michael Roads liebt das Wort “bewusst“. Er sieht darin den Kern seiner Lehre, seines Weges. Ich zitiere ihn hier mal, damit das klar wird: “...Bist du dir auf bewusste Weise bewusst, bewusst zu sein oder bist du, was dein Bewusstsein angeht, nur einfach auf Automatik geschaltet?...“ (ein Satz, der Literaturliebhaber genüsslich mit der Zunge schnalzen lässt)
Dafür bietet der Australier Michael Roads “erlebnisbezogene“ Seminare an. Er hilft den “persönlichen Zugang zur Natur zu vertiefen“, den Blick auf “das Bewußt-Sein als Spielplatz der Wunder zu fokussieren“ und die Verbindung im “grösserem universalen Netz des Lebens“ zu spüren (die kleineren Fehler mit “ß“ und “ss“ bitte ich zu entschuldigen; ich zitiere buchstabengetreu). – Da er “bereits die Membrane zwischen dem Greifbaren (Physischen) Und dem Ungreifbaren (Metaphysischen) überquert hat, ist Michael Ausgesprochen qualifiziert“ (*mitderzungeschnalz* - wer mag, darf die Fehler zählen. Auch die Frage, wie man eine Membran “überqueren“ kann, bedarf der einen oder anderen Überlegung...). Außerdem kann er als “Erleuchteter“ natürlich auch Vorbild sein.
Na ja. Michael machte einen sympathischen und lockeren Eindruck. Muss ein selbsternannter Guru wohl auch... Die KursteilnehmerInnen beteten ihn geradezu an und befolgten seine Ratschläge (inklusive einer zelebrierten Zigarettenschachtelverbrennung zur Nichtraucherwerdung). Durch den Wald schallte so manches Lachen und Flötenweisen weckten mich einmal aus meinem nachmittäglichen Schlummer (ja, ich habe die Zeit auch zum Retreaten genutzt, nur anders...). Auch wurde mit der Natur geredet (nicht nur mit Bäumen, wie das ein anderer Kurs anbot) und “Antworten auf das Leben“ gefunden (mir aber nicht verraten).
In mehreren Gesprächen (oder wie nennt man das, wenn einer redet und der Andere nur mit dem Kopf nicken darf?) wurden mir Lebensweisheiten und Ratschläge mitgegeben. So erfuhr ich von den Schwierigkeiten, die Membran zu überqueren (ich würde durchdringen empfehlen...), von den Glücksgefühlen im Angesicht der Natur (na, ausgerechnet dafür brauche ich bestimmt Hilfe) und dass manche Pflanzen positiv und manche negativ strahlen. Birken sind zum Beispiel “gut“ und Buchen “böse“ (was meinen Schlummer unter den Blutbuchen in ein völlig neues Licht setzt...). Na toll. Und dazu durfte ich nicht einmal etwas sagen. Ich will doch nutzlose Diskussionen meiden!
8 Tage stand Michael Roads zur Verfügung, denn dem Re*treat schloss sich noch ein “Naturseminar“ an. Viele TeilnehmerInnen buchten natürlich beides und wenn ich ihre Begeisterung zur Richtschnur nehme, hat es sich für sie gelohnt. Bei Kursgebühren von 550 € und 350 € (ohne Übernachtung und Verpflegung!) und mehr als 60 TeilnehmerInnen wohl auch für Michael Roads.
Wir im Schreibkurs grübelten jedenfalls darüber nach, ob die Umschulung zum Teilzeit-Guru nicht eine echte Alternative sei.


Hmmm...

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 ViolaKunterbunt (09.06.05)
Klasse! Kannst Du bitte mal dazu schreiben, wo man sich zu diesem tollen Kurs anmelden kann. Ich möchte so gerne mit den Pflanzen reden, naja, - das tu ich ja schon lange, aber vielleicht antworten sie dann endlich mal.
- Schön geschrieben das Ganze. *immernochgrinsend* Viola
Symphonie (73)
(09.06.05)
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