andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 16. Februar 2006, 01:29
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An die Wand

Das Datum sollte einen geschichtsträchtigen Charakter bekommen, wie es einer umwälzenden Entscheidung zusteht. Darum wählte ein Gremium aus zehn unabhängigen Beratern den Valentinstag 2010 als Beginn eines neuen, verbindenden und freundschaftlichen Umgangs der Kulturen.
Besonders hervorgetan hatte sich in der Vorbereitung die “McGurn-Investment-Service-Technologie“, kurz MIST, die wohl bedeutendste Beraterfirma im europäischen Raum. Mit viel Sorgfalt und noch mehr Sachverstand wurde nach wochenlanger Recherche eine Empfehlung erarbeitet, die die Gemeinsamkeiten aus den führenden Kultur- und Religionsgemeinschaften der Menschen auflistet. Großer Wert wurde dabei auch auf fundamentale Regeln der einzelnen Gruppen gelegt. So konnte endlich eine Rechtsvorschrift für die EU entstehen, die alle Mitgliedsstaaten eint.
Richter Fred Burkes formulierte die Gesetze und plante auch gleich ihre Umsetzung. Er kann mit Fug und Recht als der eigentliche Vater des kulturversöhnenden Regelwerks bezeichnet werden. Der Titel “Master des Valentinstages“, der ihm von den Medien verliehen wurde, steht ihm somit wirklich zu. Wie aus der Pistole geschossen legte er die Grundsatzpunkte in der "S-M-C Cartage Company" dar und seine Argumente waren so durchdringend, so überzeugend, dass jeder Widerstand an der Wand endete.

Hier die sieben Eckpunkte seines stehenden Rechts:
- es gibt EINE übernatürliche Macht. Jede Meinungsäußerung, die in der Anzahl - nach oben oder unten – abweicht, steht unter Strafe.
- jede Abbildung eines Propheten ist untersagt. Sowohl christliche, als auch hinduistische oder buddhistische Abbildungen oder figürliche Darstellungen müssen zerstört oder unkenntlich gemacht werden. Blasphemische Äußerungen unterstehen dem jeweiligen Kirchenrecht.
- jede Lehre oder Erwähnung einer Evolutionsmöglichkeit ist verboten. Dazu gehört auch die Leugnung oder Infragestellung der Tatsache, dass schon immer alles so war wie es heute ist.
- der Verzehr von Rind- und Schweinefleisch ist untersagt. Rinder dürfen nicht festgebunden oder in abgeschlossenen Ställen gehalten werden, Hunde dürfen sich nicht im Haus aufhalten. Um keine der Fastenregeln zu verletzen, ist jede Nahrungsaufnahme in der Öffentlichkeit verboten.
- in allen die Sexualität betreffenden Bereichen darf weder geworben, noch abgebildet werden. Es sind spezielle Schutzzonen einzurichten, in denen diese Beschränkungen nicht gelten und zu denen unmündige und behütete Frauen keinen Zutritt haben.
- als Grundlage aller Regelungen in Justiz, Wirtschaft, Wahlrecht und Familie gilt: ein Mann ist so viel Wert wie zwei Frauen. Verheiratete Frauen unterstehen dem Ehemann, unmündige oder unverheiratete Frauen dem Vater oder einer angemessenen Institution. Die Zugehörigkeit ist durch entsprechende Kleidung anzuzeigen. Die These von der Gleichheit der Geschlechter steht unter Strafe und der Strafsachbestand der Vergewaltigung wird abgeschafft; Genugtuung ist dem jeweiligen Vorstand der Frau durch finanzielle Entschädigung zu leisten.
- alle Medien und Bildungsanstalten unterstehen der Kontrolle eines Moralgremiums, das sich aus den Vertretern der kulturellen und religiösen Gemeinschaften zusammensetzt.

Durch diese klaren Regelungen haben wir seit fünfundzwanzig Jahren eine ruhige und vollkommen friedliche, ja sogar freundliche, Beziehung zu praktisch allen Staaten und Religionsgemeinschaften. Unsere Bevölkerung ist im Wachstum begriffen, der Wirtschaft geht es blendend und soziale Unruhen gehören der Vergangenheit an. Gibt es bessere Beweise dafür, dass wir richtig gehandelt haben?

1. 4. 2035, der Vorsitzende des Moralgremiums Europa: Alcap 1


Wir danken Al Capone (Auftrag), "Machine Gun" Jack McGurn (Planung), und Fred Burkes (Durchführung), die uns die vorbildliche Umgehensweise mit “Andersdenkenden“ am Valentinstag 1929 in der Garage der "S-M-C Cartage Company" zeigten. Mögen sie unvergessen bleiben.

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