andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 14. Juni 2006, 20:46
(bisher 3.883x aufgerufen)

Fragen Sie einfach 'nen Fachmann!

Besonders in der Automobilindustrie konkurrieren zur Zeit zwei Trends miteinander, die so manches Mal zu hübschen Stilblüten führen. So kann es passieren, dass Fahrzeuge unterschiedlicher Marken identische Ersatzteile brauchen, Fahrzeuge des gleichen Modells hingegen völlig unterschiedliche Teile eingebaut haben. Das hört sich vielleicht im ersten Moment verrückt an, hat aber doch seine eigene Logik.
So war mir vor einigen Tagen nicht sonderlich wohl, als ich nach einem Tipp meines Cousins feststellen durfte, dass bei unserem Ford das Hydrauliköl für die Servo-Lenkung nachgefüllt werden musste. Besonders Ford gilt als typischer Vertreter von Eigenentwicklungen und häufigem Typenwechsel, was schon bei der Bezeichnung “Lenkhilfeflüssigkeit nach Spezifikation WSA-M2C195-A“ deutlich wird. Mein Cousin jedenfalls winkte ab, als ich ihm den Wagen vorbei bringen wollte. „Ford-Servo-Lenkung? – Da gehe ich nicht dran.“ - Ich machte mich auf eine längere Suche gefasst und rechnete mit dem Schlimmsten.
Meine Erfahrungen mit Ford-Ersatzteilen sind ... na ja. Mit der Beratung erst recht ... oje.
Vor Jahren habe ich für den Orion ein Ersatzteil gebraucht. Direkt zum Ford-Händler bin ich gefahren:

„Ähm ... bei uns ist dieser Hebel abgebrochen, mit dem man die Motorhaube öffnet ... äh: entriegelt.“
„Kein Problem. Ich schaue mal eben in den Computer ... Die genauen Daten des Fahrzeugs bitte.“
Langes Getippe, etwa ein Dutzend Felder müssen ausgefüllt werden.
„Da haben wir es ja. Wir haben es auf Lager.“
„Das ist ja toll.“
„Moment, ich hole es schnell.“
Ein blaues Plastikteil in der Größe eines Taschenbuchs wird auf den Tisch gelegt. Der Verkäufer lächelt mich selbstzufrieden an. Ich lege ein orangefarbenes Plastikteil daneben, das gerade einmal halb so groß wie eine Zigarettenschachtel ist. Der Größen- und Farbunterschied sieht lustig aus, ein wenig erinnert es an eine Mutter mit ihrem kleinen bunten Kind.
„Sehen Sie? – Da ist dieser Zapfen abgebrochen.“ – Ich tue betont unschuldig.
„Ja, ja ... Kleiner Schaden, große Wirkung.“ Er lächelt gequält und schielt auf den blauen Hebel. „Sieht nicht so aus, als wenn das Ding passen könnte ...“
„Ich glaube nicht, dass unter meinem Lenkrad genug Platz dafür ist ...“
Er prüft die Ersatzteilnummer, die Charge, irgendwelche Prüfziffern ...
„Es ist das richtige ...“ Er schaut mich mit Augen an, die laut schreien: ‚Dafür kann ich doch nichts!‘
„Könnten Sie vielleicht mal schauen, ob sie etwas finden, das so aussieht wie dies hier?“ Zur moralischen Unterstützung lächle ich ein Bisschen.
Eine Viertelstunde später liegt ein orangefarbenes und intaktes Kunststoffstück neben meinem Probestück. Die Beiden würden sich bis aufs Haar gleichen, wenn sie denn Haare hätten.
„Das ist vom alten Ford Sierra und wurde nie beim Escort eingesetzt,“ erklärt mir der Verkäufer, nachdem er im Computer nachgeschaut hat, „also auch nie beim Orion.“ Etwas verstohlen nimmt er den blauen Riesenhebel vom Tisch.
Ich nicke freundlich und sage diplomatisch, dass ich es trotzdem ausprobieren möchte. Dazu zuckt der Mann mit den Schultern und kassiert mich ab.
„Sie können das Teil natürlich umtauschen, wenn es nicht passt,“ kommt es pflichtschuldig und ohne Überzeugungskraft. Auch jetzt nicke ich freundlich.
Der Einbau ist nach fünf Sekunden erledigt. Das orangefarbene Ding flutscht in die Halterung, als würde es dort hin gehören; - was es natürlich nicht tut. Aber daran stört es sich auch die nächsten Jahre nicht ...

Meine Suche nach der “Lenkhilfeflüssigkeit nach Spezifikation WSA-M2C195-A“ gestaltete sich abenteuerlich. Im Baumarkt und Supermarkt gab es zwar Dutzende von Schmier- und Getriebeöle, aber nicht einmal ein kleines Fläschchen mit Öl für eine Servo-Lenkung. Von einer Spezifikation ganz zu schweigen.
Der Spezialhandel und eine Tankstelle konnten mit der Nummer nichts anfangen und verwiesen mich zu Ford, bei denen ich eine Batterie von unterschiedlichen Ölen befürchten musste. Meine Herren, eine so lange Nummer! Was gibt es da für Möglichkeiten!
Als letzten Probeschuss hielt ich noch bei einer Werkstatt, die aus lauter Gehässigkeit ausschließlich kaputte Motorräder in und vor der Halle stehen hatte. Klar, Servo-Lenkung bei Motorrädern ... da hört man ja ständig von!
Ich erklärte mein Problem einem Lehrling, der mich prompt zum “Chef“ verwies. Der schaute auf den Zettel mit der abenteuerlichen Nummer, sah mich an und fragte:
„Rotes oder Grünes?“
„Mit dieser Nummer halt.“
„Es gibt nur zwei Ölsorten für die Servo-Lenkung.“
„Aber die Nummer ...“
„Schauen wir doch einfach nach, welche Farbe ihr Öl hat ...“
Es ist übrigens grün.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Sektfrühstück (41)
(15.06.06)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BrigitteG (15.06.06)
Secke, Du hättest mein saublödes Gesicht sehen sollen, als Andreas mir das erzählt hat...
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram