andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 20. Juli 2006, 03:10
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Friede, Freude, Eierkuchen

Harmonie, heißt es, ist der Garant für ein glückliches Leben. Streit hingegen ...
Ist das ein dualistisches Prinzip? Sind die Beiden ein Gegensatzpaar, bei dem es nur immer eines von beiden geben kann? – Auf jeden Fall ist das dualistische Prinzip sehr beliebt. Für viele Menschen ist es das Prinzip ihres Lebens: Liebe – Hass, Leben – Tod, schwarz – weiß, Gut – Böse, schön – hässlich, rechtgläubig – ungläubig, gut – schlecht ... alles wird mit Hilfe dieser Schablonen sortiert und in die entsprechenden Schubladen gepackt. Und um bei diesem Bild zu bleiben: die Schubladen befinden sich in zwei getrennten Kommoden, die eine ist schwarz, die andere weiß (graue Kommoden gibt es im Dualismus nicht).
Daraus ergeben sich oft Verflechtungen, bei denen die Sortierung eines Aspektes die Sortierung des Ganzen zur Folge hat. Wird etwa in einer Freundschaft (weiße Kommode, oben, dritte Schublade) das Vertrauen (weiße Kommode, ganz unten, links) verletzt, wird nicht nur Misstrauen (schwarze Kommode, Kramfach für alle Anlässe) entstehen, sondern meist auch Feindschaft (schwarze Kommode, oben, ganz links). So verständlich diese Verflechtungen auch sein können, führen sie auch gerne zu grotesken Schlussfolgerungen.

In meiner Schreibgruppe hatten wir einmal eine Frau, nennen wir sie B., die sich durch eine gute Schreibqualität auszeichnete und sich auch in unsere Gruppe einzufügen schien. Fleißig beteiligte sie sich an den Diskussionen über einzelne Texte und gab Tipps und Ratschläge für Verbesserungen oder besser: Veränderungen, die einen Text verständlicher, amüsanter, flotter, wirksamer oder einfach nur leichter lesbar machen könnten. Dann allerdings kam auch einer ihrer Texte an die Reihe ...
Nun, ihre Geschichte war gewohnt sauber geschrieben. Sie war auch amüsant anzuhören und bot viele kleine Details, die eine Geschichte selbst mit einem unspektakulären Plot interessant machen können. Leider war aber das Ende etwas ... fad.
„Das war so,“ war ihre Antwort auf die Idee, etwas kreativen Schwung in das Erzählte zu bringen.
„Geschichten bilden nie die Wirklichkeit ab,“ versuchte es unsere Kursleiterin analytisch. „Darum darf nicht nur erfunden werden, es macht eine Geschichte geradezu aus.“
„Das war genau so!“
„Ich habe schon Situationen erlebt, die mir als geschriebene Geschichten um die Ohren gehauen würden,“ kam ein diplomatischer Einwand aus anderer Richtung.
„Das ist aber genau so passiert. Ständig passiert es mir, dass mich Männer ansprechen.“
Plötzlich herrschte Schweigen. Leicht verwirrte Blicke wurden ausgetauscht und deutlich war zu erkennen, dass nach Worten gesucht wurde. Nicht, dass jemand die Aussage von B. in Frage stellen wollte, immerhin wissen wir alle, dass Attraktivität ein zutiefst subjektiver Begriff ist (gut, einige konnten nur mühsam ein Kichern unterdrücken).
„Das bestreitet ja niemand,“ rang sich endlich jemand durch. „Aber ... dieser Mann spricht die ... Protagonistin an, um dann, ohne auf eine Antwort zu warten, in einen Bus einzusteigen.“
„Straßenbahn. Es war eine Straßenbahn.“
„Ja, ja, natürlich. Eine Straßenbahn. Aber mir fehlt das offene Ende oder eine Pointe.“
„Aber wenn es doch so war?“
„Mir hätte es gefallen,“ mischte sich jemand neues ein, „wenn Du das Ende anders vorbereitet hättest. Die Hauptdarstellerin hätte, zum Beispiel, das auffällige Interesse des Mannes missdeuten können. So hätte sie vermuten können, dass mit ihrer Frisur etwas nicht in Ordnung sei.“
„Meine Frisur saß tadellos.“
Zuvor hatten wir eine Geschichte gehört, in der eine verärgerte Ehefrau - mit handwerklichem Geschick - aus ihrer besseren Hälfte zwei (recht blutige) Hälften gemacht hatte. Davor hatten sich zwei Küchengeräte miteinander unterhalten, wir hatten einen Bankraub verfolgen dürfen, James Dean war aufgetreten und, und, und. Kurz gesagt: die Beschreibung realer Vorkommnisse ist bei uns nicht zwingend notwendig.
Andererseits reden wir bei „Erlebniserzählungen“ den Leuten nicht in den Inhalt hinein (und sei er noch so langweilig), sondern halten uns an den Aufbau der Geschichte und an die formalen Dinge. Hierzu fiel anscheinend niemandem etwas ein. B. deutete das anders:
„Ihr glaubt nur nicht, dass eine leicht übergewichtige Frau von Männern angesprochen wird. Dabei passiert mir das fast jeden Tag.“
Schweigen dazu. Auch dem letzten war klar geworden, dass es hier nicht um Textkritik ging.
Einige Wochen später, die Situation war fast vergessen und B. beteiligte sich wieder rege an den Diskussionen, kam ein weiterer Text von ihr an die Reihe. Jeder lobte die flotten Dialoge der beiden Protagonisten, die überraschenden und humorvollen “Gedanken“ der Hauptdarstellerin und die Wendung am Ende der Geschichte. Nur ein einziger Satz, ein ungewohntes metaphorisches Bild, wurde angesprochen. Dieses Bild war nicht schnell und leicht zu verstehen und mehrere Zuhörer hatten den danach folgenden Dialog verpasst, weil sie noch über die Bedeutung nachgedacht hatten.
„Nach dem Betonblock des Zorns, der den Schild des Mannes trifft, wäre vielleicht ...“
„Schild der Arroganz!“
„Genau. Auf jeden Fall wäre da eine Pause ...“
„Das war schon richtig so.“
„Also, ich habe das immer noch nicht verstanden ...“ (ein Einwurf vom anderen Ende des Raums)
„Das ist ganz leicht zu verstehen.“
„Ich find’s etwas unpassend, weil ...“
„Das muss genau so sein.“
„Die Geschichte war toll, aber dieser Betonblock ...“
„Das ist ein sehr verständliches Bild.“
„Der prallt von diesem Schild ab und fällt wohin?“
„Das habe ich doch vorgelesen.“
„Haben jetzt ihre Augen den Betonblock geworfen?“
„Das kommt ganz klar raus.“
„Könnte nicht ein etwas verständlicheres Bild ...“
„Der Satz – so wie er ist! – sitzt perfekt.“
„Nicht jeder hier hat das verstanden.“
„Der ist aber sehr verständlich.“
Schweigen. Dann ein längerer Vortrag, warum dieser Satz in den Kontext gehörte. Danach etwas Durcheinander und Gemurmel, da sich einige von ihrem Nachbarn das “Bild“ erklären ließen. Leichte Anflüge von Aggression, unterbrochen von einem bestimmten: „Das muss so sein!“ – Erste Versuche einer Vermittlung, ein Aggressionstrainer stülpte sein Dienstgesicht über, dann drängte die Kursleiterin zum Weiterlesen. Wir hatten gleich beim ersten Text viel Zeit verloren ...
Später dann das Gefühl von: „Ihr habt mein Förmchen stehlen wollen und jetzt seid Ihr die Personifizierung des Bösen. In Eurem Sandkasten spiele ich nicht mehr.“
Eine Schublade schlägt zu (schwarze Kommode, oben, ganz links).

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