andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 03. August 2006, 03:39
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Undankbar?

Am Dienstag stand meine alte Liebe unerwartet vor der Tür. Puh ...
Eine alte Liebe wieder zu sehen gehört zu den Übungen im Leben, die nicht ganz einfach sind. Egal, ob zehn Jahre her oder eine Woche, egal, wer “Schluss“ gemacht hat: das Herz hängt noch an ihr, - irgendwie.

Gehört der Begriff “Liebe“ mit der beliebten Formel “ich liebe Dich“ nicht zu den großen Missverständnissen in unserem Leben? Oder besser: zu den besonders unterschiedlich besetzten Begriffen?
Manch einer (oder eine) nennt schon eine große Anziehung Liebe, obwohl das Interesse nach dem “ersten Mal“ abkühlt oder nach kurzer Zeit verschwindet. Manch einer (oder eine) wirft Liebe mit Verknalltsein in einen Topf, ja, sogar mit Schwärmerei oder reinem Habenwollen des Unerreichbaren. Manch einer (oder eine) sammelt auch nur ...
Auch die Gründe, warum eine Liebe tiefer und tiefer - oder eben nicht – wird, sind unterschiedlich. Der eine liebt immer stärker, weil er geben oder sich anstrengen muss (ein Umstand, der besonders bei “Scheißbeziehungen“ eine fatale Sogwirkung hat). Der nächste liebt nur, wenn er anhimmeln kann (oder bewundern). Doch in den seltensten Fällen spielen die angeblichen Grundkriterien eine Rolle. Innere Werte, Verlässlichkeit, Vertrauen: da winkt doch schnell der Alltag.
Jedenfalls ist es beim Auto so. In aller Deutlichkeit habe ich das während eines Studentenjobs in einem metallverarbeitenden Betrieb erlebt. Dort gab es drei Gabelstapler, die den ganzen Tag geschäftig unterwegs waren: einer war uralt, rostig und klein - und hatte einen Sitz mit aufgerissener Polsterung. Die anderen beiden waren neuer, hatten eine glänzende Lackierung, großzügigere Abmessungen und hübschere (für Gabelstapler!), aber nicht bequemere Sitze. Natürlich stritten sich die Fahrer jeden Tag darum, wer den alten “Trecker“ fahren musste. Wenn das geklärt war, dann ging der Streit weiter ... immerhin war einer der neuen Gabelstapler störanfälliger und fiel häufiger aus, wodurch der betroffene Fahrer die Paletten mit einem durch Menschenkraft angetriebenen Hubwagen bewegen musste. Eine schweißtreibende und ungeliebte Aufgabe.
Im Laufe meiner sechs Wochen in dieser Firma lernte ich eine ganze Menge über diesen seltsamen Streit, erfuhr von den beiden Vorgängergabelstaplern, den beiden davor und den beiden noch davor. Auch in die Reparaturlisten, die akribisch über die beiden Stapler geführt wurden, bekam ich Einblick. So groß war die Differenz in den Ausfallzeiten gar nicht: drei Tage, wenn ich mich recht erinnere. Beide waren etwa drei Wochen im Jahr defekt oder in der Werkstatt – und die Vorgängermodelle waren da nicht besser gewesen.
Es dauerte etwas, bis bei mir der Groschen fiel.
„Warum fahrt Ihr denn den alten Stapler so ungerne?“ fragte ich in der Mittagspause.
„Die alte Rostlaube? Was für eine Frage!“
„Ist er schlechter als die Anderen?“
„Er tut seine Arbeit. Aber schau ihn Dir doch an.“
„Ist er langsamer? Schlapper?“
„Nur ein Bisschen schwächer. Dafür aber wendiger und schneller.“
„Hört sich gar nicht schlecht an.“
„Sieh Dir die Mistkiste doch an!“
„Und wie oft ist er kaputt?“
Darauf folgte kurzes Schweigen. Die drei Staplerfahrer schauten sich fragend an. Dann sagte einer:
„Ähm ...“
„Hatte der nicht in diesem Jahr seine Inspektion?“ fragte der zweite Fahrer seine Kollegen.
„Nö. Letztes Jahr, glaub‘ ich.“ meinte Nr. 3.
Auf meine Frage nach dem Alter des Gabelstaplers kam nur Schulterzucken. Jeder der Fahrer kannte die Rostlaube vom ersten Tag in der Firma – und der war bei dem Ältesten über zwanzig Jahre her.

Am Dienstag stand meine alte Liebe unerwartet vor der Tür. Sieben Jahre waren wir zusammen. Sieben Jahre ohne größere Probleme oder Mucken. Sieben Jahre lang sprang der Elefantenrollschuh bei Bedarf sofort an, hatte nur zwei Pannen, verbrauchte vier Sätze Reifen, einen Auspuff und fuhr uns 140000 km quer durch Deutschland.
Dann war er zu klein, zu unbequem, zu alt, zu schwach. Vor einer Woche gaben wir ihn ab und jetzt besuchte uns sein neuer Liebhaber mit ihm ... ach je ...

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 ViolaKunterbunt (03.08.06)
Ach, Andreas ... das Auto war also gemeint. Und ich dachte, Du erzählst uns nun eine romantische, historische P18-Story. Dabei handelt es sich um den Elefantenschuh! Tja, was verkaufste das Teil auch ausgerechnet an Deinen Freund. Man gibt die große Liebe doch nicht so einfach im Freundeskreis rum. (Und der/die Liebste lässt sich das auch noch gefallen. Diese Schlampe!)
Liebe Grüße, Viola
Sektfrühstück (41)
(03.08.06)
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