andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 31. August 2006, 03:00
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Manchmal kommen sie wieder

Nicht nur die moderne Psychologie, auch die Gehirnforschung hat in den letzten Jahrzehnten – vor allen in den letzten Jahren – große Fortschritte gemacht. So wurde etwa die Geheimnisse der Déjà-vu-Erlebnisse erforscht und dabei gab es einige erstaunliche Ergebnisse. Eines dieser Ergebnisse ist so simpel, dass wir es sogar leicht in unserem normalen Leben nachprüfen können: die Mustererkennung.
Damit ist jetzt kein Tapetenmuster gemeint oder die schicke bunte Bluse der Nachbarin, sondern unsere Wahrnehmung; unser Sehen, aber auch das Hören. Beides folgt in unerwartet vielen Fällen gewissen Mustern. Als Beispiel mag hier etwa die Sprachmelodie dienen, die uns eine klare Vorstellung von “richtig“ und “falsch“ erlaubt. Sie gibt uns dieses Bauchgefühl, das ein unangenehmes Empfinden bei “falscher“ Grammatik erzeugt, das uns Dialekte von Akzenten unterscheiden lässt und Betonungen verstehen. Ungewohntes (= unbekannte Muster) hören wir ziemlich leicht heraus.
Beim Lesen kommt sogar ein lustiger Effekt hinzu: Texte, in denen jedes Wort vertauschte Buchstaben hat (nur der erste und letzte Buchstabe müssen korrekt sein) können wir unerwartet leicht lesen. Die einzelnen Wörter werden nach dem Sinnzusammenhang des Satzes abgeklopft und mit den Mustererkennungen für Begriffe, Satzbau, Grammatik und den anderen dem Verständnis dienenden Kriterien zusammengeschaltet.
Noch deutlicher wird das beim normalen Sehen. Nehmen wir etwa ein vollständiges Bild wahr, wenn wir uns etwas anschauen? Können wir nachher jedes Detail nennen? – Ein photographisches Gedächtnis kann das angeblich, aber Ottonormalhinseher nimmt alles in Mustern wahr, in Mustern, die in der Regel durch Erfahrungen und vorherigen Erlebnissen gebildet wurden. Sie sind also nicht angeboren, sondern erlernt.
Frage ich etwa Gäste, die ein Wochenende bei uns verbracht haben, nach ihren Eindrücken, so kommen dabei kuriose Berichte heraus. „Schlümpfe? Was für Schlümpfe?“ durfte ich da zum Beispiel hören. – Gut, in manchen Räumen stehen bei uns nur etwa ein Dutzend dieser blauen PVC-Gesellen herum, aber ausgerechnet in dem Raum, in dem der Gefragte zwei Nächte lang geschlafen hatte, sind es rund hundert.
Andere erinnern sich an den Holzfußboden (ob ihre Großeltern früher auch so ein knarrendes Zeug hatten?) oder an das Billy-Regal, an das Schwert an der Küchenwand (mit Schlümpfen drauf!), an den Garten oder was auch immer. All das sind Mustererkennungen, die Bekanntes erfassen und uninteressantes Unbekanntes ausfiltern. Interessantes Unbekanntes hingegen wird als Musterbruch sofort abgespeichert. So erinnern wir uns vielleicht an einen besonderen Kugelschreiber, der auf einem Tisch lag, aber der Tisch selber ist nicht mehr zu rekonstruieren. Jedoch, und das ist das Faszinierende: wir erkennen in vielen Fällen, ob etwas verändert wurde. Wir wissen nur nicht mehr was.
Versuchen wir uns doch einmal die einzelnen Häuser unserer Straße vorzustellen. Geht nicht? – Dann aber die Anzahl bis zur nächsten Querstraße. Na? – Ist auch nicht parat?
Wie viele Laternen sind es denn? Wie sehen die Laternen aus? (Na gut, dass ist nicht ganz so schwer) Wie viele Etagen haben die einzelnen Häuser? – Unbewusst ist das alles gespeichert, aber nur als Muster. Wir erkennen es wieder, sehen sofort Unterschiede (ein Gerüst? Ein fremdes Auto? Stehen die Mülltonnen “falsch“?), können aber die Einzelheiten nicht beschreiben.
Bei unserer eigenen Straße sind wir dabei noch recht genau, bei seltenen oder vor langer Zeit benutzten Straßen ist hingegen nur noch ein grobes Muster präsent, - manchmal nur eine Atmosphäre (eine neblige Nacht in einer Straße, an der rechts und links Autos parken. Das Laternenlicht spiegelt sich diffus im feuchten Asphalt ...). Ähnlich geht es uns mit Menschen, bei denen wir den Klang der Stimme, ein besonderes Kennzeichen, eine Bewegung oder Körperhaltung, die auffallende Frisur oder etwas anderes im Kopf behalten haben.

Nun …. Es gibt natürlich auch andere Erklärungen für ein Déjà-vu-Erlebnis. Erklärungen, die sich eingängiger und logischer anhören – und die den Menschen nicht in seiner “gottgegebenen“ Rolle in der Schöpfung degradieren. Eine davon ist zur Zeit sehr populär und wird medienwirksam ausgeschlachtet: die Wiedergeburt.
Klingt es nicht sehr nachvollziehbar, dass wir in festen Kreisen immer wieder kommen und uns an bestimmte frühere Erlebnisse erinnern? Es gibt es sogar einen Schnelltest, der uns das klar machen soll:

1. Hatten Sie schon einmal das Gefühl an einem Ihnen fremden Ort schon einmal gewesen zu sein?
2. Haben Sie Ängste/Phobien, die Sie sich nicht erklären können?
3. Fühlen Sie sich von bestimmten Ländern/Kulturen/Epochen besonders angezogen, ohne zu wissen, warum?
4. Haben Sie manchmal das Gefühl, eine bestimmte Aufgabe/Bestimmung/Berufung zu haben?
5. Hatten Sie schon mal das Gefühl, eine bestimmte Situation schon einmal erlebt zu haben?
6. Sind Sie schon mal einer Person begegnet und hatten das Gefühl, diese bereits zu kennen?
7. Hatten Sie schon mal eine unerklärliche Abneigung gegen jemanden, ohne die Person zu kennen?
8. Haben Sie unerklärliche Schuldgefühle?
9. Hatten Sie in Träumen schon mal das Gefühl, tatsächlich körperlich dort gewesen zu sein?
10. Leiden Sie an nicht therapierbaren Krankheiten/Auffälligkeiten?
11. Gibt es Orte, gegen die sie eine große Abneigung haben, ohne jemals dort gewesen zu sein?
12. Gibt es Dinge, an die Sie sich erinnern, obwohl Sie wissen, dass sie nicht aus diesem Leben sind?
13. Träumen Sie öfter von Zeiten, in denen Sie noch nicht gelebt haben?
14. Haben Sie unerklärliche Stimmungsschwankungen?

Also: „Wenn Sie mindestens acht Fragen mit Ja beantwortet haben, besteht sehr große Wahrscheinlichkeit, daß sie schon einmal gelebt haben …“ steht dabei. Hört sich plausibel an, der/die AutorIn hat wohl auch schon vor der Rechtsschreibreform gelebt. – Aber lassen wir den Zynismus weg und kommen zum Kern: unerklärliche Stimmungsschwankungen? Träume mit anscheinend körperlicher Anwesenheit? Seltsame Ängste? Situationen, wie sie ähnlich schon einmal empfunden wurden? Spontane Ab- oder Zuneigung gegen unbekannte Menschen? Unerklärliche Anziehungen zu bestimmten Kulturen oder Epochen?
Nein, dafür gibt es natürlich keine anderen plausiblen Erklärungen als ein früheres Leben. Ständig erzählen uns die “Wiedergeborenen“ von völlig unbekannten Kulturen (Skythen, Hethiter, asiatische und afrikanische Völker sind ständig dabei), greifen keine Filmszenen auf, plärren niemals historische Zusammenhänge aus Büchern nach und von Moderichtungen kann überhaupt nicht gesprochen werden.
Jeder Zweite war Karl Heinz Kawutke aus Dinslaken oder Maria Blumenkohl aus Berlin, nicht wahr? Besondere Menschen sind praktisch nie dabei … - Nur eines wundert mich ein wenig: wir müssen uns geteilt haben, denn vor tausend Jahren lebten gerade mal 10 % der heutigen Menschen. Jetzt muss ich nur noch die anderen Neun finden, die das gleiche Ich haben.

Hallo? – Bist Du ich?

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Ropa (33)
(04.10.06)
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