andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 14. September 2006, 04:58
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Schau mir in die Augen, Kleines

Manchmal ist es im Leben so einfach: Zack – und da ist sie, die große Liebe. “Auf den ersten Blick“ nennen es die einen, andere sprechen von inneren Stimmen, spürbaren Schwingungen, gleichen Ebenen, sphärischen Gefährten oder unerklärlicher Verbundenheit.
Jedenfalls ist es mehr als diese spontane Sympathie, die schon mal vorkommt, wenn ein bisher unbekannter Mensch in unser Leben tritt und sofort das “gewisse Extra“ da ist. Aber es ähnlich mysteriös: da kenne wir jemanden gar nicht und doch … Nähe, angenehme Gefühle, sich verstehen … Das gibt es sonst nur umgekehrt, oder?
Der sagt mir nichts, liegt mir nicht, mit dem kann ich nichts anfangen … Nicht greifbare Feindseligkeit oder Abscheu, schwammig zwar, aber deutlich zu spüren. Oft sogar gegenseitig.
Die Wissenschaft versucht das schon lange zu entzaubern. Hirnforscher sprechen von Erinnerungsmustern, die wir wie Scherenschnitte an unser Gegenüber anlegen, um zu vergleichen. Muster, die längst nicht mehr zu bestimmten Menschen oder Erfahrungen gehören, sondern nur noch Verhaltensweisen, Aussehen und/oder die Art zu reden zu einem Destillat vereinigen und mit tendenziell gefärbten Gefühlen verschmelzen. Keine Erinnerung in Richtung: „Der Typ redet wie mein nerviger Onkel Heinz“, sondern eher: „Das ist ja so ekelig, wie er das ‚Hallo’ betont hat“ – oder sogar: „Boah, ist das ein fieser Typ“.
Nicht sehr romantisch, diese Erklärung. Auch nicht besonders mysteriös oder magisch, vielmehr erinnert es an das, was Biochemiker und Mediziner über den menschlichen Geruchssinn herausgefunden haben: da werden fast ohne bewusste Kontrollmöglichkeit Erinnerungsbilder, Gefühle und sogar körperliche Reaktionen (nein, nicht nur die Einen!) durch bestimmt Düfte ausgelöst. Das kommt daher, weil die ausgelösten Impulse direkt ins limbische System feuern und das Großhirn nur mit Neben-Infos versorgen.
Evolutionsbiologen äußern schon mal die Vermutung (mehr trauen sie sich bei der Anti-Evolutions-Stimmung nicht), dass dieses ganze System wohl entstanden ist, bevor sich das Großhirn zu diesem gigantischen Datenspeicher entwickelte. Damals wäre es nicht möglich gewesen die Erlebnisse komplett abzuspeichern und schnell abzurufen. Darum gäbe es nur kurze Szenen des Gedächtnis-Filmarchivs oder die Quintessenz, die “… und die Moral von der Geschicht’“ ohne das dazu gehörende Märchen.
Mich erinnert das ein wenig an unsere Computerwelt, in der die neusten Generationen mit nie da gewesenen Möglichkeiten auftrumpfen und allem Vergangenem überlegen sind. Wenn da nicht … Kennt jemand noch MS-DOS und seine Tastenbefehle? – Auch die technische Entwicklung erfindet das Rad nicht jedes Mal neu.
Manche Soziologen und Psychologen gehen noch weiter (nein, wir sind jetzt weg vom Rad) und sprechen gar nicht mehr von Erlerntem oder von Erinnerungen, sondern von einem Muster, das aus dem eigenen Ich entsteht. Oder besser: aus dem Bild vom eigenen Ich. Danach sollen wir nur diejenigen sympathisch finden, die uns gleichen (und sei es in unserer Einbildung).
Ein Indiz wird gleich mitgeliefert: flirten zwei Menschen miteinander, so gleichen sie sich in ihrer Gestik und Mimik an (manchmal sogar in ihren Meinungen). Der Erste stützt seinen Kopf ab, der Zweite tut es ihm nach. Der Zweite lehnt sich zurück und schlägt ein Bein über das andere, der Erste macht es genau so. Das wirkt ein Bisschen wie ein Probelauf der Harmonie oder wie “schau mal wie ähnlich ich Dir bin“, - spiegelgleich.

Egal, ob jetzt eine dieser Ideen stimmt, eine weitere oder alle zusammen: was uns beherrscht liegt unter unserer Schädeldecke und genau dort passiert auch alles übrige. Zur Wahrnehmung der Außenwelt stehen uns gar nicht die ausreichenden Mittel zur Verfügung. Wir können ja nicht einmal hundertprozentig vermeiden über einen Hocker zu stolpern; Menschen und ihr Wesen sind die weitaus komplexeren Möbel. Darum nutzen wir die Wahrnehmung, um uns grob zu orientieren und lassen den Rest im Kopf ablaufen. Wie genau, das wissen wir noch nicht, aber es ist eindeutig virtuell, - sozusagen.
Also gibt es doch die Liebe auf den ersten Blick … äh: Klick.




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