andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 12. Oktober 2006, 06:14
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rauf und runter

Mit der Gewöhnung ist das eine seltsame Sache. Da ist etwas neu für uns: erst sind wir interessiert, dann wundern wir uns, fragen nach dem Sinn, finden es unnötig, viel zu kompliziert und aufwendig, wettern vielleicht sogar, dass das Alte viel praktischer und verständlicher war und dann haben wir uns ganz heimlich daran gewöhnt.
Jetzt sollten alle Vorwürfe verschwinden und die Veränderung akzeptiert werden. Sollten, - ja.
Aber es funktioniert zuerst nur auf der Ebene der Benutzung. Wir benutzen das Neue immer selbstverständlicher, normaler und vollständiger, während unsere Argumentation weiterhin das Alte in den Himmel preist. Ganz nach der Devise: „Früher war alles besser.“
(Gut, gut … einigen von uns ergeht es genau umgekehrt: sie lieben nur das Neue und Unbekannte, wobei das Bekannte und Alte jeden Reiz verliert. Aber ganz ehrlich: das ist auch nicht sehr vernünftig.)
So hört man recht häufig Floskeln wie „der VW-Käfer war noch ein gutes Auto“ oder „die Musik vom Plattenspieler hatte viel mehr Leben“. Aber geht es dabei wirklich um die Technik? Oder hängen wir nur in romantischen Verklärungen fest?

Vor einer Woche stand ich in einem italienischen Aufzug und dachte an Douglas Adams. Das lag allerdings nicht daran, dass ich direkt an die vier Bücher der Trilogie „per Anhalter durch die Galaxis“ erinnert wurde, es war eher ein um-die-ecke-Denken.
In den Büchern von Douglas Adams spielen auch Aufzüge eine gewisse Rolle (unbedeutend für die Handlung, aber kultverdächtig), denn sie sind mit künstlicher Intelligenz ausgestattet. So versuchen sie philosophische Gespräche mit den Fahrgästen zu führen, fühlen sich von dem Hoch und Runter unterfordert, neigen zu depressiven Anwandlungen und ziehen sich gerne mal für eine gewisse Zeit in den Keller zurück. Eine sehr unterhaltsame Sorte von Fahrstühlen (solange man nicht damit fahren will).
Nun frage ich mich schon lange, wieso für so ein Gerät überhaupt so viel Intelligenz nötig sein sollte. Um die einzelnen Anfahrtanforderungen zu behalten? Um sich die Etagen zu merken? Um die wunderschöne Fahrstuhlmusik spielen zu können?
Mein italienischer Aufzug belastete seine Speicher jedenfalls nicht mit Musik, dafür war er zu intelligent. Überhaupt begnügte er sich mit wenig Ballast: Nur fünf Personen passten laut Anzeigetafel hinein (das wollte aber niemand ausprobieren, denn schon drei Personen standen recht eng zusammen).
Dafür war das Ding freundlich. Jeder Zusteigende wurde mit einem kurzen Aufflackern der Innenbeleuchtung begrüßt und die Türen mochten den direkten Kontakt mit Menschen. Trat jemand noch schnell zwischen die sich schließenden Schiebeelemente, waren sie bestrebt sich sehr eng anzuschmiegen. Wozu braucht man schon Lichtschranken?
Mit unnützen Informationen belastete sich der Aufzug auch nicht. Wenn jemand Neues eintrat (und angeflackert worden war), blieb die diensteifrige Maschine stehen und wartete auf ein neues Fahrtziel. Es spielte keine Rolle, wie oft zuvor auf irgendwelche Knöpfe gedrückt worden war. Das war natürlich reinste Höflichkeit, denn die schon anwesenden Fahrgäste wollten bestimmt dorthin, wohin auch der neue Fahrgast wollte.
Nach dem Erreichen des ersten angegebenen Ziels verharrte der Aufzug auch. Kam ein neues Rufsignal von unten? Oder von oben? – Darauf muss ein intelligenter Aufzug Rücksicht nehmen. Die alten Befehle waren selbstverständlich hinfällig: Menschen entscheiden sich so schnell um, da lohnt ein Merken nicht.
Schon am ersten Tag fuhr ich darum vom Erdgeschoss in die dritte Etage, dann zurück ins Erdgeschoss, dann in die zweite Etage und wieder zurück ins Erdgeschoss, um im dritten Anlauf (nach einem weiteren Halt in der dritten Etage) endlich im vierten Geschoss anzukommen.
Bald gewöhnten wir uns an, den Finger auf dem Knopf zu lassen. Wir wollten dem Aufzug ja versichern, dass wir auch wirklich noch zu dem gewünschten Ziel wollten.

Ich muss wohl nicht erwähnen, dass es sich um einen alten Aufzug handelte (innen mit goldglänzendem Messingblech verkleidet), eine Art VW-Käfer der Aufzüge (oder Fiat 500, wo wir in Italien waren?). Sehr nostalgisch, reichlich hässlich und mit einem unfassbaren Spurtverhalten.
Bald bevorzugten wir das Alte gegenüber dem Neunen. Ganz ohne Nostalgie oder romantischer Verklärung, ohne lange an die Aufzüge bei Douglas Adams zu denken oder über den Alzheimer-Fahrstuhl zu grübeln. Die alte Technik überzeugte uns einfach und das Treppenhaus war schön hell.



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