andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 03. Mai 2007, 04:23
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Achtung Kunst!

In unserer Gesellschaft hat die Kunst einen hohen Stellenwert. Als unverzichtbarer Teil der Zivilisation wird sie gesehen, als ihr eigentlicher Antrieb oder gar als ihre Blüte, die den Fortschritt und das Erreichte nicht nur schmückt, sondern krönt. Selbst göttliche Eingebungen werden bei der Kunst nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Von himmlischen Impulsen ist die Rede und von der göttlicher Inspiration hat schon jeder gehört. Manchmal ist sie sogar heilig.
Musik, Literatur, Architektur, Malerei … was wäre unsere Welt ohne sie für ein dunkler Ort. Wenn da nur nicht die Künstler und Künstlerinnen wären …

So hoch wir auch die Kunst halten mögen, ihre Erschaffer betrachten wir mit wesentlich kritischeren Augen.
Faszination, ja, die können wir aufbringen. Mystische Verklärung wohl auch, - wenn die Leute lange genug tot sind und wir nicht mehr viel von ihnen wissen.
Bei den lebenden Musikern gibt es natürlich Fans, die manchmal eine geradezu abgöttische Anhänglichkeit an den Tag legen. Aber meinen diese Fans wirklich die so genannten Stars, oder ist es eher ihr Werk, ihre Rolle, ihr Bekanntheitsgrad, ihre “Macht“ (was vielleicht nur die Umschreibung für Potenz ist), ihre Freiheit von den gesellschaftlichen Zwängen? Nur die Maske und nicht den Menschen dahinter?
Schauen wir uns in der Kunstszene um, so finden wir in großer Zahl sehr “individuelle“ Gestalten. Die müssen nicht einmal besonders bekannt sein. Es reicht vollkommen aus, wenn sie sich als Künstler fühlen. Ganz so, als gäbe es im Inneren eines Menschen eine klare Definition davon, wie die Schöpfer von Kunst gestrickt sein müssen.
Oder ist es anders herum? – Sind die etwas verschrobenen Menschen diejenigen, die Kunst schaffen können? Nur sie – und nicht der Finanzbeamtin Meier oder der Aldi-Kassierer Schulze?

Oder hat es gar nichts miteinander zu tun und spiegelt nur unsere Vorstellung wieder? Fallen uns die Künstler am stärksten auf, die unser Bild vom Künstler widerspiegeln? Diejenigen, die sich schlecht benehmen, die Möbel in Hotels zerschlagen, die die Nächte durch saufen, die herumpöbeln … ?
Nein, das kann nicht sein. Es hieße ja, dass wir auf bohleneske Verhaltensweisen hereinfallen würden; auf eine Art “Dieter-Effekt“. Aber Künstler sind Feingeister, da setzen sich nicht die Lautesten durch. Ansonsten würden doch Viele versuchen als Künstler zu erscheinen, in dem sie sich diese Verhaltensweisen angewöhnen.

Künstler sind kreativ. Sie schaffen Neues oder geben zumindest einen neuen Blick frei. Das schaffen sie nur, wenn sie sich etwas außerhalb der Norm befinden. Sie müssen also schon vorher etwas anders sein. – Das klingt logisch.
Wie sonst konnten Expressionismus und Impressionismus entstehen? Wie die ganzen Kunstformen und –moden?

Zumindest für den Impressionismus bieten Kunsthistoriker und Mediziner seit einiger Zeit eine alternative Möglichkeit an. Oder zwei, um genau zu sein.
Da wäre zuerst der Absinth, DAS Modegetränk in Künstlerkreisen bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Die “Grüne Fee“, wie der Rauschmacher verharmlosend genannt wurde. Vincent van Gogh, Henri de Toulouse-Lautrec, Edouard Manet, Edgar Degas, Pablo Picasso, Ernest Hemingway und Oscar Wilde. Charles Baudelaire soll sich begeistert die Haare grün gefärbt haben (Absinth soll seine Schreibblockade beendet haben).
Aber warum Absinth und nicht Doppelkorn? – Weil Absinth ein Neurotoxin enthält, das Thujon des Wermuts, das neben dem Alkohol die Nerven stimuliert. Allerdings … Toxine sind Gifte, Neurotoxine also Nervengifte.
Folgeerscheinung des übermäßigen Thujongenusses ist Euphorie (und das übliche Gerede über aphrodisierende Wirkungen), aber auch Halluzinationen, Schwindel und Wahnvorstellungen, die auch noch lange nach dem letzten Glas aufflackern können. Dazu die Absinth-Blindheit, die unscharfes Sehen, Farbsichtverlust und andere impressionistische Weltsichten zu- oder besser: übrig lässt.
Ist der Impressionismus aus dem Absinth geschöpft?

Einige Mediziner nehmen den Schnaps in Schutz. Edgar Degas, einer der Begründer des Impressionismus, soll gar nicht absinthblind gewesen sein, sondern eine schlichte Makula Degeneration gehabt haben, durch die er so schlecht sehen konnte. Schon Caspar David Friedrich soll eine rezidivierende depressiven Störung gehabt haben, die deutlich an seinen Bildern wieder zu finden ist. Und Claude Monet hatte angeblich nichts als den grauen Star, dessen Verschlechterung und operative Besserung genau an Monets Bildern abzulesen sein soll.

“… Das impressionistische Auge ist der menschlichen Entwicklung am weitesten voraus, es ist das Auge, das die kompliziertesten Verbindungen von Nuancen und Farbtönen erfasst und wiedergegeben hat ...“
(Zitat: Jules Laforgue (französischer Lyriker))

Noch nie von Monets grauer Phase gehört?


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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 AlmaMarieSchneider (03.05.07)
Hey, gut geschrieben. Interessante Gedanken.
Sektfrühstück (41)
(03.05.07)
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