andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 17. Oktober 2007, 17:50
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übersinnlich

Sprache ist ein Präzisionsinstrument, mit dem wir es schaffen die Wirklichkeit abzubilden und uns verständlich auszudrücken. Zwar gibt es auch Mehrdeutigkeiten, aber dahinter liegt die spielerische Note des Teekesselchen-Kinderspiels. Das anvisierte Ziel wird getroffen.
Einzig die Welt der Zahlen ist noch präziser.

„Mein Bruno weiß schon fünf Minuten vorher, wenn es gleich Futter gibt,“ beginnt die Beagle-Besitzerin mit einem Satz aus dem Lehrbuch für deutsche Sprache. Solche Formulierungen entlocken Literaturfreunden und Sprachliebhabern lustvolle Seufzer.
„Ja, ja,“ geht die Mops-Besitzerin darauf ein, „Hunde haben einen sechsten Sinn für so’was.“
„Heißt es nicht: siebter Sinn?“ kommt es sofort zurück.
„Nein, sechster Sinn. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen.“
„Ich mein’, da ist noch einer mehr.“
„Da ist doch das Gleichgewichtsorgan im Ohr,“ mischt ein junger Mann von Gegenüber ein, der einen Schäferhundmischling mit verbundener Vorderpfote neben sich sitzen hat.
Eine junge Frau mit einem Transportkäfig auf dem Schoß, aus dem es kläglich maunzt, flüstert in die nachdenkliche Stille: „Schmecken und Riechen ist doch das Gleiche, ’habe ich irgendwo gelesen.“
Die Mopsbesitzerin nickt. „Also doch fünf Sinne.“
„Ist doch egal,“ rudert Frau Bruno-der-Beagle zurück. „Auf jeden Fall haben Hunde noch einen Sinn mehr, der sie so etwas spüren lässt.“
Obwohl dieses Aussage reichlich schwammig ist, kommt von allen Seiten zustimmendes Gemurmel. Nur Herr Schäferhundmischling meint: „Nä, nä. Riechen passiert doch mit der Nase und nicht mit der Zunge.“

Die Unterhaltung könnte jetzt ins Grundsätzliche abzurutschen. Schon meint ein Mädchen mit einem unruhigen Kaninchen (in einem Käfig unter ihrem Stuhl): „Schokolade schmeckt ganz anders, als wie sie riecht.“
Wieder Stille. Alle scheinen über die Aussage nachzudenken (einige schmecken wohl auch dem Satzbau nach).
Frau Mops schaut sich Hilfe suchend um und ihre Augen landen bei mir. Vermutlich hat sie den gemurmelten Satz: „Bienen können ultraviolettes Licht sehen.“ aufgeschnappt; zumindest deutet ihr leicht verärgerter Gesichtsausdruck darauf hin. Dabei habe ich das nur so vor mich hin gesagt … ehrlich.
Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit (ich geb’s ja zu …) empfinde ich in der Situation nicht das Bedürfnis weiter auszuholen. Kein Wort über Tauben, die magnetischen Feldlinien sehen können. Kein Vortrag über Elefanten und Infraschall. Keine Bemerkung zu Fledermäusen. Mein Interesse gilt der Dame hinter der Theke, die noch immer telefoniert.
Frau Bruno-der-Beagle rettet mich: „Auf jeden Fall haben Hunde und Menschen noch eine Verbindung miteinander, die nichts mit Sehen und Hören zu tun hat.“
„Und Katzen erst,“ ergänzt eine Frau Katze.
Damit scheinen alle Anwesenden zufrieden zu sein. Auch Frau Mops. Sechster Sinn, siebter Sinn … um die Zahl geht es gar nicht. Vielmehr soll die esoterische Komponente einen Namen haben.
Bedeutungsschwangeres Schweigen. Dann endlich ein: „Daisy, komm’ jetzt her,“ von einem Mittdreißiger an seinen Golden-Retriever-Welpen, „der Mops will nicht spielen.“
„Das ist eine Möpsin,“ kommt es erleichtert von Frau Mops. Das Gespräch wandert zum Thema “wie-nennt-man-eigentlich-die-Weibchen?“. In schneller Reihe werden “die Mopshündin“, “die Mopsdame“ und “die Möps“ genannt.

Das Telefonat ist zu Ende und ich werde in einen kleinen Raum geführt, aus dem Jammern und Heulen kommt. Paul liegt auf einer Decke und will mich überschwänglich begrüßen. Er fällt bei dem Versuch um.
Hinter mir lotet eine Hündin alle Frequenzen ihrer Möglichkeiten zur Lautäußerung aus. Mir kribbelt es den Rücken entlang. Nackenhaare stellen sich auf.
„Das ist ein Erregungszustand und kein Schmerz,“ beeilt sich die Tierarzthelferin zu erklären. „Eine Nachwirkung der Vollnarkose. Bei ihrem Boxer kommt das auch noch. Machen sie sich deswegen aber keine Sorgen.“
Paul knickt in den Hinterbeinen ein. Sein Empfinden für den eigenen Körper ist noch nicht wieder da und ich muss ihn von den kalten Fliesen auf die Decke schieben, weil seine Gefühle für Schmerz und Wärme gedämpft sind. Doch der Körperkontakt zu mir beruhigt ihn.
„Das dauert noch einige Stunden, bis er wieder voll bei Besinnung ist,“ spricht die Tierarzthelferin weiter und streckt einen Finger durch das Gitter eines Käfigs, um eine schlafende Katze zu streicheln.
„Seine Sinne wieder beieinander,“ rutscht es mir heraus. In Gedanken zähle ich durch und komme problemlos bis elf. Farbe und Bewegung sortiere ich schlicht unter 1b und 1c, was mir noch Spielraum beim Sehen schenkt. Und mit etwas Mut zur Lücke kann ich die Nummern Sieben bis Neun wohl beim “Tastsinn“ einordnen ... Es wäre ja noch schöner, wenn Psi-Fähigkeiten (Telepathie und so) plötzlich als zwölfter Sinn bezeichnet würden … oder als fünfzehnter … oder als einunddreißigster …
Der siebte Sinn sagt mir jedenfalls, dass Paul nach Hause und in sein Körbchen will. Die Teekesselchen lasse ich im Aufwachraum zurück ...

In diesem Sinne: ein schönes Wochenende.


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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 AlmaMarieSchneider (21.10.07)
Das zu lesen machte richtig Spass. Zumal ich auch Tiere mag und ihre Sinnnutzung oft bewundere. Ein Zusatzgenuß.
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