andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 25. Oktober 2007, 04:15
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der rechte Weg

Wir leben in einer Welt voller Bedrohungen. Da ist der muslimische Fundamentalismus (oder ist es aufgepuschter Fanatismus?), der neben Spannungen mit Israel und Atomraketenplänen auch den Nährboden für Terrorismus bildet (ganz zu schweigen von Intoleranz, Frauenunterdrückung und undemokratischen Verhältnissen). Da ist die globale Erwärmung, die die Menschheit vielleicht kulturell und technologisch 200 Jahr in die Vergangenheit brutzelt. Da ist die wachsende Armut, das Elend und der Hunger, die bald völlig neue Kriege und Auseinandersetzungen hervorbringen könnten. Und, das sollten wir nicht vergessen, da ist noch der Werteverfall in unserer Gesellschaft.
Über diesen Werteverfall wird viel geredet (nicht nur von Eva Herrmann) und … na ja … auch wenn nicht klar ist, wie er wirklich aussieht und ob er ein Problem darstellt: die Mehrheit der Menschen empfinden ihn.
Manch einer denkt auch darüber nach, ob nicht die anderen Bedrohungen entschärft würden, wenn wieder “echte Werte“ in die Politik einzögen. Traditionelle Werte, selbstverständlich …

In der anglikanischen Kirche gibt es diese Strömungen besonders stark. Das liegt an der Struktur dieser drittgrößten christlichen Kirche, die ohne zentrale Führung auskommt und darum den einzelnen Unterkirchen sehr viel Spielraum für eigene Wege bietet. Spielraum, der jedes Bistum unabhängig macht, weil ihm niemand rein reden darf.
So kommt es, dass eine Gemeinschaft anglikanischer Bistümer in Afrika sich an die schöne Tradition des Missionierens erinnert. “Bringt das Licht in die Höhlen der Verlorenen“, mögen sie dabei denken. Schon werden Missionare ausgeschickt – und weil wir in modernen Zeiten leben, werden gleich Missionsbistümer gegründet. Organisation ist halt alles.
Bald soll die wahre Botschaft über die Ungläubigen kommen. Die falschen Lehren sollen bekämpft werden, der Hass und die Perversion und der Mord an Kindern. Die verlorenen Seelen sollen gerettet und die Bibel endlich wieder wörtlich genommen werden.
Also ziehen die Missionare aus, um in der Diaspora Gleichgesinnte zu sammeln. Wachsen ist angesagt. Wachsen, wachsen, wachsen … und dann die Geschicke der verkommenen Gesellschaften lenken. Nur so können wir die Bedrohungen bekämpfen.
Das erste Ziel sind die USA. Hier herrschen die falschen Lehren von Evolution und Säkularisierung, hier gibt es Mord und Totschlag – und Abtreibungen und Duldung der Homosexualität (sogar schwule Priester!). Danach kommt dann Europa dran … und dann die ganze Welt! – Upps, bin wohl im falschen Film ...

Tja, das ist es wohl. Die Antwort auf die Bedrohung durch den muslimischen Fundamentalismus ist der christliche Fundamentalismus. Wieso bin ich nicht selber darauf gekommen?


Quelle: Marc Hujer: „Scheidung auf Afrikanisch“, in: DER SPIEGEL, Nr. 43 / 22.10.2007, S. 174 - 178

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