andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 06. Dezember 2007, 00:19
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Heidenspaß

„Papa, was ist denn eigentlich ein Heide?“ hörte ich vor kurzem in der U-Bahn von einer etwa 8-Jährigen. Der Mann neben ihr stieß spontan einen Seufzer aus.
‚Sehr passend für die Weihnachtszeit’, dachte ich und wartete auf die Antwort, die leider sehr stockend und unsicher kam. Mir selber gingen währenddessen einige Erinnerungen durch den Kopf, Erinnerungen, die bezeugen, dass mich diese Frage schon sehr lange begleitet.

Schon in der Grundschule habe ich eine ähnliche Frage an meinen Lehrer gestellt (ich würde ja “Religionslehrer“ sagen, wenn er nicht auch alle anderen Fächer unterrichtet hätte). Die Antwort befriedigte mich nicht, denn sie lautete: „Heiden sind diejenigen, die nicht den rechten Glauben haben.“.
Was ist der “rechte Glaube“? – Als Grundschüler fiel mir die Antwort nicht schwer, denn mein Lehrer war auch zuständig für den katholischen Religionsunterricht – und somit auch für meine religiöse Ausrichtung. Mein Pfarrer predigte zudem, dass ausschließlich die katholische Lehre richtig sei … was die evangelischen Mitschüler leider auf die Schiene “Heiden“ schob.
Meine Oma präzisierte das noch. Sie unterschied “gute“ und “schlechte“ Katholiken, wobei schlecht nicht mit nicht katholisch gleichgesetzt wurde. Vielmehr gab es anscheinend unterschiedliche Ausformungen von Katholiken: die Guten, die Schlechten, die Heuchler, die Blöden, die Ignoranten, die Mitläufer ...
Ein schwieriges Wertesystem, das nicht allein in Heiden und Rechtgläubige trennte, sondern vielmehr schon innerhalb der Rechtgläubigen Grenzen zog.

Für einen Grundschüler ist das nicht leicht zu verstehen, aber um etwas zu übernehmen muss es ja nicht verstanden werden: Wer nicht den “richtigen“ Glauben hat, der ist verdammt (verdammt wird gerne im Zusammenhang mit “Heide“ genannt). Außerdem ist es ja logisch, weil es ja nur einen wahren Weg geben kann …

Oder?

Dummerweise hörte ich dann, dass Muslime von “Ungläubigen“ sprechen, was in der Bedeutung dem Wort “Heiden“ nahe zu kommen schien. Und auch Menschen des evangelischen Glaubens benutzten das Wort “Heide“, was weitergehende Fragen provozierte.
Eine seltsame Situation. Da wird ein Wort mit einem gewissen Absolutheitsanspruch benutzt und jeder ist sich sicher, dass es eine eindeutige Definition dazu gibt … ja, dass er/sie selber genau weiß, was damit gemeint ist. Aber dann stellt es sich als eine Seifenblase heraus: für jeden hat das Wort eine andere Bedeutung und oft ist diese Bedeutung gar nicht beschreibbar.

Im Religionsunterricht in der Mittelstufe wurden alle monotheistischen Religionsgemeinschaften unter den Deckel “Nichtheiden“ gepresst, was das ursächliche Problem nur weiter nach hinten schob. Im Grunde bekam der Begriff dadurch nur weitere Bedeutungen, was den konkreten Fall noch schwieriger zu bestimmen machte. Sagte jetzt jemand “Heide“, so musste aus dem Zusammenhang gelesen werden, was genau gemeint war.
In der Oberstufe war das Thema tabu. Alles wurde glatt gebürstet und auf einen einheitlichen Kurs gebracht. “Nichtchristen sind Heiden“ hieß es nicht mehr, vielmehr wurde das Heidentum auf nicht mehr existierende oder “nicht ernst zu nehmende“ Religionen beschränkt: der Glaube an die antike Götterwelt der Römer und Griechen, die keltischen und germanischen Religionen, die Naturreligionen ...
Natürlich war das der bekannte Kniff, der in unserem Leben so oft angewendet wird: Beschränke Dich auf das, was Du sicher zu wissen glaubst und beschäftige Dich nicht mit den Randbereichen. Eine Antwort muss nur funktionieren und nicht wahr sein.
Sollen sich doch die Spezialisten um die Details kümmern … aber bitte: verschont uns mit den Resultaten!

Die Krönung fand sich im Studium, wo eine Dozentin mir in einem Referat ins Wort fiel und für die Spätantike wieder auf die Definition “nichtchristlich“ zurück kam.
„Das ist so anerkannt“, sagte sie. „Mehr ist gar nicht nötig.“ – Na toll!
Abwertend? – Nein, Heide sei doch nicht abwertend gemeint, sagte sie (ein klarer Fall von Realitätsverlust).
Die folgende Diskussion verlief im Sande. Für Historiker sind heidnische Gemeinschaften die alten Religionen, die nicht zum Christentum, Islam oder Judentum gehören. Fragen zum Buddhismus, Hinduismus oder gar Atheismus werden tunlichst ausgeklammert.
Offenbar ist es nicht wichtig, dass ein Wort ein präzise Bedeutung hat. Schwabbeln wir doch einfach darüber hinweg. Es funktioniert doch auch, wenn wir uns einbilden, dass beim Gegenüber das ankommt, was wir sagen wollen.

Meine Recherche förderte schon früh zu Tage, dass der Begriff aus dem Hebräischen stammt und alle “Nichtjuden“ meint, in der Wortbedeutung aber als “nicht zu unserer Gemeinschaft gehörend“ zu verstehen ist. Somit liegen die Begriffe “Heide“ und “Barbar“ (= Nichtrömer) sehr nahe beieinander und es mag Zufall gewesen sein, welches Wort sich bei uns auf die Religion, und welches sich auf die Kultur, bezieht (vielleicht ist es aber auch kein Zufall, denn als “Heide“ wurde früher auch eine Landschaft bezeichnet, nicht urbar gemachtes Land oder ein Urwald).
Überbleibsel der alten Bedeutungen sind leicht zu finden, vermischen sich aber. Wir sprechen von heidnischen Religionen ohne es als doppelt gemoppelt (also als Pleonasmus) zu empfinden, wir kennen die Heidelandschaft (eine sandige und unfruchtbare Gegend, die früher keiner haben wollte), das Heidekraut (nicht einmal Schafe und Ziegen fressen es), das Heidenkorn (= Buchweizen, der auf armen Sandböden wächst), die Heidenangst und den Heidengewinn.

Der Vater der Achtjährigen hatte sich mit dieser Frage offenbar anders auseinander gesetzt.
„Heiden feiern nicht mit uns zusammen Weihnachten“, war seine Erklärung für die Tochter, die ihn daraufhin mit ungläubigen Augen anstarrte.


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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 IngeWrobel (06.12.07)
Auch das Lesen dieser Kolumne von Dir hat mir nicht nur viele Infos gebracht, sondern wiedermal einen Heidenspaß bereitet!
Ich erinnere mich noch genau an den katholischen Religionsunterricht. Da wurde den Kindern das Taschengeld regelmäßig "für die armen Heidenkinder" abgeknöpft. Bekamst du kein Taschengeld (Nachkriegsarmut), traf dich die heilige Verdammnis vor versammelter Klasse mit der Erklärung, dass du es nun zu verantworten habest, dass in Afrika die armen Heidenkinder - weil ungetauft - nie in den Himmel kämen. Du warst also schuldig: hast sie verhungern lassen, bevor sie getauft werden konnten, (...warum wurden die eigentlich nicht schnell vorm Verhungern getauft?) und hast so die letzte Ölung verhindert, die allein in die ewige Seligkeit führen kann, statt in die Hölle!
Ich kann nur mutmaßen, dass der Begriff "Heidenspaß" nicht aus der Katholenecke kommt - die treiben den Kindern schon frühzeitig jeglichen Spaß aus - im Tausch gegen Erbsünde und Schuldgefühle.
Yo!
Angelika Dirksen (62)
(07.12.07)
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