andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 12. Dezember 2007, 17:27
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parasitär?

Auch wenn es in den letzten Jahren wieder in Mode gekommen ist, dass wissenschaftliche (besonders gerne: biologische und medizinische) Tatsachen in Frage gestellt werden, wandern ständig Fachbegriffe in den allgemeinen Sprachgebrauch ein. Um genau zu sein: fast immer sind es gerade die diskutierten Begriffe, die plötzlich auch für andere Zusammenhänge herhalten müssen.
Ein Beispiel? – Nehmen wir doch “Evolution“: Evolution der Automobile, technische Evolution, Evolution der Wirtschaft, soziokulturelle Evolution …
Die Gründe für so eine Wortübernahme sind recht einfach. Es geht natürlich nicht nur um Das-in-Mode-sein (obwohl es auch eine nicht zu verachtende Rolle spielt), sondern um die Bilder, die durch so ein Wort transportiert werden. Evolution suggeriert eine natürliche Weiterentwicklung, die unausweichlich ist und ohne lenkende Eingriffe auskommt; allein durch natürliche Selektion (auch so ein Begriff) und Ausprobieren findet eine ewige “Verbesserung“ statt. Das kleine Rädchen wird zum Teil eines großen Ganzen … eine feine Sache (und etwas zum Zurücklehnen und abschieben der Verantwortung).

Warum müssen Menschen eigentlich immer alles bewerten und in Schubläden verpacken?
“Weiterentwickeln“ hört sich für den technischen Fortschritt doch auch ganz nett an. Da muss gar nicht das Siegel “gottgewollt“ oder “natürlichen-Gesetzen-folgend“ drauf gepappt werden, so als gäbe es keine Alternativen.
Außerdem widerspricht das auch der Bedeutung, denn in der Wissenschaft wird versucht ohne Wertungen auszukommen (was selbstverständlich auch nicht immer klappt). Greift sich dann das Volk gewisse Begriffe heraus und bewertet sie, so schwappt das automatisch zurück in den wissenschaftlichen Betrieb.
Parasit, Symbiose, Mimikri, Generalisierung, Schrödingers Katze, Relativität, Virus, Depression, Diät, Klon … Alles Beispiele für Begriffe, die längst nicht mehr ohne bewertende Interpretationen gehört und gelesen werden können, da sie häufig in anderen Zusammenhängen benutzt werden.
Sehen wir in einem Klon nicht eine perfekte Kopie? Wer denkt bei “Diät“ nicht an Übergewicht? Wer verbindet “Depression“ nicht mit Trauer? Für wen ist ein “Virus“ nicht etwas, das absichtlich Schaden zufügt? Wer meint mit “relativ“ nicht ein ungenaues Wischiwaschi? Für wen hat “Schrödingers Katze“ nicht eine absurde Note?

Besonders deutlich wird das bei der positiv besetzten Symbiose und beim negativ gemeinten Parasitismus. Ein Parasit bereichert sich an seinem Opfer, schadet ihm und hat keine Skrupel. Ein Symbiont hingegen … Da steht echtes Interesse an den Partner im Vordergrund, ein gegenseitiges Geben und Nehmen. – Nicht wahr?
Wer solche Wertungen in die Biologie oder Medizin zurück transportiert, hat bald ein echtes Problem. Denn: in beiden Fällen ist der Eigennutz vorherrschend und Nutzen für das – oder Schaden am – Gegenüber sind keinesfalls Absicht.

Mehr noch: die Grenzen zwischen Parasit und Symbiont verwischen oft.

Beispiele? – Nehmen wir Blutegel. Sie werden (in Europa) inzwischen im weitaus größeren Maße für medizinische Zwecke genutzt, als sie in der Natur vorkommen. Sind sie noch Parasiten oder schon Symbionten?
Oder: Bandwürmer. Immer wieder hören wir vom gefährlichen Fuchsbandwurm, der beim Menschen großen Schaden anrichten kann. Aber der Punkt ist doch: es ist ein auf Füchse spezialisierter Parasit, der in fremder Umgebung (sprich: im Menschen) nicht so gut zurecht kommt. Einige Mediziner gehen sogar soweit, dass sie die Bekämpfung des menschlichen Bandwurms für die Misere verantwortlich machen. Bandwürmer bekämpfen nämlich andere Bandwürmer. Ein Mensch, der den auf ihn spezialisierten Parasit in sich trägt, bekommt keine Fuchsbandwürmer.
Viele gefährliche Krankheiten sind gar keine Menschenkrankheiten. Die Pest etwa, sie lebt in Ratten. Krankheitserreger haben gar kein Interesse daran zu töten, denn dadurch rotten sie sich nur selber aus. Und für das Immunsystem sind sie fast schon Sparringspartner, mit denen gegen die echten Gefahren trainiert wird.

Bei der Symbiose wird es schwieriger, denn jeder kennt den Begriff, aber kaum jemand kann ein Beispiel benennen. Vielleicht fallen einem noch “gibt es da nicht einen Krebs, der mit einem Fisch zusammen lebt?“ oder das Stichwort “Flechten“ aus dem Schulunterricht ein, vielleicht auch der Film “Findet Nemo“ (die Sache mit den Seeanemonen) oder die Putzerfische.
Die meisten Symbiosen haben keine romantische Ausstrahlung. Darmbakterien ernähren sich einfach nur vom Nahrungsbrei und von ihrer Ausscheidung profitieren wir. Mitochondrien haben jedes “freie“ Leben aufgegeben und werden nicht mehr als eigenständige Lebewesen wahrgenommen; sie zählen zu den Bestandteilen (= Kraftwerke) unserer Zellen. Den Schutzeffekt unserer Hautbakterien waschen wir mit großer Sorgfalt ab. Über Blüten und Bienen denken wir nicht nach. Haustiere werden “genutzt“ (gegessen, gemolken, beraubt …) und schnell vergessen wir, dass wir sie auch hegen und züchten.
Sind Milchtrinker Kuhparasiten oder Symbionten?

Nun … Raubtiere werden auch weiterhin einen weitaus besseren Ruf haben als Parasiten, obwohl sie doch töten. Symbiose wird auch weiterhin mit Harmonie in Verbindung gebracht. Wir können das Werten einfach nicht ablegen, es gehört zu unserem Weltbild. Und dafür brauchen wir Fach- und Fremdwörter, die uns als Bildgeber dienen.
Nur eine Frage noch: sind wir dadurch Wortparasiten?



Ein empfehlenswerter Link zum Thema Symbiose:  Wikipedia

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 thomas (13.12.07)
Zum ersten mal lese ich deine kolumne und bin verblüfft. es gibt auch nach wochen noch einiges bei kv zu entdecken. Gefällt mir außerordentlich gut, was du schreibst!!!
was ist ein schmierkäfer? ein toter käfer auf der tapete! Fest steht: wenn er schon nicht in einen symbiotischen aggregatzustand mit der tapete getreten ist, so war er aber ganz sicher ein idiotischer käfer auf meiner tapete.
in diesem sinne-ich freu mich wieder von dir zu lesen.
vg thomas
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